Jackson Hole – S&P 500 geht baden

Das ist heftig! Der Technologie-lastige Nasdaq Composite verlor am zurückliegenden Freitag 3,9%. Das war der größte ein-Tages-Verlust seit Mitte Juni. Der S&P 500 fiel um 3,4% und kommt damit auf einen Wochenverlust von 4%.

Im Verlauf der Woche schien es zunächst so, als würde das Zentralbanker-Treffen in Jackson Hole zu einem Nicht-Ereignis. Der S&P 500 hatte die Woche zwar mit einer Abwärtslücke begonnen, hatte aber vor der Rede von Fed-Chef Powell am zurückliegenden Freitag, dem zweiten Tag des Treffens, wieder den Eröffnungskurs vom Montag erreicht.

Die Rede von Powell war dann aber so gar nicht das, was die Bullen hören wollten. „Unsere Verantwortung für die Gewährleistung von Preisstabilität ist bedingungslos,“ sagte er. Es sei eindeutig die Aufgabe, die Nachfrage zu mäßigen, um sie besser mit dem Angebot in Einklang zu bringen. Und weiter: „Die Senkung der Inflation wird wahrscheinlich eine anhaltende Periode eines unter dem Trend liegenden Wachstums erfordern. (…) Höhere Zinssätze, langsameres Wachstum und eine Aufweichung der Arbeitsmarktbedingungen werden zwar die Inflation senken, aber sie werden auch den Haushalten und Unternehmen Schmerzen bereiten.“

Dies seien die unglücklichen Kosten der Inflationsbekämpfung. „Wenn es jedoch nicht gelingt, die Preisstabilität wiederherzustellen, würde dies weitaus größere Schmerzen bedeuten." Powell machte auch klar, dass Eile geboten ist: „Die Geschichte zeigt, dass die Kosten der Inflationsbekämpfung für die Beschäftigung mit zunehmender Verzögerung steigen dürften, da sich die hohe Inflation in der Lohn- und Preisbildung immer mehr verfestigt.“

Schließlich zitierte Powell Paul Volcker, der 1979 in seiner Funktion als damaliger Fed-Chef sagte: „Die Inflation nährt sich zum Teil selbst, so dass ein Teil der Aufgabe, zu einer stabileren und produktiveren Wirtschaft zurückzukehren, darin bestehen muss, den Griff der Inflationserwartungen zu brechen.“

Nicht nur, dass er sich auf Volcker berief, der in den frühen 1980er-Jahren die Inflation mit Leitzinsen von bis zu 14% bekämpft hatte. Er schwor dann auch noch: „Wir werden so lange weitermachen, bis wir davon überzeugt sind, dass die Aufgabe erledigt ist." Das war zu viel für die Liquiditätssüchtigen an Wall Street.

Interessanterweise geht es nach Powell darum, die Nachfrage dämpfen. Schaut man auf die Situation an den Märkten für Energie und Lebensmittel, so kommt man zu der Erkenntnis, dass die aktuelle Inflation Angebots-induziert ist. Die Preise steigen nicht in erster Linie deshalb, weil die Verbraucher über zu hohe Kaufkraft verfügen, sondern sie steigen deshalb, weil die Anbieter zu wenig liefern. In einer solchen Situation die Nachfrage zu dämpfen, beseitigt die Ursache der Misere nicht.

Powell bezieht sich immer wieder auf Volcker – was war Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre? Die Raten der Preissteigerungen bei Rohstoffen (PPIACO) und beim Konsum (CPIAUCSL) lagen in etwa gleichauf in der Spitze bei 14, 15%. Es kam zu einem Ölpreisschock, dem zweiten nach Mitte der 1970er Jahre. Die Kreditblase platzte, viele Unternehmen kamen in ernsthafte Probleme. Dem wurde 1981 die Reagonomics[1] genannte angebotsorientierte Wirtschaftspolitik entgegengestellt, die Investitionsbedingungen verbesserten sich durch Steuersenkungen und andere Maßnahmen. Die Rohstoffpreise sanken stärker als die Verbraucherpreise, so dass die Preisstruktur ab Mitte 1982 als „gesund“ („healthy“ am oberen Chart-Rand) anzusehen war. Im weiteren Verlauf fiel die Inflation bei Rohstoffen sogar in den negativen Bereich, die Unternehmen profitierten von den geringeren Kosten. Die CPI-Inflation erreichte 1983 und 1986 kurzzeitig die 2%-Marke, blieb aber bis in die frühen 1990er Jahre deutlich darüber.

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Der heutige Fed-Chef Powell sieht wohl Parallelen zwischen der Zeit seines Vorbilds Volcker und heute. Wenn das stimmt, dann dürfte er mit weiter steigenden Leitzinsen auch ein kontrolliertes Luftablassen aus der Kreditblase bewusst inkaufnehmen. Im weiteren Verlauf müsste dann auch wieder eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik folgen, die die Verbesserung der Investitionsbedingungen der Unternehmen fokussiert mit sinkenden Zinsen und sonstigen Anreizen.

Ich würde eher Parallelen zur Situation von 1974, 1975 sehen, dem ersten Energiepreis-Schock. Die Rohstoffpreise erreichten damals eine jährliche Steigerung von 23%, so viel wie aktuell. Die CPI-Inflation bewegte sich seinerzeit im Bereich von bis zu knapp 12%, heute sind wir bei 8,5%. Auch damals war die Inflation angebotsinduziert, Öl war knapp.

