Auf den Nahen Osten entfallen 31% der weltweiten Ölproduktion, 18% der Erdgasproduktion, 48% der nachgewiesenen Öl-. sowie 40% der Erdgasreserven der Welt. Daher ist es leicht zu verstehen, warum jede militärische Aktivität in der Region die Öl- und Erdgasmärkte beeinflusst.
Das schreibt Ellen R. Wald, Präsidentin von Transversal Consulting und Senior Fellow beim Global Energy Center des Atlantic Councils, am 17. Oktober. Nachfolgend bringe ich eine stellenweise freie Übersetzung des Artikels „Israel, Hamas and 30 Million Barrels of Oil".
In der Regel schnellen die Ölpreise in die Höhe, sobald Nachrichten über Gewalttaten, die die Region destabilisieren könnten, eintreffen. Meistens erweist sich diese Preisspitze als vorübergehend, weil sich bald herausstellt, dass das Ereignis weder die großen Ölkonzerne noch die energiestrategischen Gebiete betrifft. Dies war bei den vergangenen Angriffen der Hamas auf Israel und nach den jüngsten Angriffen Syriens auf militante Gruppen in diesem Land der Fall.
Der Angriff der Hamas [vom 7. Oktober] ist anders. Das Ausmaß der begangenen Gräueltaten, die Beteiligung eines wichtigen Akteurs auf dem Ölmarkt (Iran) und Israels neuer Status als Erdgasproduzent und -exporteur bedeuten eine Bedrohung der globalen Energiemärkte.
Amerikanische Beamte sagen, dass sie immer noch keine Beweise haben, die den Iran direkt mit den Anschlägen in Verbindung bringen. Eine Untersuchung der New York Times hat aber ergeben, dass Führer aus dem Iran, der Hisbollah und der Hamas den Anschlag gemeinsam geplant und die Hamas-Kämpfer, die ihn ausführten, ausgebildet haben. [Hier betreibt die New York Times Kriegstreiberei.]
In jedem Fall wäre die Hamas ohne materielle Unterstützung des Irans nicht in der Lage gewesen, einen solchen Überfall durchzuführen. Der Iran schickt jedes Jahr mindestens 100 Mio. Dollar an die Hamas, die Raketen der Hamas werden mit iranischen Teilen und nach iranischen Entwürfen gebaut.
Wenn Israel direkt gegen den Iran Vergeltung übt oder indirekt durch Angriffe auf die Hisbollah oder das iranische Korps der Islamischen Revolutionsgarden in den Nachbarländern, dann könnte sich der lokale Konflikt zu einem regionalen ausweiten – vor allem, wenn die USA einen solchen Angriff vorher genehmigt haben.
Das größte Potenzial für eine regionale Eskalation besteht im Libanon, wo die Hisbollah (eine vom Iran gegründete und finanzierte Terrorgruppe) Nordisrael angreifen könnte, um die Aufmerksamkeit vom Gazastreifen abzulenken und die israelischen Streitkräfte zu spalten. (…)
Bisher haben die USA keine Änderungen an ihrem Militäreinsatz im Persischen Golf vorgenommen, sie haben aber als Reaktion auf die Hamas-Attacke zwei Flugzeugträger-Kampfgruppen in das östliche Mittelmeer entsandt. Als Ziel wurde genannt, „jeden staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur" von einer Eskalation des Konflikts abzuhalten.
Jegliche militärische Aktivität im Persischen Golf, insbesondere wenn es um die sichere Durchfahrt durch die Meerenge der Straße von Hormus geht, würde zu einem erheblichen Anstieg der Ölpreise führen, da täglich etwa 21% des weltweiten Ölverbrauchs durch diese Engstelle transportiert werden.
Der Iran ist derzeit der drittgrößte Ölproduzent im Nahen Osten hinter Saudi-Arabien und dem Irak. Er produzierte im September nach Angaben von S&P Global durchschnittlich mehr als 3 Mio. Barrel pro Tag (BPD). Nach Angaben von TankerTrackers.com exportierte der Iran im September etwa 1,6 Mio. BPD Öl, hauptsächlich nach China, und erzielte damit einen geschätzten Tageswert von 144 Mio. Dollar.
Obwohl iranisches Öl technisch gesehen unter US-Sanktionen fällt, konnte der Iran sein Öl an Kunden verkaufen, die bereit waren, den Zorn der USA zu riskieren, oder die bereit waren, komplizierte Schiff-zu-Schiff-Transfers über Tankerrouten durchzuführen, um die Herkunft des Rohöls zu verschleiern.
Je höher der Preis für nicht-sanktioniertes Rohöl ist, desto attraktiver wird sanktioniertes Rohöl oder „Schwarzmarktöl" für die Abnehmer. Es ist möglich, dass die USA versuchen werden, ihre Sanktionen gegen iranisches Öl zu verschärfen, insbesondere wenn der politische Druck auf die Regierung Biden zunimmt.
Solange die USA nicht bereit sind, ihre Seestreitkräfte einzusetzen, um Tanker, die verdächtigt werden, iranisches Öl zu transportieren, auf See festzuhalten oder iranische Tanker, die versuchen, den Persischen Golf zu verlassen, zu blockieren, wird eine Verschärfung der Sanktionen kein Gewicht haben.
