Die Bilanz einer ereignisreichen Woche an den Finanzmärkten sieht den Dow mit einem Verlust auf Wochensicht von 1,4%, der S&P 500 gibt 3,3% ab, der NDX verliert 6,0%. Die Rendite der 10yr-TNotes steigt um 3,7% auf 4,164%, das Jahreshoch lag am 24.10.22 bei 4,248%. Die Rendite der 2yr-TNotes steigt auf Wochensicht um 6,4% auf 4,692%. Das Jahreshoch war am Donnerstag mit 4,729% erreicht worden, es war zugleich der höchste Stand seit August 2007.
Am Mittwoch der zurückliegenden Woche war das eingetreten, was quasi als sicher angesehen wurde. Die Fed legt 0,75% auf den Leitzins drauf, der jetzt zwischen 3,75% und 4,00% notiert. Die Aktionäre hatten jedoch gehofft, das Fed-Chef Powell eine langsamere Gangart oder sogar eine Pause andeutet. Das tat er nicht – im Gegenteil.
Auf der Pressekonferenz erklärte Powell, die Leitzinsen könnten am Ende des aktuellen Anhebungszyklus höher sein als zuletzt erwartet. Im September sah die Mehrheit der Teilnehmer an der damaligen FOMC-Sitzung 4,6% als Ziel an. Zusammen mit vorherigen schriftlichen Aussagen lag der Schluss nahe, dass es wohl künftig weniger große, dafür aber mehr Zinsschritte zu einem höheren Ziel hin geben wird. Das kam gar nicht gut an bei den Aktionären, kräftige Gewinnmitnahmen waren die Folge.
Am zurückliegenden Freitag kamen die US-Arbeitsmarktdaten für Oktober heraus, die Zahl der Arbeitsplätze (nonfarm) stieg um 261.000, 70.000 mehr als erwartet. Peter Boockvar schreibt: „…so liegt der 3-Monats-Durchschnitt bei 289k gegenüber dem 6-Monats-Durchschnitt von 347k, dem 12-Monats-Durchschnitt von 442k und dem 2021-Durchschnitt von 562k. Damit ist die Verlangsamung des Trends nun offensichtlich…"
Der Blick auf die Haushaltsumfrage zeigt einen Verlust von 328.000 Stellen, bei den zu den Spitzenverdienern gehörenden 45- bis 54-Jährigen betrug er sogar 406.000. Dies zeigt die Zurückhaltung bei Neueinstellungen und v.a. die Bereitschaft, teurere Mitarbeiter zu entlassen. Die Arbeitslosenquote ist um 0,2% auf 3,7% gestiegen, die Wochenlöhne stiegen leicht an. Der folgende Chart zeigt u.a. den Verlauf des „Payroll Growth“. Damit ist das Produkt aus Zahl der Arbeitsplätze, Arbeitsstunden und Löhnen gemeint (Chartquelle).
Die Reaktion der Aktionäre war bezeichnend: Zunächst stiegen die Kurse mit der Veröffentlichung des Arbeitsmarktberichts an, dann fielen sie ins Minus und schlossen schließlich solide im Plus. Der Dow zeigte einmal mehr relative Stärke, wie seit Wochen zu beobachten.
So viel ist klar: Die Leitzinsschritte der Fed beginnen zu wirken. Die Dynamik des Jobaufbaus erlahmt. Hinzu kommt, dass der Sub-Index der Preise im ISM-Bericht für Oktober deutlich nachgegeben hat und jetzt im Kontraktionsbereich (unter 50) liegt. Auch die Inflationsdaten für die eigentümeräquivalente Miete zeigen Tempoverlust, sie ist ein bedeutender Bestandteil des CPI-Inflationsindexes. Die Kernrate des PCE-Preisindikators für September zeigt allerdings an, dass die inflationären Kräfte immer noch nicht vollständig an der Preis-Oberfläche angekommen sind.
Also gibt Powell weiterhin den Volcker. Diejenigen, die auf ein Ende des Zinszyklus hoffen, müssen möglicherweise viel länger warten, als sie denken. Ein langsamerer Kurs muss nicht gleichbedeutend mit einem niedrigeren Leitzins-Ziel sein. Eine Serie von nun folgenden abgeschwächten Zinsschritten (0,5%) könnte den Leitzins letztlich in die Gegend von 5% treiben. Die Rendite der 2yr-TNotes gilt als gutes Omen für den Leitzins, sie steht aktuell bei 4,7%.