Aber abgesehen von Seiten der Inflationsraten ist die aktuelle Situation meiner Meinung nach weder mit dem ersten, noch mit dem zweiten Ölpreisschock vergleichbar. Damals bewegte sich die Gesamtverschuldung der USA noch in einem handhabbaren Rahmen, sie lag unterhalb von 50% des BIP. Heutzutage sind wir bei rund 300%. Und, in erster Linie zusammenhängend mit der mit Fed-Chef Greespan 1987 begonnenen Geldflut-Politik – wir bewegen uns heute in einem Kontext einer Liquiditätsfalle.

In einer Liquiditätsfalle führen sinkende Zinsen etwa im Rahmen einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik dann nicht zwingend zu stärkerer Investitionstätigkeit der Unternehmen, wenn die Gewinnerwartungen niedrig sind. Dann wird Geld gehortet, bzw. es werden Finanz-Assets nachgefragt. Ausbleibende Investitionen lassen eine Produktionslücke entstehen, Einkommen und Ersparnisse der Haushalte sinken. Das konterkariert das Ziel einer wirtschaftlichen Belebung. Es entsteht ein Teufelskreis aus niedrigen Gewinnerwartungen und schwacher BIP-Entwicklung.

An der Frage, wie man aus der Situation einer Liquiditätsfalle herauskommt, haben sich die Vorgänger von Powell und Heerscharen von Ökonomen die Zähne ausgebissen. Und wenn Powell nun wieder zurück zu den Maßnahmen von Volcker (und Reagan) will – warum soll gerade er es schaffen? Das beschwört die Gefahr herauf, dass die Kreditblase eben nicht kontrolliert Luft ablässt, sondern unkontrolliert platzt, weil das Wirtschafts- und Kreditsystem heutzutage eben viel zu fragil ist.

Das wird auch Powell wissen und beizeiten einen Werkzeugkasten „unkonventioneller“ Maßnahmen parat haben mit massiven Investitionsanreizen einerseits und gezielter Rettung großer hochverschuldeter Unternehmen andererseits. (Den braucht er sowieso.) Vielleicht gelingt eine Scheinblüte, die Wahrscheinlichkeit, dass es schief geht, ist deutlich größer. Dann wird aus den „Schmerzen“, die er den Haushalten und Unternehmen mit seiner Geldpolitik zufügt, womöglich der finanzielle Exitus. Auch das wird Powell wissen und daher ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Fed das Experiment "Volcker" trotz allen Geredes frühzeitig abbricht und die Straffung der Geldpolitik beendet.

Der S&P 500 ist am zurückliegenden Freitag in einem Rutsch durch seine EMA200 (4189, waggerecht) und seine EMA50 (4087, waagerecht) gesaust. Er fand punktgenau Halt am 38er Retracement des Aufwärtsimpulses aus Mitte Juni. Der VIX, Angstmesser an Wall Street, hat deutlich über seiner steigenden EMA50 geschlossen, noch dazu hatte er die Woche mit einer Aufwärtslücke begonnen. Vor einigen Tagen hatte sich in der Gegenüberstellung der Volatilitäten von S&P 500 und VIX bereits ein Volatilitätsausbruch angedeutet. Der dürfte noch nicht abgeschlossen sein. Zeitgleich ist auch die Volumenverteilung an der NYSE in Distribution gekippt, was bedeutet, dass das Volumen fallender Aktien signifikant höher ist als das steigender.

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Damit ergibt sich für die kommenden Tage weiterer Druck auf die Aktienkurse. Dabei dürfte der Bereich bei 3900 in den Fokus geraten. Wird das hier liegende 62er Retracement des jüngsten Aufwärtsimpulses durchstoßen, sollte man damit rechnen, dass zügig das 38er Retracement des Aufwärtsimpulses aus März 2020 bei 3807 angesteuert wird (Chartquelle).

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An der Oberseite sehe ich gegenwärtig kaum Chancen, hier müsste zuallererst die EMA50, jetzt Widerstand, und dann der Bereich bei 4160 überwunden werden. So lange aber die EMA200 nicht nach oben durchstoßen wird, dürften solche Bewegungen keinen Bestand haben.

Was bemerkenswert ist: Der Verlauf des Volumens im S&P 500 (siehe obigen Chart „Volume Structure 1“, gelbe Linie, Mittelwert über zehn Tage) hatte Ende Juni eine Spitze bei 5,98 Mrd. Stück markiert, was etwa auch den Topps aus der zweiten Hälfte März entspricht. Seitdem trocknet es übergeordnet aus auf jetzt 3,9 Mrd. Stück. Es blieb auch am zurückliegenden Freitag unauffällig. Das unterstreicht, dass wir vermutlich vor einem stärkeren, abwärts gerichteten Volatilitätsausbruch stehen.

Fußnoten:

  1. Die Reagonomics sind eine Form angebotsorientierter Wirtschaftspolitik. Im Kern geht es bei solchen Konzepten um die Annahme, dass geringere Kosten der Unternehmen die Konjunktur direkter fördern als höhere Staatsausgaben oder kaufkräftige Konsumenten. Daher steht bei der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik die Verbesserung der Investitionsbedingungen im Fokus (siehe auch hier!). Solche Ideen hatte auch Trump verfolgt. [↩]

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