Am Tag vor dem Hamas-Anschlag teilte Saudi-Arabien dem Wall Street Journal zufolge der Regierung Biden mit, dass es eine Erhöhung der Ölproduktion im Jahr 2024 in Betracht ziehen würde, um die Ölpreise als Geste des guten Willens zu senken und ein Abkommen zu sichern, in dem Saudi-Arabien Israel im Austausch für einen Verteidigungspakt mit den USA anerkennt. Es wurde vermutet, dass das Abkommen auch die Unterstützung der USA im Nuklearbereich einschließen würde.
Saudi-Arabien hält einseitig 1 Million BPD Ölproduktion vom Markt zurück, um die Preise zu stützen. Dieser Schritt deutet darauf hin, dass Riad befürchtet, die Regierung Biden wolle die Atomwaffenverhandlungen mit dem Iran wieder aufnehmen, und sich zuvor die Unterstützung der USA bei der Verteidigung des Landes sichern möchte. Saudi-Arabien war offenbar auch bereit, seine Forderung aufzugeben, dass die Anerkennung Israels nur im Rahmen eines regionalen Friedensplans, einschließlich der Schaffung eines palästinensischen Staates, erfolgen darf.
Mehrere Analysten und Akademiker, darunter auch ich, sind der Meinung, dass der Angriff der Hamas darauf abzielte, jede Hoffnung auf einen solchen Plan zu zerstören.
Im Juni diesen Jahres nahm Saudi-Arabien die diplomatischen Beziehungen zu Teheran wieder auf und erlaubte dem Iran, seine Botschaft in Riad wieder zu eröffnen. Am 12. Oktober erhielt der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman einen Anruf von Irans Präsident Ebrahim Raisi. In der saudischen Pressemitteilung zu diesem Telefonat heißt es, der Kronprinz habe die „unerschütterliche Haltung Saudi-Arabiens bei der Unterstützung der palästinensischen Sache und der Bemühungen um einen umfassenden und fairen Frieden, der das legitime Recht des palästinensischen Volkes gewährleistet", zum Ausdruck gebracht. Diese Erklärung ist bemerkenswert, weil sie den Begriff „palästinensischer Staat" nicht verwendet, was darauf hindeutet, dass Saudi-Arabien hofft, seine Verteidigungsverhandlungen mit den USA wieder aufnehmen zu können.
Wenn sich der Konflikt auf den Persischen Golf ausweitet, wird Saudi-Arabien gezwungen sein, die Produktion schnell hochzufahren. Aramco, die nationale saudische Ölgesellschaft, ist darauf gut vorbereitet und hat bewiesen, dass sie die Produktion innerhalb weniger Wochen auf 12,3 Mio. BPD steigern kann. Das Problem wird sein, dieses Öl aus der Straße von Hormus herauszubekommen.
Aramco verfügt zwar über die Kapazität, das im Osten des Landes geförderte Öl über seine Ost-West-Pipeline zu Raffinerien und Häfen am Roten Meer zu transportieren, doch sind diese Pipelines und Häfen nicht für eine solche Ölmenge ausgelegt. In diesem Fall wäre Öl aus den USA und den strategischen Reserven Chinas entscheidend, um die Weltmarktpreise nicht in die Höhe schnellen zu lassen.
Der Markt, der seit Beginn der Gewalt am stärksten betroffen ist, ist der für europäisches Erdgas. Dieser Markt ist bereits durch die Sabotage der Nord-Stream-Pipelines und die Sanktionen gegen russisches Erdgas unter Druck geraten. In den zurückliegenden Jahren hat sich Israel zu einem wichtigen Erdgas-Produzenten und -exporteur im Mittelmeerraum entwickelt. Über seine Offshore-Gasfelder Tamar und Leviathan deckt Israel seinen heimischen Energiebedarf und exportiert Gas nach Jordanien und Ägypten. Auch Ägypten verflüssigt israelisches Erdgas in seinen beiden Verflüssigungsanlagen und exportiert es nach Europa.
Nach den Anschlägen der Hamas ordnete Israel an, die Arbeiten im Tamar-Feld einzustellen. Dies hat zu einem Anstieg der Erdgaspreise in Europa geführt, der sich in nächster Zeit nicht abschwächen wird.
Israel kann einem Waffenstillstand mit der Hamas nicht zustimmen. Die Brutalität der Angriffe auf Israelis in ihren Häusern und die Unmenschlichkeit der Folterungen von jüdischen Frauen, Kindern und älteren Menschen, die als Geiseln gehalten werden, sind für Israel Grund genug, die Hamas zu vernichten.
Es bleibt die Unsicherheit, ob sich der daraus resultierende Konflikt auf die Hisbollah ausweiten wird – und von dort aus auf den Iran, Saudi-Arabien und 30 Mio. BPD der weltweiten Ölversorgung.
Es folgen eine graphische Darstellung der weltweit täglich geförderten Erdölmenge, des Preisverlaufs von Brent Crude, sowie eine Einschätzung, wohin die Preise gehen könnten – hier.
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