Ohne Zweifel kein fairer Prozess

Der AfD-Politiker Björn Höcke wurde am 14. Mai 2024 zu einer Geldstrafe von 130 Tagessätzen zu 100 Euro verurteilt. Sein Vergehen: Er hat bei einem Wahlkampfauftritt am 29. Mai 2021 eine Rede mit „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland!“ beendet. Wenn das Urteil rechtskräftig würde, würde Höcke als vorbestraft gelten, weil die Strafe über 90 Tagessätzen liegt.

Besonders „interessant“: Die FAZ hatte am Morgen des vierten und letzten Verhandlungstages vor Prozessbeginn bereits den Ausgang des Verfahrens mit Nennung einer Geldstrafe gemeldet (siehe hier!). Das wurde alsbald als Versehen heruntergespielt. Andere Medien sprangen der FAZ bei und versuchten ebenfalls, das unter den Teppich zu kehren. Zufälle gibt es…

„Alles für Deutschland“ ist eine Losung, die von der SA, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP, verwendet wurde. Die Geschichte der Parole reicht aber viel weiter zurück. So schloss die Königliche Proklamation vom 6. März 1848 von König Ludwig I. von Bayern mit den Worten: „Alles für Mein Volk! Alles für Teutschland!“. In den 1930er Jahren finden sich auch Beispiele der Verwendung dieser Losung von Vertretern der SPD und der DNVP (Deutschnationale Volkspartei). Bereits 1923, also ein Jahrzehnt vor der Hitler-Diktatur, gebrauchte der parteilose Reichskanzler Wilhelm Cuno diese Worte (siehe z.B. hier und hier!).

Die von Höcke verwendete Losung gilt in der Rechtsprechung offenbar als Kennzeichen im Sinne eines Straftatbestands der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (§ 86 Abs. 1 Nr. 4 StGB und § 86a StGB). Wer sich jedoch im Verbotsirrtum befindet, geht straffrei aus, es muss ein Vorsatz nachgewiesen werden. So wurde etwa ein Verfahren gegen Ulrich Oehme, Kandidat und späterer Bundestagsabgeordneter der AfD, eingestellt, der im Bundestagswahlkampf 2017 Plakate mit dieser Losung aufhängen ließ. Man glaubte ihm, dass er die Parole ohne Wissen um den Nazi-Bezug verwendet hatte.

Ein Strafurteil ist einer der härtesten staatlichen Eingriffe des Staates in die Freiheit eines Bürgers. Schon leise Zweifel verbieten deshalb eine Verurteilung. Nicht umsonst heißt es „in dubio pro reo“. Der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ war schon Grundlage im römischen Strafrecht. Ohne Zweifel kein fairer Prozess.

Ein Gericht muss in einem rechtsstaatlichen Prozess unvoreingenommen sein. Es muss sich die von der Seite des Angeklagten vorgebrachten Argumente anhören und sich damit ernsthaft auseinander setzen. Wie hier dargestellt, war das Gericht im Fall Höcke offenbar von Zweifeln nicht geplagt. Es schien von Anfang an von Vorsatz auszugehen.

Bei Nazi-Parolen wie „Heil Hitler“, „mit deutschem Gruß“ oder „Sieg Heil“ ist die Sache ziemlich eindeutig. Da kann kaum jemand geltend machen, er habe nicht gewusst, dass das verbotene nationalsozialistische Kennzeichen sind.

Aber bei „Alles für Deutschland“ ist das im historischen Kontext keineswegs so klar, wie oben dargestellt. Sogar der Spiegel hatte im September 2023 (Print-Ausgabe 37/2023) eine Kolumne mit ebendiesem Spruch überschrieben.

Hätte das Gericht von vorneherein gewisse Zweifel gehabt, hätte es einen Gutachter hinzuziehen sollen. Offenbar aber war es sich hinsichtlich der unbedingten Zugehörigkeit der Parole zum Nazitum sicher. Ein Fehler – siehe oben!

Auch bei der Frage des Vorsatzes schien die Linie von vorneherein klar – eine (bestechend) einfache Logik: Höcke ist Lehrer für Geschichte (und Sport), also muss er zwingend den Charakter des Spruches gekannt haben. Höcke hat den Vorsatz bestritten, er habe nicht gewusst, dass die Parole auch von der SA benutzt worden ist. Merke: Nicht jeder Geschichtslehrer hat zwingend Spezialwissen zu allen Details seines Fachgebiets. Zweifel des Gerichts? Fehlanzeige.

Hat Rechtsaußen Höcke den Zusammenhang des ihm zur Last gelegten Spruchs mit den Nazis gekannt und ihn bewusst, also mit Vorsatz, eingesetzt? Mag sein, mag nicht sein. Das war ohne Zweifel kein fairer Prozess. Er hatte kein faires Verfahren, wie hier dargestellt wird. Und darauf hat jeder Anspruch.

Ein kurzer Prozess ohne Zweifel endet nach einem langen Verhandlungstag – unmittelbar nach den Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung wird das Urteil verkündet. Offenbar brauchte das Gericht keine Zeit, um die Inhalte der Plädoyers zu bedenken. War das Urteil also schon fertig, als die Plädoyers gehalten wurden? Oder noch früher?

Nach Umfragen ergibt sich, dass zunehmende Teile der Bevölkerung der Meinung sind, man könne heutzutage nicht mehr alles sagen. Und die Bedenken haben einen Grund: Innenministerin Faeser und Verfassungsschutzpräsident Haldenwang wollen auch gegen Meinungsäußerungen „unterhalb der Strafbarkeits-Grenze" vorgehen. Das aber ist verfassungswidrig, es ist ein Angriff auf die im Grundgesetz geschützte freie Meinungsäußerung.

Der Verlauf des Prozesses gegen Höcke bestärkt den Eindruck einer breiten Front gegen demokratische Grundrechte.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle]

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