Der Rohstoffbereich hat am zurückliegenden Freitag große Sätze gemacht. Öl verteuert sich je nach Sorte um 4,4%, bzw. 5,2%. Der CRB-Rohstoffindex verbesserte sich um 3,3%, Kupfer verteuerte sich gar um 7%. Ein in Euro notierter ETF auf Rohstoffe (WHN A0JK68) schaffte immerhin +1,4%. Er konsolidiert bullisch in einem Seitwärtsdreieck, ein Volatilitätsausbruch dürfte nach oben führen. Der folgende Chart zeigt die brisante Situation beim S&P GSCI Copper Index (Chartquelle). Kupfer ist in unserer Elektronik-getriebenen Wirtschaft ein zentraler Rohstoff, seine Bedeutung wird im Rahmen der Dekarbonisierung der Energieerzeugung noch zunehmen.
Interessant ist, dass auch Gold in Dollar um 3,2% angestiegen ist, bei Silber waren es sogar +8,3%. Bewegungen bei den Renditen stützen dies nicht, wohl aber der starke Tagesverlust des Dollar-Index (-1,9%). Euro/Dollar brachte es auf +2,14%, der Yen zeigte sich gegenüber Dollar und Euro in etwa gleich stark.
Tom McClellan schreibt, nach seiner Intermarket-Analyse sei die Meldung von Gold bezüglich des Rohöl-Preises, dass dieser von jetzt an bis in den Januar 2023 hinein steigen dürfte. Danach sei eine Seitwärtsbewegung angesagt, von wo aus Öl im Oktober und November 2023 wiederum kräftig zulegen dürfte.
Alles in allem mutet die gesamte Reaktion an den Finanzmärkten an wie eine etwas grundlegendere Wende. Aktionäre stellen sich darauf ein, dass die Zinsschritte der Fed zu wirken beginnen und ignorieren ihr Säbelrasseln. Markante Dollarschwäche legt nahe, dass das Zinsdifferential etwa zum Euro eine immer geringere Rolle spielt und, wichtiger, der Dollar wieder beginnen könnte, auszuschwärmen.
Ein schwächerer Dollar treibt natürlich auch die Rohstoffpreise, aber ein solch großer Sprung wie etwa beim Kupfer legt nahe, dass Hoffnung aufkeimt, die Wirtschaft werde, wenn überhaupt, dann lediglich in eine leichte Rezession rutschen. Hinzu kommen (unbestätigte) Gerüchte, China könne seine Covid-Politik künftig etwas lockern. Unplausibel ist das nicht, jetzt, da der Alleinherrscher Xi gefestigt aus dem Parteikongress hervorgeht.
Ray Dalio, Gründer von Bridgewater macht in Optimismus, wenn er schreibt, wir könnten nicht nur einen Krieg vermeiden, sondern auch die besten aller Zeiten bekommen. Notwendig sei dazu, die Finanzen in Ordnung zu bringen, indem wir produktiver werden und in Dinge investieren, die den meisten Menschen zugute kommen (z.B. Bildung). Außerdem brauchen wir ein „schönes Deleveraging", das die realen Schulden und Vermögenswerte im Verhältnis zu den Realeinkommen verteilt und reduziert. Zweitens muss eine starke und kluge politische Mitte her, die die Mehrheit der Menschen vertritt und die extreme populistische Minderheit besiegen kann. Was das Regieren anbelangt, so kann dies z.B. geschehen, indem der nächste Präsident ein parteiübergreifendes Kabinett aus intelligenten Leuten zusammenstellt und eine parteiübergreifende Initiative zur Durchführung von Wirtschaftsreformen einleitet. Drittens sollten rivalisierende Länder Vereinbarungen und Protokolle ausarbeiten, die das Risiko eines militärischen Krieges minimieren. Viertens muss es einen kosteneffizienten Umgang mit Ressourcen geben. Fünftens vertraut Dalio auf die Anpassungs- und Erfindungsfähigkeit des Menschen. Hierzu gehören auch funktionierende Risikokapitalmärkte, die Unternehmer mit guten Ideen in nie dagewesener Zahl und Höhe finanzieren.
