VR China – Wachstumsdelle oder mehr?

Die Wirtschaft der VR China steht zweifellos vor strukturellen Herausforderungen: Die Produktivität sinkt, die Erwerbsbevölkerung schrumpft, die Technologietransfers durch die USA und andere Länder werden beschänkt, der Immobiliensektor befindet sich in einer anhaltenden Korrektur, die Arbeitslosigkeit bei jüngeren Arbeitnehmern ist hoch.

Zu allem kommt eine Führung, die der Parteikontrolle und der nationalen Sicherheit offenbar Vorrang vor dem Wirtschaftswachstum einräumt. Chinas Wachstum kann nicht mehr annähernd an das Tempo der Jahre 1980 bis 2010 anknüpfen. Damals betrug das jährliche Wachstum des BIP im Durchschnitt rund 10%.

Im zweiten Quartal 2023 wuchs das chinesische BIP im Jahresvergleich um 6,3%. Der Anstieg war jedoch zum Teil auf das schwache Wachstum im zweiten Quartal 2022 zurückzuführen. Rechnet man den Basiseffekt heraus, so blieb die Leistung im zweiten Quartal hinter den Erwartungen der Anleger zurück. Die Enttäuschung ergab sich zum Teil dadurch, dass das Wachstum des privaten Konsums im Quartalsvergleich auf 15% zurückging, im ersten Quartal lag es noch bei 33%. Der Anstieg im ersten Quartal war jedoch das Ergebnis einer sehr schwachen Entwicklung im vierten Quartal 2022. Ende 2022 waren die COVID-Sperren aufgehoben worden, das führte zu einem Einmal-Effekt.

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Chinas Importe haben sich ebenfalls abgeschwächt, in den ersten sieben Monaten des Jahres 2023 sind sie um 7,6% gesunken. Der Rückgang des nominalen Importwachstums war jedoch auf Preiseffekte zurückzuführen, in Bezug auf das Volumen stiegen die Importe um ein Prozent. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres war ein Rückgang von 6,4% zu verzeichnen. Somit signalisieren die Importe im ersten Halbjahr 2023 eine (leicht) steigende Binnennachfrage.

Die Bankeinlagen haben sich während der Pandemie erhöht. Die stichhaltigste Erklärung dafür ist, dass die Haushalte während der Pandemie keine Möglichkeit hatten, umfangreiche Ausgaben zu tätigen. Daher stiegen die Ersparnisse der Haushalte zwangsläufig an, ein Großteil davon floss in Bankeinlagen. In der ersten Jahreshälfte 2023 wuchsen die Bankeinlagen der privaten Haushalte in etwa demselben Tempo wie 2022.

Die aggregierten nationalen Daten für das erste Halbjahr 2023 sehen eine Zunahme des Pro-Kopf-Konsums um 8,4%, sowie ein Wachstum des verfügbaren Pro-Kopf-Einkommens nach Steuern von 6,5%. Das deutet auf einen Wendepunkt hin, die Sparquote sinkt, die Konsumausgaben steigen. Die Kombination aus steigenden persönlichen Einkommen und sinkender Sparquote legt nahe, dass das zukünftige Konsumwachstum der privaten Haushalte positiv überraschen dürfte.

Die Einzelhandelsumsätze sind im Juli den siebten Monat in Folge angestiegen. Das Wachstum war mit 2,5% im Vergleich zum Vorjahresmonat aber schwächer als im Juni, als der Wert bei 3,1% lag.

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Die Erwartungen für Juli hatten bei 4,5% gelegen. Die Verfehlung hatte Hoffnungen auf finanzielle Anreize der Regierung und der PBoC verstärkt. Allerdings wird das, was bisher getan wurde, als unzureichend angesehen, insbesondere vor dem Hintergrund des schwachen Immobiliensektors.

Der Rückgang der Verbraucherpreise im Juli 2023 um 0,3% gegenüber dem Vorjahr löste Befürchtungen aus, die Wirtschaft könnte deflationäre Tendenzen ausbilden. Die Kermninflation (ohne Nahrungsmitte und Energie) stieg jedoch im Juli um 0,8% nach einem Anstieg von 0,4% im Juni. Demzufolge dürfte die Sorge, Verbrauchsausgaben könnten aufgeschoben werden, zumindest verfrüht sein. Aber auch hier gilt: Gut ist anders.

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Die schwachen staatlichen und privaten Investitionen in der ersten Hälfte des Jahres 2023 sind darauf zurückzuführen, dass die Lagerbestände der Industrieunternehmen Ende 2022 einen historischen Höchststand erreicht hatten. Im Gegensatz zu den USA hat China während der Pandemie keine Barmittel an die Haushalte überwiesen. Um jedoch das Einkommen der Haushalte indirekt zu stützen, senkte die Regierung einige Unternehmenssteuern und hielt die Unternehmen davon ab, Mitarbeiter zu entlassen. So wurde in vielen Fällen die Produktion fortgesetzt, während die Verkäufe zurückgingen. Die Folge war das Rekordniveau der Lagerbestände.

Infolge der hohen Lagerbestände war der kurzfristige Anreiz für Investitionen zur Ausweitung der Produktionskapazitäten im verarbeitenden Gewerbe in der ersten Jahreshälfte 2023 gering. Da aber die Lagerbestände in der ersten Jahreshälfte geschrumpft sind, dürften sich die Voraussetzungen für künftig höhere Investitionen allmählich wieder verbessern.

