Spiegel online berichtet von einem Meeting der FDP-Bundestagsfraktion hinter verschlossenen Türen, bei dem Merkel gesagt haben soll, eine Vergemeinschaftung von Schulden werde es so lange nicht geben, "so lange ich lebe". Einige der Anwesenden wünschten ihr daraufhin ein langes Leben.
Damit wird sie vor dem morgen beginnenden zweitägigen EU-Gipfeltreffen überraschend „radikal“. Bisher hatte sie immer nur gesagt, Eurobonds seien aktuell nicht das richtige Mittel zur Krisenbewältigung. Jetzt werden Eurobonds prinzipiell abgelehnt. Wie Spiegel online schreibt, wiederholte Merkel den Satz „so lange ich lebe“ vor der CDU-Fraktion allerdings nicht. Ob ihr einige Anwesende dennoch ein langes Leben wünschten, wird nicht berichtet.
Merkel wird vor dem Gipfel durch verschiedene „Attacken“ in die Enge getrieben. Da ist ein Papier der "Viererbande", bestehend aus EU-Ratsvorsitzendem Van Rompuy, EZB-Präsident Draghi, EU-Kommissionspräsident Barroso und Euro-Gruppen-Chef Juncker, zu einer Vergemeinschaftung der Schulden in der Eurozone. Daneben machen sie sich für eine voll ausgebildete Bankenunion stark. Das Papier enthielt zunächst sogar einen genauen Zeitplan. In der Fassung, die auf dem EU-Gipfel diskutiert werden soll, fehlt dieser. Die deutsche Regierung kritisiert an dem Vorschlag, dass die Balance zwischen notwendigem stärkerem gemeinsamem Handeln und der Frage einer gemeinsamen Haftung nicht gewahrt sei.
Auch von anderer Seite kommt Merkel unter Druck. Italiens Premierminister Monti schreckte gestern die Eurokraten auf, er werde den EU-Gipfel notfalls bis zur Marktöffnung am Montag ausdehnen, wenn sein Vorschlag, dass der ESM Anleihen notleidender PIIGs kaufen darf, nicht akzeptiert wird. Zuvor hatte er sich für Eurobonds stark gemacht, dann wollte er einen Schuldentilgungsfonds. In der zurückliegenden Woche stellte er schließlich fest: „Es bleiben noch zehn Tage, um den Euro zu retten."
Der „Erlöser“ Monti, zu Beginn seiner Amtszeit „Muttis“ Liebling, beginnt zunehmend die Schuld für die italienische Misere bei anderen zu suchen. Er kommt mit seinen Plänen zur Konsolidierung des italienischen Staatshaushalts und der Reform des Arbeitsmarktes kaum voran. Italiens Staatsverschuldung läuft aus dem Ruder, das Defizitziel von 1,7% des BIP werde 2012 verfehlt, aus diesem Grund seien zusätzliche Einsparungen von 4 Mrd. Euro erforderlich, heißt es. Und die italienische Industrie meldet, dass die Auftragseingänge im April um mehr als 12% eingebrochen sind, die Aufträge aus dem Inland sogar um 15%. Die italienischen Renditen steigen und steigen…
Die Parteien, die Montis Technokratenregierung im Parlament stützen, verlangen von Monti, dass er Ergebnisse vom Brüsseler Gipfel mitbringt. Und Monti weiß, dass Italien Gewicht hat – angesichts eines Finanzbedarfs, der die Kapazität des ESM sprengen würde. Ex-Premier Berlusconi sagte, es wäre eine Katastrophe, wenn Monti stürzt. Aber altruistisch, wie er nun mal ist, erklärte er sich bereit, unter einer neuen Regierung den Posten des Finanzministers zu übernehmen.
Auch wenn sich Merkel in der Rolle als Kämpferin gegen die Vergemeinschaftung von Schulden gefallen mag, es bleibt eine Irreführung. Die Vergemeinschaftung von Schulden gibt es seit geraumer Zeit mit aktiver deutscher Beteiligung. Die Stichworte hierzu: Target2, Bond-Ankauf durch die EZB, LTRO, Griechenland-Rettung, EFSF, künftig ESM.
Und so dreht sich das Gegacker in Brüssel auch nur darum, die Vergemeinschaftung von Schulden noch schneller und stärker voranzutreiben. Merkels Strategie war bisher immer, mit dem Argument „wir brauchen zuerst eine politische Union“ die grundsätzlichen Weichenstellungen auf die Zeit nach der Bundestagswahl 2013 zu verschieben. Ich denke, der Plan wird nicht aufgehen. Merkel wird früher oder später einknicken. Schon des öfteren hatte es vor EU-Gipfeln "hüh" und danach "hott" geheißen.
Der andere Weg, dass Deutschland die Eurozone verlässt, wird spätestens mit dem ESM völlig verbaut – und den stellt Merkel am 29. Juni zusammen mit dem Fiskalpakt zur Abstimmung im Bundestag. Die famose Opposition aus SPD und Grünen ist ebenfalls dafür und so steht der weiteren Vergemeinschaftung der Schulden in Europa nichts mehr im Wege.
Im Handelsblatt stand neulich zu lesen: Nicht die europäische Idee ist gescheitert, es ist der Glaube, ein Land könne auf Kosten anderer Länder leben. Es ist gerade umgekehrt: Die europäische Idee ist gescheitert, der Glaube, ein Land könne auf Kosten anderer Länder leben, nicht.
Nachtrag:
(29.6.12) Zum Thema "hüh" und "hott" berichtet das Handelsblatt unter der Überschrift "Haushaltsausschuss fordert Erklärung für 180-Grad-Wende“ vom EU-Gipfel:
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die in ihrer Koalition heftig umstrittenen Beschlüsse beim EU-Gipfel zur Bankenhilfe als voll abgesichert durch den Bundestag bezeichnet. Auf die Frage, ob die überraschend vereinbarte direkte Finanzhilfe aus dem Euro-Rettungsschirm ESM an marode Banken betroffener Staaten mit den Entwürfen für den Bundestag gedeckt sei, sagte Merkel am Freitag in Brüssel: „Ja, 100 Prozent“. Sie versicherte erneut, dass jede Veränderung im ESM vom Bundestag abgesegnet werden muss.
Merkel hatte auf dem EU-Gipfel in Brüssel unter dem Druck von Italien und Spanien Zugeständnisse beim Einsatz der Euro-Rettungsfonds EFSF und ESM gemacht. Künftig sollen nach Einrichtung einer einheitlichen Bankenaufsicht in der Eurozone nicht nur direkte Bankenhilfen möglich sein, sondern auch der Aufkauf von Staatsanleihen reformwilliger Mitgliedsländer durch die Rettungsfonds. Im Vorfeld hatte die Bundesregierung eine Ausweitung des Instrumente im Kampf gegen die Schuldenkrise noch deutlich abgelehnt.
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