Ich erinnere mich an Michael Hartnett, der von einer ‚Halloween-Halleluja’-Rallye sprach, die sich vielleicht sogar in eine heftige und absurde Jahresendschmelze verwandelt. Er verwies in diesem Zusammenhang auch auf das G20-Treffen am 15. und 16. November. (Man hörte früher mehr als heute, dass dort auch Putin anwesend sein soll.) Auch wenn das zu einer Rally führen könnte, würde ein „Big Low” erst im ersten Quartal 2023 erreicht, wenn Schockwellen dazu führen, dass die Fed mit ihren Leitzinsen stoppt. Das sei dann auch der Zeitpunkt, wo Renditen und Dollar toppen. Der Trade für 2023 sei folglich Dollar-Short, sowie Emerging Markets, SmallCaps und Zykliker Long, so Hartnett.
Das Szenario von Hartnett erscheint mir durchaus plausibel. Das würde dazu passen, dass sich bis ins erste Quartal hinein die Leitzinsen durch die Wirtschaft gearbeitet haben und dann erheblichen Stress im Finanzsystem auslösen. Durchaus möglich, dass sich die Aktienbullen bis dahin an die Hoffnung klammern, eine Rezession könne vermieden werden und die Kurse hoch treiben. Das wiederum passt zu der Perspektive der Öl-Preise, wie sie Tom McClellan darstellt (s.o.!).
Der S&P 500 schloss am zurückliegenden Freitag nach volatilem Handel, sichtbar durch die ausgeprägten Dochte, mit 3770,55 über dem statischen Pegel bei 3735. Der war am Donnerstag knapp gerissen worden und wurde auch am Folgetag nochmals getestet. Auf der Oberseite liegt bei gut 3800 das 38er Retracement (von unten gesehen) des Abstiegs seit Mitte August. Das fällt zusammen mit dem 38er Retracement des Bull-Runs zwischen März 2020 und Jahreswechsel. Darüber folgt das 50er Retracement des Abstiegs seit August. Hier, bei 3900 war der Index zuletzt nicht weiter gekommen (Chartquelle).
An der Unterseite könnte nochmals ein Test der zuletzt erreichten Tiefpunkte bei gut 3700 erfolgen. Die sollten tunlichst halten, ansonsten wäre zumindest mit einem weiterem Durchrutschen bis 3650 zu rechnen. Hält auch dieser Pegel nicht, kommt schon der Bereich bei 3500 in den Fokus. Darunter dürften die Bären ihre Chance wittern. Das erscheint momentan allerdings unwahrscheinlich.
Ein Blick auf die Volumenverteilung an der NYSE zeigt Akkumulation in früher Überdehnung. Üblicherweise dauern solche Phasen zehn bis 12 Handelstage, in der Akkumulation, bzw. Distribution noch anhalten. Akkumulation ist per se bullisch zu sehen. Die Marktbreite nach TRIN zeigt Tempoverlust, ebenso die ADL (Anteil der Zahl der steigenden Aktien). Die Stimmung ist nicht bullisch, was im Kontext eher bullisch zu werten ist („wall of worry“). Die Chartechnik nach MACD, Stochastik und RSI bei ausgewählten Aktien-Indices ist bullisch. Insgesamt bewegen sich die Marktindikatoren im expansiven Teil (großer oranger Punkt im ersten Quadrant des kleinen Bildes links unten). Der Chart wird auf der Startseite laufend aktualisiert.
Der laufend auf der Startseite aktualisierte Chart der fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigt, dass sich die bullischen Tendenzen bereits weit entwickelt haben. Der Anteil der bärischen Komponente ist schon weit gefallen, die bullische Komponente hat aber noch Spielraum im Abstand zu steigendem „rot“, das als Proxy für zuströmendes Kapital genommen werden kann. Die Aussage wäre die: Eine Fortdauer der expansiven Tendenz ist zunächst wahrscheinlicher als der Rückfall in Kontraktion. Das fällt zusammen mit andauernder Akkumulation in früher Überdehnung (s.o.!).
Das Zitat der Woche – US-Finanzministerin Janet Yellen behauptet allen Ernstes: „Inflation came from nowhere.“ Nicht zu fassen…
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