Während der Pandemie wuchsen die privaten Investitionen weiter, schwächten sich aber im Vergleich zum Expansionstempo der staatlichen Investitionen ab. Zwei Faktoren trugen besonders stark zu der relativen Verlangsamung der Privatinvestitionen bei – die verstärkte Regulierung von Internetunternehmen und eine Korrektur im Immobiliensektor.

Das plötzliche Durchgreifen der Regierung gegenüber den überwiegend privaten Internetplattform-Unternehmen ab Ende 2020 belastete deren Erträge, Investitionen und Einstellungen. Im Juli 2023 erklärten die Regulierungsbehörden, die Probleme bei den Finanzaktivitäten der dieser Unternehmen seien behoben. Die Firmen, etwa Alibaba, ByteDance, Meituan und andere, reagierten mit verstärkter Einstellung neuer Mitarbeiter, die Entlassungswelle des Jahres 2022 endete. Ihre Rentabilität wird in Zukunft unter dem neuen System der „normalisierten Aufsicht" wohl geringer sein als mit dem Laissez-faire-Regulierungsansatz zuvor. Aber sie wird mit Sicherheit von den niedrigen Niveaus des Jahres 2022 und der ersten Hälfte des Jahres 2023 aus zunehmen und das Wachstum der privaten Investitionen insgesamt unterstützen.

Die Immobilieninvestitionen sind im Jahr 2022 im Jahresvergleich um 10% und in der ersten Hälfte des Jahres 2023 um weitere acht Prozent eingebrochen. Die meisten Immobilieninvestitionen wurden von privaten Unternehmen getätigt, der Rückgang hatte und hat also deutliche Auswirkungen auf das Gesamtniveau der privaten Investitionen. Die privaten Immobilienunternehmen bauen nun Schulden ab und werden wahrscheinlich nicht neu investieren, sondern versuchen, bereits verkaufte, aber noch nicht fertiggestellte Projekte abzuschließen. Somit wird der Immobiliensektor weiterhin ein Hindernis für ein überzeugendes Wachstum der privaten Investitionen darstellen.

Der hohe Stand an Schulden, insbesondere im Immobiliensektor, aber auch im Staatapparat belastet. China Evergrande hat in der vergangenen Woche Gläubigerschutz in den USA beantragt. Der hochverschuldete Immobilienkonzern hat in den vergangenen beiden Jahren etwa 77 Mrd. Dollar angehäuft. Anleihen des Immobilienkonzerns Country Garden waren vom Handel ausgesetzt worden, er war mit Zinszahlungen im Verzug. Chinesische Lokalregierungen sind mit über 11 Bill. Dollar verschuldet, die Zentralregierung hat Untersuchungen eingeleitet. Ray Dalio schreibt dazu, dass offensichtlich eine große Umschuldung notwendig ist. Die mit Schulden belasteten Bilanzen und die belastenden Schuldendienst-Zahlungen frieren die Wirtschaft ein, insbesondere auf Provinzebene und vor allem in einigen der ärmsten Provinzen, so Dalio.

Die Quote der Staatsverschuldung ist stetig angestiegen und liegt jetzt bei knapp 80% des BIP. Eine deutliche Belastung des Wachstums liegt bei „Emerging Markets“ ab einem Wert von 60% vor, für entwickelte Volkswirtschaften gilt einer von 90%. Sowohl in 2009 wie auch in 2020 hat die Schuldenquote Chinas einen ordentlichen Satz nach oben gemacht.

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Die COVID-Pandemie, bzw. die staatliche Reaktion darauf hat zu tiefen Einschnitten in der chinesischen Wirtschaft geführt. Die wirtschaftliche Erholung dürfte begonnen haben. Aber sie ist noch keineswegs stabil, so dass China weiterhin gefährdet ist, in eine zyklische Abwärtsspirale abzurutschen. Der Schwachpunkt ist ganz klar der hochverschuldete Immobiliensektor. Er kann als Brandbeschleuniger wirken, wenn sich die Verbrauchsausgaben nicht weiter erholen, und zwar kräftig.

[Unter Verwendung von Material aus dieser Quelle; andere sind im Text verlinkt]

Ergänzung
In diesem Artikel geht es v.a. um die Exportseite der chinesischen Wirtschaft.

Nachtrag
(24.8.22) State Street Global Advisors sieht den schwachen Konsum nach der Corona-Krise und das Fehlen politischer Anreize als Grund dafür, dass die Stimmung in der gesamten Realwirtschaft weiterhin verhalten ist. Gemäß der PriceStats-Reihe liegen die Supermarktpreise in China mit Jahresraten von um die minus drei Prozent im deutlich negativen Bereich (Chartquelle: Pressemitteilung von State Street Global Advisors).

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Demnach fragt sich State Street Global Advisors, warum chinesische Regierung und Notenbank nicht aggressiver vorgehen, um das Wachstum zu unterstützen. Das Land sei eher der Gefahr einer Deflation ausgesetzt ist als einer Disinflation.

(24.8.23) Siehe auch „Ein giftiger Cocktail: Wieso China mehr als nur ein Immobilienproblem hat"!

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