Die 17 Mitgliedsländer der Eurozone und sechs weitere EU-Länder wollen sich zu einer Fiskalunion umbauen. Hierzu wird ein eigener, jeweils bilateral zu schließender Vertrag vorgesehen mit verschärften Spar- und Kontrollauflagen, der bis März 2012 ausgehandelt sein soll. Das ist das Ergebnis des jüngsten EU-Gipfels.
Die von Deutschland und Frankreich geforderte Änderung des EU-Vertrages aller 27 Mitgliedstaaten scheiterte vor allem am Widerstand Großbritanniens. Der Vorsitzende der „Großen Hallig“, Premierminister David Cameron, habe inakzeptable Forderungen gestellt, hieß es von empörten Teilnehmern des EU-Gipfels.
Die Reaktion der „Märkte“ auf den Gipfel war am zurückliegenden Freitag zunächst verhalten. Im weiteren Tagesverlauf besannen sie sich dann, Aktien drehten ins Plus. Auch der Euro zeigte wieder etwas Stärke, der Dollar-Index kontrahierte in Richtung eines wichtigen Pegels.
Ganz anders nach der EZB-Sitzung am Donnerstag, einen Tag zuvor. Sie brachte das Ergebnis, was mehrheitlich erwartet worden war, eine Zinssenkung zurück auf Krisenniveau und eine langfristige Versorgung des Bankensektors mit unbegrenzter Liquidität, gekoppelt mit einer Senkung der Anforderungen an Sicherheiten. Sie brachte jedoch das nicht, was viele erhofft hatten, nämlich die Zusicherung der EZB, Anleihemüll der GIIPS, in sehr viel größerem Umfang zu kaufen als bisher. Die EZB verweigerte sich vor dem EU-Gipfel dem Ansinnen, die Kohlen aus dem Feuer zu holen und erwartete von der Politik die entscheidenden ersten Schritte.
Hier, bei der EZB, reagierten die Finanzmärkte – mit deutlichen und breit angelegten Assetverkäufen. Da half es auch nur kurz, dass zeitgleich positive Nachrichten vom US-Arbeitsmarkt hereinkamen. Die heftige Reaktion auf die EZB-Entscheidung zeigt deutlich, dass die „Märkte“ eher eine geldpolitische Lösung favorisieren als Beschlüsse einer Politik, die jegliches Vertrauen verspielt hat, wie Merkel kürzlich so richtig sagte.
Die Politbürokratie kann nach dem Gipfel sagen: „Wir haben geliefert. Das Heft des Handelns liegt wieder bei der EZB.“ EZB-Präsident Draghi hat auch gleich reagiert: „Das ist ein sehr gutes Ergebnis für die Euro-Zone. Das kommt einem guten Haushaltspakt sehr nahe.” Mit anderen Worten: „Ich habe verstanden, jetzt ist die EZB dran.”
Und so wird man wohl bald von einer Ausweitung des SMP-Anleihekauf-Programms der EZB lesen und hören… Natürlich nur zeitlich befristet zur Begleitung der Umsetzung der auf der politischen Ebene beschlossenen Maßnahmen. Dass sich dies sehr lange hinziehen kann – wen stört das jetzt? Aus Sicht der „Märkte“ je länger, je lieber, umso mehr nähert sich die Politik der EZB so der der Fed an.
Die Umsetzung der Beschlüsse wird in der Tat Zeit brauchen. Mag sein, dass man die Verträge bis März 2012 zustande bringt – schließlich wimmelt es in Brüssel von Juristen. Aber in Kraft sind sie dann noch lange nicht. Die Materie ist komplex, erst recht nachdem nun nur noch eine Teilmenge der EU-Mitgliedsstaaten mitmacht. Die vertraglichen Regelungen müssen in Einklang zu den bestehenden EU-Verträgen sein, gleichzeitig sind rechtliche Hürden in einzelnen Mitgliedssaaten zu überwinden. Z.B. hatte Irland schon angekündigt, dass zur Umsetzung in nationales wohl ein Referendum erforderlich ist. Das dürfte auch für Deutschland gelten, weil die Verfassung die Aufgabe nationaler Hoheitsrechte verbietet.
