Die Ära der Niedrigzinsen ist zu Ende

Der langjährige wirtschaftliche Konsens, dass die Zinssätze auf unbestimmte Zeit niedrig bleiben und die Verschuldung damit kostenlos ist, ist nicht mehr haltbar. Selbst wenn die Inflation zurückgeht, werden u.a. die steigenden Schuldenstände, die Deglobalisierung, der grüne Wandel und der populistische Druck für höhere Zinsen sorgen.

Es ist an der Zeit, die weithin vorherrschende "free lunch"-Ansicht der Staatsverschuldung zu überdenken, schreibt Kenneth Rogoff in „Higher Interest Rates Are Here to Stay“. Ich bringe nachfolgend eine gekürzte, freie Übersetzung, Hervorhebungen von mir.

Viele vertraten die Ansicht, dass Regierungen in Rezessionen hohe Defizite und in normalen Zeiten nur geringfügig niedrigere Defizite aufweisen sollten. Niemand schien sich um die möglichen Risiken zu kümmern, insbesondere nicht um die Inflation und die Zinssätze. Der am meisten fehlgeleitete Ansatz bestand darin, die Zentralbanken zum Ankauf von Staatsschulden einzusetzen, was bei kurzfristigen Zinssätzen von Null ohne Kosten zu sein schien. Diese Idee ist der Kern der modernen Geldtheorie (MMT) und des „Helikoptergeldes".

In den zurückliegenden Jahren haben sogar prominente Makroökonomen die Idee ins Spiel gebracht, die US-Notenbank solle die Staatsschulden abschreiben, nachdem sie sie durch quantitative Lockerung (QE) aufgekauft hat – eine scheinbar einfache Lösung für jedes potenzielle Staatsschuldenproblem. Bei diesem Ansatz wurde jedoch davon ausgegangen, dass selbst bei einem Anstieg der weltweiten Realzinsen dieser nur allmählich und vorübergehend erfolgen würde.

Die Möglichkeit, dass ein starker Anstieg der Zinssätze die Zinszahlungen für bestehende Schulden, einschließlich der von den Zentralbanken als Bankreserven gehaltenen Schulden, drastisch erhöhen würde, wurde einfach abgetan. Doch nun ist es so weit: Die Fed, die zuvor null Zinsen auf diese Reserven zahlte, zahlt nun mehr als 5%.

Sicherlich wird die nächste Rezession, wann auch immer sie eintritt, zu einem deutlichen Rückgang der Zinssätze führen, was dem stark überschuldeten US-Gewerbeimmobilienmarkt eine vorübergehende Atempause im Kontext sinkender Mieten und steigender Finanzierungskosten verschaffen könnte.

Aber selbst wenn die Inflation zurückgeht, werden die Zinssätze in den nächsten zehn Jahren wahrscheinlich höher bleiben als in den zehn Jahren nach der Finanzkrise 2008. Darin spiegeln sich verschiedene Faktoren wider, darunter die steigende Verschuldung, die Deglobalisierung, höhere Verteidigungsausgaben, der grüne Wandel, populistische Forderungen nach Einkommensumverteilung und die anhaltende Inflation. Sogar die demografischen Veränderungen, die oft als Begründung für dauerhaft niedrige Zinssätze angeführt werden, könnten sich in den Industrieländern anders auswirken, da sie ihre Ausgaben erhöhen, um die schnell alternde Bevölkerung zu unterstützen.

Die Welt kann sich sicherlich an höhere Zinssätze anpassen, aber der Übergang ist noch nicht abgeschlossen.

Für die europäischen Volkswirtschaften könnte die Umstellung eine besondere Herausforderung darstellen, da die extrem niedrigen Zinssätze der Klebstoff waren, der die Eurozone zusammenhielt. Die Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank nach dem Motto „koste es, was es wolle" schien kostenlos zu sein, als die Zinssätze nahe Null lagen, aber es ist unklar, ob der Block künftige Krisen überstehen kann, wenn die Realzinsen hoch bleiben.

Japan wird es schwer fallen, von seiner „Null-Zins-Politik" abzurücken, da sich seine Regierung und sein Finanzsystem daran gewöhnt haben, Schulden als kostenlos zu behandeln. In den USA könnte die Anfälligkeit des gewerblichen Immobiliensektors in Verbindung mit einer erhöhten Kreditaufnahme eine weitere Inflationswelle auslösen. Hinzu kommt, dass die großen Schwellenländer zwar bisher mit den hohen Zinssätzen zurechtgekommen sind, aber mit einem enormen fiskalischen Druck zu kämpfen haben.

In diesem neuen globalen Umfeld müssen politische Entscheidungsträger und Ökonomen ihre Überzeugungen angesichts der aktuellen Marktrealitäten neu bewerten. Es ist zwar möglich, Sozialprogramme auszuweiten oder die militärischen Fähigkeiten zu verbessern, ohne große Defizite zu machen, aber dies ohne Steuererhöhungen zu tun, ist nicht ohne Kosten. Wir werden wahrscheinlich auf die harte Tour herausfinden, dass es das nie war.

Über den Autor
Kenneth Rogoff, Professor für Volkswirtschaftslehre und Public Policy an der Harvard University und Träger des Deutsche Bank Prize in Financial Economics 2011, war von 2001 bis 2003 Chefökonom des Internationalen Währungsfonds. Er ist Mitautor von This Time is Different: Eight Centuries of Financial Folly (Princeton University Press, 2011 – siehe hier!) und Autor von The Curse of Cash (Princeton University Press, 2016).

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