Hier folgt eine Konkretisierung des Artikels "Eurokrise – Politik kontra Markt", der den Geburtsfehler der Euro-Währungsunion und seine Folgen abstrakt umreißt.
Die Charts hier sind einem Vortrag von Heiner Flassbeck und Friederike Spiecker mit dem Titel „Euroland: Von der Geldwertstabilität zur Deflation – Ein kurzer Beitrag zum langen Abschied“ entnommen.
Die Kommentare stammen von mir und müssen nicht zwingend der Intention der Verfasser entsprechen.
Mit Einführung des Euro im Jahre 1999 kam es zu starken Kapitalflüssen vom Kern in die Peripherie. Die eigentliche Ursache hierfür ist dabei aus meiner Sicht nicht der Euro selbst, sondern die einheitliche Geldpolitik mit deutschem Leitzins-Niveau bei sehr heterogenen Volkswirtschaften. Sie führte in der Peripherie in kurzer Zeit zu stark sinkenden Kreditkosten und ließ die Nachfrage nach Krediten hier sprunghaft anwachsen. Als Beispiel für die Zinsentwicklung der Verlauf 10-jähriger Staatsanleihen:
Entsprechende Leistungsbilanz-Ungleichgewichte waren die Folge, die Leistungsbilanzüberschüsse des Kerns zeigen einen entsprechenden Anstieg der Nettokapitalexporte.
Die Preise in der südlichen Peripherie steigen stärker an als im Kern, ebenso die Lohnstückkosten.
Die südliche Peripherie wächst bis 2007 deutlich stärker als z.B. Deutschland. Griechenland liegt im "Süden" vorn mit einem Wachstumsindex von rund 140, Deutschland kommt auf ca. 113. Irland ist Europameister mit knapp 155. Gleichzeitig bildet sich in diesem Jahr überall ein Tief bei der Staatsschuldenquote aus. Die steigt fortan in den "Südstaaten" schneller als im Kern.
So weit zum Ist-Zustand.
Flassbeck und Spiecker schlagen einen Ausweg aus der Krise vor, den auch angelsächsische Kommentatoren bewerben. Z.B. der 2008er Nobelpreisräger Krugman: Er geißelt die europäische Politik, sie würde nur alte Slogans über stabile Preise und fiskalische Verantwortung herunterbeten, könnte aber nicht zeigen, wie das Verfolgen dieser Tugenden mit einer Erholung der Eurozone zusammenpasst.
Flassbeck und Spiecker schlagen vor, die Geschichte mit umverteilten Rollen rückwärts laufen zu lassen: Der Kern, insbesondere Deutschland, soll die Lohnstückkosten stärker steigen lassen als die südliche Peripherie. So soll innerhalb von gut zehn Jahren eine Angleichung erzielt werden mit Nivellierung der Ungleichgewichte.
Erlegt man der gesamten Eurozone per Sparpolitik eine Lohnstückkosten-Steigerung nach deutschen Vorbild auf, so werde das Ende der Geldwert-Stabilität erreicht, meinen die Verfasser. Die Ungleichgewichte bleiben bestehen, es entwickelt sich in der gesamten Eurozone ein deflationäres Szenario.
Aus dem Vortrag wird (mir) nicht klar, wie der Angleichungsprozess bewerkstelligt werden soll. Das entscheidende Medium hierfür, freie Wechselkurse, gibt es nicht. Eine theoretische Möglichkeit wäre, die Zinspolitik zu splitten, praktisch scheitert das an der einheitlichen Währung. Schulden mit Schulden zu bekämpfen? Hierfür ist es bei den PIIGS zu spät, es geht nicht mehr um vorübergehende Liquiditäts-, sondern um Solvenzprobleme. Und beim Kern kratzt die Schuldenquote an der 90%-Marke von Reinhart und Rogoff. Bleibt die Aufspaltung in eine abgewertete "Süd-Euro"- und eine "Nord-Euro"-Zone. Einfach und "schmerzfrei"? Genausowenig wie alle anderen Rezepte.
Der Vortrag wurde gehalten beim Kocheler Kreis für Wirtschaftspolitik der Friedrich Ebert Stiftung auf der Tagung „Euroland in der Krise – die Zukunft des Euro“ vom 7. bis 9. Januar 2011. Er kann z.B. hier heruntergeladen werden.
Nachtrag
– Zitat aus dem 2004 erschienenen Buch "Weltsichten – Weitsichten" (Rethfeld/Singer, Seite 189): "Der Euro hat die ärmeren Volkswirtschaften der EU deutlich wachsen lassen, weil diesen durch Subventionen, günstige Euro-Kredite und Direktinvestitionen fehlendes Kapital zufloss. Mit dem Verzicht Deutschlands auf die (starke) Deutsche Mark wurde es möglich, so schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Hankel, „die Abwertungsprämien der europäischen Schwachwährungen von Lira, Peseta, Escudo, Drachme, Punt und so weiter auf den Euro abzuwälzen und zu vergemeinschaften“. Die hohen Zinsen dieser Länder glichen sich in diesem Zusammenhang auf das niedrige Niveau Deutschlands an, dem Europa-Meister der Kapitalakkumulation…"
(28.1.12) Eine gute Zusammenfassung und Diskussion der Beiträge von Mundell, McKinnon und Kenen zum Thema, welche Merkmale potenzielle Teilnehmer an einer Währungsunion erfüllen sollten, damit diese erfolgreich sein kann: "An Optimum Currency Area Odyssey"
(11.10.16) Lesenswert zum Thema auch "Von Eigenverantwortung in einer unumkehrbaren Schicksalsgemeinschaft".
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