Merkel macht Weg für Draghi frei

Nachdem der S&P 500 sich unter dem Zwischenhoch aus Anfang Mai bei 1405 in immer enger werdender Tagesspanne festgesetzt hatte, brachte am zurückliegenden Donnerstag Frau Merkel die Erlösung. Sie äußerte sich so, dass die „Märkte“ annahmen, sie unterstütze die Pläne von EZB-Draghi, Anleihen von notleidenden PIIGS-Ländern zu kaufen. Ihr Bundesbank-Präsident hält weiterhin dagegen, aber wen interessiert das schon.

Nach meiner Sommerpause das gleiche Bild wie davor: Politik und „Märkte“ befinden sich in einer solch großen Abhängigkeit zueinander, dass man eigentlich der sowieso schon alles bis zur Banane regelnden Europäischen Kommission auch gleich die Aufgabe übertragen kann, täglich vor Handelsbeginn zu verkünden, wo die Finanzmärkte am Abend zu schließen haben.

Ökonomische Daten, die eher auf weiter nachlassende Wachstumsperspektiven hindeuten, werden ignoriert. Im Zweifel helfen ein paar Zahlenspielereien weiter. So am zurückliegenden Mittwoch. Die US-Einzelhandelsumsätze kamen für Juli saisonal bereinigt doppelt so stark herein wie erwartet – plus 0,8% statt 0,4%. Die unbereinigten Zahlen hingegen sanken gegenüber dem Vormonat um 0,9%. Wie Zerohedge analysiert hat, wurde im Juli zum ersten Mal in dieser Dekade der saisonale Korrekturwert nicht subtrahiert, sondern addiert. Hätte man das frühere Berechnungsverfahren weiter angewandt, wäre ein Minus gegenüber dem Vormonat von 1,3% herausgekommen (siehe Chart!).

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Auch hier dasselbe nach, wie vor der Sommerpause: „Trau keiner Statistik, die Du nicht selber gefälscht hast.“

Verschiedentlich wird EZB-Draghi in der Presse als „Super-Mario“ bezeichnet. Er ist einer der finanzpolitisch mächtigsten Männer, wenn nicht auf der Welt, so auf jeden Fall in Europa. Und da hat es natürlich Gewicht, dass er Ende Juli in London sagte: „Die EZB wird im Rahmen ihres Mandats alles Notwendige tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir – es wird ausreichen.” Seit diesen Tagen warten die „Märkte“ auf etwas Großes. Und wenn dieses „Große“ neben Recht und Gesetz steht – auch egal. Denn seit diesem Ausspruch geht die Finanzwelt davon aus, dass Draghi, das von Trichet gestartete, von Draghi eingefrorene Bond-Kaufprogramm der EZB wieder aufleben lässt.

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbietet im Artikel 123 die direkte Staatsfinanzierung durch die EZB. Draghi wird Mittel und Wege finden, dieser Vorschrift formal Genüge zu tun – schließlich steht da nur, dass „der unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln“ verboten ist. Der Sinn dieser Vorschrift war aber wie in den entsprechenden Passagen in den Maastrichter Verträgen, zu verhindern, dass sich Mitgliedsstaaten überschulden. Unter keinen Umständen darf ein solches Land „herausgehauen“ werden – das ist der Sinn dieser Vorschriften („No Bailout“ Art. 125 AEUV).

Dieser „Sinn“ gilt auch für die EZB. Draghi wird aber nicht zögern, gegen diesen „Sinn“ zu verstoßen – und alle Politiker der Eurozone werden sich freuen, wenn ihre Zentralbank an ihrer Stelle tätig wird. Dadurch ersparen sie sich möglichen Ärger mit ihren Bürgern, sie können ja nichts dafür, was die "unabhängige" EZB tut. Sie dürften ihrer Zentralbank zutiefst dankbar sein.

