Galbraight: Warum die Fed-Politik nicht wirkt

Von den Inflationsbefürwortern, die vor staatlichen Konjunkturprogrammen warnten, bis hin zu den Progressiven, die die Zinserhöhungen der Federal Reserve beklagten, hat so ziemlich jeder die jüngsten makroökonomischen Indikatoren der USA falsch verstanden.

Um zu erkennen, was wirklich vor sich geht, müssen wir uns von überholten Modellen und orthodoxen Annahmen verabschieden, schreibt James K. Galbraith in einem Beitrag „Unpacking America’s ‚Soft Landing’” auf Project Syndicate.

Ich gebe im folgenden die Übersetzung dieses Beitrags unkommentiert wider. Galbraith argumentiert, gerade die Zinszahlungen auf die hohe US-Staatsverschuldung sind eine Ursache dafür, dass die Leitzinssteigerungen der Fed das BIP nicht bremsen können.

Im Jahr 2021 und Anfang 2022 kritisierte eine Reihe prominenter Wirtschaftswissenschaftler -darunter Lawrence H. Summers, Jason Furman und Kenneth Rogoff, alle von der Harvard University- das Steuer- und Investitionsprogramm der Regierung Biden und drängte die US-Notenbank, die Zinssätze zu erhöhen. Ihr Argument war, dass sich die durch die Bundesausgaben angeheizte Inflation als „hartnäckig" erweisen würde, so dass ein nachhaltiger Übergang zu Sparmaßnahmen erforderlich wäre. Laut einer von Furman angeführten Studie müsste die Arbeitslosigkeit leider mehrere Jahre lang auf mindestens 6,5% steigen.

Auch wenn es diesem Trio (und vielen gleichgesinnten Kommentatoren) nicht gelang, das Weiße Haus oder den Kongress zu beeinflussen, so waren sie doch im Einklang mit dem Fed-Vorsitzenden Jerome Powell und seinen Kollegen, die Anfang 2022 mit der Anhebung der Zinssätze begannen und dabei geblieben sind. Die rasche geldpolitische Straffung der Fed veranlasste Progressive, angeführt von Senatorin Elizabeth Warren aus Massachusetts, bald zu der Befürchtung, dass dies eine Rezession, Massenarbeitslosigkeit und (auch wenn sie es nicht aussprachen) einen Sieg der Republikaner im Jahr 2024 auslösen würde.

Doch die heutige makroökonomische Situation hat beide Positionen widerlegt. Im Gegensatz zu den Befürwortern der Sparmaßnahmen erreichte die Inflation Mitte 2022 von selbst ihren Höhepunkt (was zum Teil auf die Verkäufe aus der strategischen Erdölreserve der USA zurückzuführen ist). Es gab keine Persistenz, keinen Schub durch den fiskalischen Stimulus von 2021 und keine lohngetriebene Inflation aufgrund der niedrigen Arbeitslosigkeit.

Die Modelle und historischen Präzedenzfälle, auf die sich das Harvard-Trio gestützt hatte, gelten eindeutig nicht mehr (falls sie jemals galten). Es gab auch keine Rezession, die Arbeitslosigkeit ist nicht gestiegen, und die höheren Zinssätze haben die Unternehmen nicht von Investitionen abgehalten. Der Wohnungsbau wurde zwar in Mitleidenschaft gezogen, aber der Bausektor insgesamt hat sich bald davon erholt, und die Bankenkrise Anfang des Jahres hat nicht zu einer finanziellen Ansteckung geführt.

Eine Rezession ist natürlich nach wie vor möglich, aber bisher gibt es nur sehr wenige Warnzeichen. Diese glücklichen Umstände haben einige Beobachter dazu veranlasst, Powell und der Fed zu einer „sanften Landung" zu gratulieren. Die Fed zu loben, ist jedoch magisches Denken. Nach keiner Theorie und keinem Präzedenzfall ist es möglich, dass die im Januar 2022 beginnenden Zinserhöhungen die Inflation bis Juli desselben Jahres zurückgedrängt haben. Was auch immer die Folgen sein mögen, die Straffung der Fed-Politik war für den Inflationsrückgang bisher irrelevant.

