8. Mai – der doppelte Feiertag, der keiner ist

Vor 75 Jahren wurde das deutsche Grundgesetz verabschiedet. Und vor 83 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Beide Ereignisse setzten einen Schlusspunkt unter die Hitler-Diktatur. Mit dem Grundgesetz war zugleich die Hoffnung verbunden, dass von Deutschland nie wieder Krieg und Völkermord ausgehen möge.

Man kann es nicht oft genug wiederholen: Die tiefen Ursachen für Faschismus und Krieg liegen im Versuch des Kapitals, die Welt neu aufzuteilen. Die NSDAP wurde von 1927/28 an von Großindustriellen unterstützt, nach der Wahlniederlage der konservativen Rechten im November 1932 zeigte die Großindustrie insgesamt eine vorwiegend NS-freundliche Haltung.

Die Gewinner des Ersten Weltkriegs waren der Auffassung, Deutschland müsse für seine Missetaten schmerzvoll büßen. Dies trug zu starken revanchistischen Tendenzen bis tief hinein in die deutsche Bevölkerung bei. John Maynard Keynes war zeitweilig Teilnehmer an den Verhandlungen von Versaille, die zum Friedensvertrag vom 28. Juni 1919 führten. Er warnte früh vor den Konsequenzen übermäßiger Reparationsforderungen (siehe z.B. hier!).

Das Grundgesetz – ich denke, seine Mütter und Väter ließen sich mit ihren Erfahrungen im Nazi-Regime davon leiten, für sich und ihre Nachkommen eine menschlichere Welt zu schaffen, ein Leben in Würde, Freiheit und Frieden.

Und so beginnt das Grundgesetz mit den Worten: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Würde ist über allen Preis erhaben – so sagte es Immanuel Kant im 18. Jahrhundert. Preise sind veränderlich, Menschenwürde aber ist etwas Absolutes, sie ist nicht verhandelbar. Sie gilt immer und überall – unabhängig von Hautfarbe, Religion, Nationalität, Geschlecht, Beruf und Stand in der Gesellschaft. Würde schließt die persönliche Freiheit ein, die Unverletztlichkeit der Person und ihres näheren Umfelds.

Unmittelbar auf diesen ersten Satz folgt: „Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Damit ist klar, der Staat hat dem Menschen, dem Bürger, zu dienen. Er hat immer und überall die Menschenwürde in all ihren Facetten zu bewahren und zu verteidigen. Umgekehrt ergibt sich daraus auch die klassische Funktion der Menschenrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegen freiheitseinschränkende Eingriffe des Staates.

Die Menschenwürde umfasst die persönlichen Freiheitsrechte, etwa: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ „Eine Zensur findet nicht statt.“ „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Und auch: „Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.“ „Alle Deutschen genießen Freizügigkeit im ganzen Bundesgebiet.“ „Die Wohnung ist unverletzlich.“ „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ „Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.“

Und dann kommen zwei Sätze, die aus dem Rahmen fallen:

(1) „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Der Satz scheint im Widerspruch zu stehen zu den persönlichen Freiheitsrechten: Man soll nicht unbegrenzt freizügig über sein Eigentum verfügen können. Das Wohl der Allgemeinheit steht über der Verfügungsmacht des Eigentümers. Hierzu bestimmt das Grundgesetz sogar, dass Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden können. Es stellt damit die Gemeinwirtschaft auf die gleiche Stufe wie die Privatwirtschaft.

(2) „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Nicht eine Ansammlung von Einzelpersonen, sondern eine Gemeinschaft, eben das Volk, übt die Staatsgewalt aus. Die Summe ist mehr als die Summe der Teile – das Wesen der Gemeinschaft ist der innere Zusammenhang, der Dialog, der Austausch, die Solidarität untereinander. Die Eigentumsverpflichtung unterstreicht das noch: Die, die etwas haben, sei es Macht, Besitz, Wissen und Können, sollen es zum Wohle der Gemeinschaft einsetzen. Ansonsten zerbricht die Gemeinschaft und „Volk“ verkommt zu einer leeren Worthülse.

Auch wenn das Grundgesetz in erster Linie die Menschenwürde und die persönlichen Freiheitsrechte begründet, so fordert es von den Mitgliedern dieses Staates, den Bürgern, auch: Sie sollen eine Gemeinschaft bilden und jedes Mitglied hat die Verantwortung, seinen Teil zum Wohle des Ganzen beizutragen.

So viel zu der Vision, wie sie die Mütter und Väter des Grundgesetzes niedergelegt haben.

Wie viel davon finden Sie in der heutigen Realität der bundesrepublikanischen Gesellschaft wider?

Ist das Volk noch der Souverän und der Staat sein Werkzeug?
Bewahrt und verteidigt der Staat immer und überall die Menschenwürde in all ihren Facetten?
Gibt es das Volk noch oder zerfällt es in eine Ansammlung von Individuen?
Wie steht es mit der Vorschrift des Grundgesetzes „Eine Zensur findet nicht statt“?
Was ist, wenn der Bundestag die Souveränität hinsichtlich Gesundheitspolitik in Teilen an die WHO abtritt?

Ergänzung
Die Verabschiedung des Grundgesetzes war am 8. Mai 1949. Es trat in der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1949 in Kraft.

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