Der frühere Chefvolkswirt der EZB, Issing, sieht mit den Pläne von Draghi die Geldwertstabilität mittelfristig massiv gefährdet. In der EZB-Bilanz könnten sich Staatspapiere mit minderem Wert häufen. „Müssen die Papiere abgeschrieben werde, stehen dafür am Ende die Steuerzahler gerade,“ sagt der Goldman Sachs nahestehende Issing und nennt Behauptungen, die EZB könne später die ausgegebene Liquidität problemlos wieder einsammeln, „leichtfertiges Gerede“. Es gebe zwar wirksame Instrumente zur Sterilisierung, das große Geldeinsammeln sei aber finanzpolitisch schwierig. Auch das frühere EZB-Ratsmitglied Stark erneuerte seine Kritik an den geplanten Anleihekäufen.

Selbst wenn die EZB Bedingungen für ihre Hilfen stellt und von den jeweiligen Länder verlangt, sie müssten beim EU-Rettungsfonds einen Antrag auf Hilfe stellen und Auflagen akzeptieren: Wird die EZB dann ihre Hilfen zurückziehen, wenn diese Länder gegen Auflagen verstoßen? Sollte Draghi so konsequent sein, würde er damit genau gefährden, was er als Devise ausgab, nämlich alles Notwendige zu tun, um den Euro zu erhalten. Wird das geschehen? Eher nicht. Und spätestens dann ist es mit der Glaubwürdigkeit der EZB dahin.

Weit her ist es damit sowieso nicht: Erst in der zurückliegenden Woche ermöglichte es die EZB der griechischen Notenbank, griechischen Banken über die ELA-Fazilität, griechische Banken mit weiterer Liquidität auszustatten, die diese dann einsetzten, um neue griechische TBills im Gesamtwert von über 4 Mrd. Euro zu kaufen. Dies versetzt den griechischen Staat in die Lage, am 20. August fällige Anleihen im Volumen von 3,1 Mrd. Euro zu tilgen, die pikanterweise fast komplett bei der EZB liegen. Die frischen TBills hingegen dürften umgehend der griechischen Zentralbank als Sicherheiten eingereicht worden sein, um frische Kredite zu bekommen. So bringt die EZB Griechenland durch den Sommer und sich selbst um eine Abschreibung herum (siehe auch: "Eurokrise und Glaubwürdigkeit").

Bei den „Märkten“ kommt das natürlich gut an – welch ein gerissener Hund, dieser Draghi! Es ist die Art von schäbiger Bewunderung, von der man sich gelegentlich selbst nicht frei machen kann, wenn man von einem besonders gerissenen großen Betrugsfall liest.

Die EZB wird durch die angekündigten „Hilfsaktionen“ endgültig abhängig von der Politik – und damit sitzen sie alle drei in einem Boot, die EZB, die Politik und das Bankensystem.

Die „Märkte“ werden durch die Erwartung massiver geldpolitischer Lockerungen bei Laune gehalten. Von der EZB erwartet man früh im September, dass Draghi seine vollmundigen Ankündigungen umsetzt, von der Fed wird QE3 erwartet, auch von der chinesischen Notenbank erwartet man spätestens dann weitere Lockerungen.

Nach Jahren geldpolitischer Lockerungen und Bilanzaufblähung der Zentralbanken hat die Hoffnung wenig Grundlage, dass deren nächster Akt nun den realwirtschaftlichen Durchbruch bringen wird.

Wie sehr die Märkte mittlerweile von solchen Erwartungen auf geldpolitische Lockerungen hypnotisiert sind, zeigt sich am Angstmesser von Wall Street, dem VIX. Dieser Maßstab für die implizite Volatilität ist auf ein fünf-Jahres-Tief gefallen (siehe Chart!). Gleichzeitig schäumt die Stimmung allmählich Richtung „Greed“ über.

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In den zurückliegenden Jahren folgte jedem markanten Tief des VIX recht bald ein deutlicher Rückgang im S&P 500. Dies dürfte dieses Mal nicht anders sein. Zuvor dürfte allerdings ein zeitweiliges Überschießen des S&P 500 über sein Jahreshoch hinaus auf ein neues vier-Jahres-Hoch wahrscheinlich sein. Der September dürfte spannend werden!

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