Warum aber haben sich 18 Monate steigender Zinsen nicht spürbar auf Beschäftigung, Investitionen oder Wachstum ausgewirkt? Das ist für Progressive ein ebenso großes Rätsel wie der Rückgang der Inflation für Austeritätspolitiker – vor allem, wenn man bedenkt, dass die durch die Pandemie ausgelöste Ankurbelung der Ersparnisse der privaten Haushalte beendet ist und der Kongress begonnen hat, verschiedene Ausgabenprogramme bescheiden zu kürzen.

Ein Teil der Antwort liegt sicherlich in neuen Steueranreizen für Investitionen, vor allem in Halbleiter und erneuerbare Energien. Aber diese Sektoren sind ziemlich klein, und ihr Wachstum wird vielleicht hunderttausend Arbeitsplätze geschaffen haben. Ein weiterer Teil der Antwort könnte in Direktinvestitionen von Unternehmen liegen, die vor dem industriellen Niedergang in Europa fliehen, der wiederum ein Nebenprodukt der Sanktionen gegen Russland ist. Aber auch diese Zahlen können nicht sehr hoch sein.

Was ist sonst noch los? Ein Faktor, der mir von Robert Aliber, einem emeritierten Professor für Wirtschaft und internationale Finanzen an der Universität von Chicago, vorgeschlagen wurde, ist, dass das oberste Viertel der US-Haushalte während der Pandemie zu Bargeld gekommen ist. Auf diese Haushalte entfällt der größte Teil der US-Kaufkraft, und ihre Ausgaben sind weitgehend immun gegen hohe Zinssätze.

Ein weiterer Vorschlag stammt von Warren Mosler, dem Paten der modernen Geldtheorie, der darauf hinweist, dass die US-Staatsverschuldung von etwa 60% in den frühen 2000er Jahren auf fast 130% des BIP gestiegen ist. Die auf diese Schulden gezahlten Nettozinsen stiegen von 2021 bis 2022 um 35% – und erreichten 2% des BIP. Etwa 70% dieser Zahlungen gingen an den privaten Sektor der USA. Rechnet man die Auswirkungen der (ab 2008) gezahlten Zinsen auf Bankreserven in Höhe von 3 Bill. Dollar hinzu, so war die fiskalische Unterstützung über diesen Kanal beträchtlich.

Die Geschichte stützt Moslers Vermutung. Im Jahr 1981 betrug die US-Staatsverschuldung nur etwa 30% des BIP, und ein Großteil davon war in festverzinslichen, langfristigen Anleihen angelegt, ohne dass Zinsen auf Bankreserven gezahlt wurden. Daher trafen die schockierend hohen Zinserhöhungen des damaligen Fed-Vorsitzenden Paul Volcker vor allem private Schuldner und Unternehmens­Investitionen, und der ausgleichende fiskalische Impuls durch Zinszahlungen war gering.

Als die Bundesverschuldung 1946 dagegen 100% des BIP überstieg, bestand sie fast ausschließlich aus Kriegsanleihen, die von US-Haushalten gehalten wurden. Obwohl diese Anleihen nur 2% Zinsen abwarfen, steigerten sie das private Einkommen und bildeten die Grundlage für die Aufnahme von Hypothekenkrediten bis in die 1950er Jahre – eine Zeit, in der der Wohlstand der Mittelschicht weitgehend stabil war.

Der „Fiskalkanal" für Zinszahlungen ist ein unbequemes Konzept für diejenigen, die sich über die „Last" der Staatsverschuldung aufregen. Es deutet darauf hin, dass Powells Zinserhöhungen das BIP möglicherweise nicht bremsen können. Tatsächlich könnten weitere Zinserhöhungen sogar expansiv wirken, zumindest bis zu einem gewissen Punkt.