Vermutlich ist auch nicht entscheidend, wie viel Zeit das Ganze bis zur Verwirklichung benötigt – die Festlegung auf eine Fiskalunion (oder ein Hauch davon) war, denke ich, sowieso eher als Propaganda gedacht.
Was gibt es sonst noch zu den Ergebnissen des EU-Gipfels zu sagen? Mit dem Ausschluss künftiger Haircuts ist eine wichtige Hürde für die Akzeptanz durch die Finanzindustrie weggefallen. Dies war übrigens stets eine wichtige Forderung der EZB. Ordnungspolitisch ist die “no bailout”-Regel damit wieder einmal (oder noch einmal oder schon wieder) zu Grabe getragen worden.
Treten wir einen Schritt zurück von der geldpolitischen Betrachtung und rufen uns nochmals die Ursache des aktuellen Debakels ins Gedächtnis: Eine übermäßige Verschuldung der Finanzsektors stand am Anfang der Misere. Die kam zustande durch übermäßige Ausrichtung in Richtung US-Immobilien- und Euro-Staatsanleihen-Giftmüll. Hierbei spielten auch falsche Urteile der Rating-Agenturen eine Rolle. Im Falle der PIIGS-Staatsanleihen entscheidend waren einheitliche Zinsen und Einheitswährung, die die Marktmechanismen bei der Risikobewertung dieser Papiere aushebelten. Im nächsten Schritt wurde die Verschuldung des Privatsektors durch Rettungsmaßnahmen, Garantien, Bürgschaften, Bank-Beteiligungen und Keynessche Anreize zum öffentlichen Sektor hin verschoben. Dessen Kosten explodierten, die Steuereinnahmen sind im Gefolge der Finanzkrise eingebrochen. Und so stehen wir jetzt vor der Überschuldung ganzer Staaten. Hauptsache, die Banken werden gerettet…
Maßnahmen, die darauf abzielen, wenigstens zu verhindern, dass sich eine solche Entwicklung wiederholt, sind auf dem EU-Gipfel nicht einmal angedacht worden. Im Gegenteil – mit dem Haircut-Verzicht wird der ordnungspolitisch richtige Weg, der bei der Griechenland-Rettung zögerlich beschritten wurde, wieder verlassen. Das Halten von PIIGS-Müll-Bonds wird wieder künstlich risikoarm gemacht. Das legt den Grundstein für die nächste Stufe in dieser Krise.
Zudem wird sich mit den beschlossenen Maßnahmen am makroökonomischen Gefüge nichts ändern. Insbesondere die impliziten Zahlungsbilanz-Ungleichgewichte durch Produktivitätsunterschiede werden nicht angegangen. Der Druck auf die PIIGS, sich durch Deflation anzupassen, bleibt bestehen. Und damit bleiben auch die inneren Spannungen der Eurozone erhalten, wie sie sich z.B. bei Taget2 zeigen.
Damit hat dieser Gipfel (wieder einmal) keine Weichen zur nachhaltigen Lösung der Euro-Krise gestellt. Besser der Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach? Gibt es noch kleinere Vögel als Spatzen?
Nur noch einmal zur Erinnerung, falls es demnächst heißen sollte, die Krise sei Vergangenheit: Italien z.B. muss in den nächsten zwei Jahren 400 Mrd. Euro an Staatsschulden refinanzieren (siehe Chart!).
Ein weiterer Punkt zum Thema „Ende der Krise“: Die jetzt veröffentlichten Ergebnisse eines erweiterten Stresstests bei europäischen Banken sind düster. Aus den neuen Eigenkapitalvorschriften (Tier-1-Ratio von 9%) in Zusammenhang mit marktnäherer Bewertung von Staatsanleihen ergibt sich ein Kapitalbedarf von insgesamt 115 Mrd. Euro. Die deutschen Banken haben eine Kapitallücke von 13,1 Mrd. Euro, die französischen eine von 7,3 Mrd. Euro. Die größte Lücke aller untersuchten Banken hat die spanische Banco Santander mit 15,3 Mrd. Euro.