Wie in anderen Extremfällen, etwa in Argentinien, wo die Zinszahlungen ein Viertel oder mehr des BIP ausmachen, werden die Zinserhöhungen die Kosten für die Unternehmen und die Preise in die Höhe treiben, sowie einen Preisdruck auf das Anlagevermögen (Land, Mineralien, Öl) ausüben, der sich in unseren Inflationsmessungen niederschlagen wird.

Dies wiederum wird das Sparen erschweren, die Kreditaufnahme anregen und die Fed zu weiteren Zinserhöhungen veranlassen. Mit der Zeit wird dieser Prozess zu einem wirtschaftlichen Chaos führen. Aber wenn dieses Narrativ stimmt und die hohen Zinssätze nicht zu der Rezession führen, die sich die Fed so sehr wünscht, dann wird es schwierig sein, den Kurs zu ändern.

Ideologie und Gewohnheit können die Hoffnung nähren, dass das Festhalten an einer unwirksamen Politik zum Erfolg führen wird. Was könnte diese Dynamik stoppen?

Eine Antwort wäre ein strenger Sparkurs, der durch Haushaltskürzungen die Rezession herbeiführen soll, die durch die Zinssätze nicht herbeigeführt wurde. An der Wall Street wird bereits Druck für diese Option ausgeübt. Letzte Woche stufte die Ratingagentur Fitch die Kreditwürdigkeit der US-Staatsschulden herab, um den Kongress angesichts der nahenden Haushaltsfristen zu verunsichern. Ein solcher Politikwechsel würde, wenn er stark genug ist, die laufende Auslöschung der amerikanischen Mittelschicht vollenden.

Es wäre natürlich besser, das Gegenteil zu tun – die Mittelschicht zu stärken und die Banker zu entmachten. Das würde bedeuten, die Zinssätze zu senken und gleichzeitig neue Kreditströme zu regulieren, die strategischen Preise zu kontrollieren und die steuerliche Unterstützung für Haushaltseinkommen und gut bezahlte Arbeitsplätze zu stärken. Menschen mit einem anständigen und sicheren Einkommen können ihre Abhängigkeit von unsicheren Krediten verringern. Das ist es, was wir tun sollten. Aber halten Sie nicht den Atem an.

Der Autor
James Kenneth Galbraith (*1952) ist ein US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer. Er ist derzeit Professor an der Lyndon B. Johnson School of Public Affairs an der University of Texas, außerdem Senior Scholar am Levy Economics Institute des Bard College. Sein Spezialgebiet ist die moderne Geldtheorie, die von Ideen von Hyman P. Minsky beeinflusst ist. Im März 2008 vollführte Galbraith eine Generalabrechnung mit dem Washington Consensus. Er trat dafür ein, dass keynesianische Lösungen der richtige Weg zur Bekämpfung der Weltfinanzkrise ab 2007 sind, während ein monetaristischer Ansatz die Rezession nur verstärkt. Sein Vater, John Kenneth Galbraith, war der einflussreichste keynesianisch orientierte Ökonom der Nachkriegszeit in den USA, er war u.a. wirtschaftspolitischer Berater von Präsident John F. Kennedy. Vater und Sohn gelten als Kritiker ihres eigenen Berufsstandes. James K. Galbraith ist Autor von „Inequality: What Everyone Needs to Know“ und „Welcome to the Poisoned Chalice: The Destruction of Greece and the Future of Europe“.

Anmerkung
Ich habe hier dargestellt, in welchem historischen Kontext die Ideen von Keynes und Friedman stehen, und was die darauf basierenden wirtschaftspolitischen Konzepte des Keynesianismus und des Monetarismus beinhalten.

Das folgende Bild zeigt, wie ähnlich sich die US-Inflation (CPIAUCSL) (bisher) im Vergleich zur Zeit vor 1980 entwickelt hat.

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