Angesichts der Tatsache, dass nahezu alle Banken aktuell an der Börse unter ihrem Buchwert gehandelt werden und weiterem Druck auf ihre Gewinne ausgesetzt sind, dürften nur wenige in der Lage sein, frisches Eigenkapital zu heben. Die Unicredit will Anfang 2012 per Kapitalerhöhung 7,5 Mrd. Euro einsammeln. Das wird ein wichtiger Test!
Wenn die Banken kein ausreichendes Eigenkapital beschaffen können, wovon auszugehen ist, bleibt nur „Deleveraging“. Morgan Stanley schätzt, dass über die nächsten 18 Monate drei bis fünf Prozent ihrer Assets (oder 1,5 bis 2,5 Bill. Euro absolut) abgebaut werden müssen. Andere Schätzungen gehen von bis zu zehn Prozent aus. Da gleichzeitig politischer Druck ausgeübt wird, die Kreditvergabe „vor der Haustür“ nicht einzuschränken, dürften vor allem die Ausleihungen im internationalen Geschäft, vor allem in Asien, zurückgefahren werden. Die US-Banken wird es freuen.
Die Banken an der europäischen Peripherie stehen am stärksten unter Druck (siehe Tabelle). Oben an stehen Zypern, Griechenland, Portugal und Spanien.
Auch hier kann nur wieder das unfähige sich-treiben-lassen der europäischen Politik herausgestellt werden. Da verbringt man zunächst einmal viel Zeit damit, in 2010 einen Stresstest zu fabrizieren, der nur bei hellstem Sonnenschein funktionierte. Denn schon vier Monate später stand die irische Bankindustrie am Abgrund, die den Test zuvor klaglos passiert hatte. Dann wurde im Juli ein weiterer Test veranstaltet, ebenfalls unter wenig realen Bedingungen. Man hätte viel Zeit gehabt, beizeiten gegenzusteuern und die Banken krisenfester zu machen. Jetzt kommt alles zusammen – höhere Kapitalanforderungen, eine Bankenkrise, eine Staatsschuldenkrise und der schnell nachlassende Crack-up-Boom nach dem Herbst 2008.
Es gibt viel zu tun für die EZB.
Angesichts dieser Umstände steht noch dahin, ob das kommende Jahr ein gutes Börsenjahr für Long-Positionen wird. Hinzu kommt bei Aktien, dass das Kurs-Gewinn-Verhältnis im S&P 500 keineswegs „billig“ ist, es liegt immer noch ein Drittel über dem langfristigen Mittelwert von rund 14 (siehe Chart!). Und so lange die Inflationserwartungen zusätzlich verhalten bleiben oder sogar nachgeben, wie es angesichts der konjunkturellen Situation zu erwarten ist, fehlt ein zusätzlicher Kauf-Anreiz (mal abgesehen von einer immer noch möglichen "Weihnachts-Rallye").
Inflation – das ist genau das Thema, was in der nächsten Zeit hoch gekocht werden dürfte, wenn die EZB wie erwartet ihr SMP-Programm ausweitet und PIIGS-Sondermüll in ihre Bücher nimmt. Dabei sollte man im Hinterkopf behalten: Eine mechanische Verkopplung von Geldmenge im Finanzsektor und Inflation der Realwirtschaft gibt es nicht, erst recht nicht bei nachlassendem Wirtschaftswachstum. Inflationserwartungen spielen sicher keine unwesentliche Rolle, aber sie sind kein eigenständiger Faktor, sie wirken lediglich verstärkend oder bremsend auf einen makroökonomischen Trend.
Die Entwicklung des Goldpreises hat nach Untersuchungen von Wainright Economics einen Vorlauf von etwa 12 Monaten auf die Inflationsentwicklung. Insofern dürfte auch das Edelmetall nun verstärkt in den Fokus rücken, zumal Gold nicht mehr fern eines wichtigen Supports notiert.
Der Seismograph für das Urteil der "Märkte" zum EU-Gipfel ist der Dollar-Index, auch das Währungspaar Euro/Dollar. Beide zeigten zuletzt leichte Entspannung, aber noch keine "Freude" an. Hier wird man genau auf die EZB achten. Jegliches Zeichen für eine Ausweitung ihres SMP-Programms dürfte sich umgehend in Schwäche des Dollar-Index, bzw. Stärke des Euro niederschlagen.
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