Freihandel – Gewinne und ihre Verteilung

In einem Beitrag in der FAZ kommen zwei schwedische Ökonomen mit einer Theorie zu Wort, die vor fast hundert Jahren begründet wurde. Die Handelstheorie von Eli Heckscher und seinem Schüler Bertil Ohlin analysiert, warum Freihandel zwar den Wohlstand der beiteiligten Länder insgesamt vergrößert, aber nicht jeder einzelne Bürger durch den Handel automatisch wohlhabender wird.

In einem Beispiel-Szenario treibt ein technologisch hochentwickeltes Land mit einem anderen Land Handel, in dem es eine große Bevölkerung gibt mit eher geringen Qualifikationen. Beide Länder spezialisieren sich auf das, was sie am besten können. Das technologisch hoch stehende Land liefert komplexe Produkte, das andere Land fokusiert sich auf Produkte, die einfacher herzustellen sind. Die beiden Ökonomen kommen zu dem Ergebnis, dass es zu Verteilungseffekten kommt – im Technologie-Land verdienen die hochqualifizierten Beschäften mehr, die geringqualifizierten erleiden sogar Einbußen, im anderen Land ist es gerade umgekehrt.

Im Ergebnis bestätigen Heckscher und Ohlin einerseits die Theorie des Freihandels-Vordenkers Ricardo, dass Handel die daran beteiligten Länder reicher macht. Sie folgen dessen Argument von den komparativen Kosten. Andererseits verschiebt sich aber die Verteilung dieses Wohlstands – es gibt dabei Verlierer. Ricardo hatte nur Gewinner gesehen.

Diese theoretischen Erkenntnisse, wohlgemerkt von vor hundert Jahren, wurden lange Zeit in der offiziellen Haltung wichtiger Wirtschaftsinstitutionen, wie etwa des IWF, negiert. Das hängt auch damit zusammen, dass deren Sichtweisen bisher stets eher von US-Ökonomen geprägt sind. Die USA treiben aber gemessen an ihrer Wirtschaftsleistung deutlich weniger Handel als etwa Deutschland, die Niederlande oder Schweden. Das mag dazu beigetragen haben, mögliche Verteilungseffekte lange Zeit zu übersehen – zumindest so lange China im globalen Handel noch (bis in die späten 1990er Jahre) eine untergeordnete Bedeutung spielte.

Paul Krugman hatte in den frühen 1980er Jahren gefragt, warum gerade einander ziemlich ähnliche Industrieländer miteinander Handel treiben, auch in denselben Branchen. Seine Antwort: Erstens bedeutet eine Ausweitung des Marktes Skalenerträge, also sinkende Stückkosten, zweitens streben Verbraucher nach möglichst großer Auswahl. Nach Krugman ergibt sich durch den auf Skalenerträgen und Produktvielfalt basierenden Handel kein Verteilungsproblem. Krugman war sich sicher: Ein Land dient seinen eigenen Interessen, indem es Freihandel verfolgt, unabhängig davon, was andere Länder tun.

Die Volksrepublik China ist mittlerweile die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Ihre Bedeutung für den Handel hat nun offenbar jene Verteilungsfolgen, auf die Heckscher und Ohlin hingewiesen haben für den Fall, dass sehr verschiedene Länder miteinander handeln. Die Ökonomen David Autor, David Dorn und Gordon Hanson vom MIT haben laut FAZ in einer aktuellen Analyse den signifikanten Effekt des wirtschaftlichen Aufstiegs Chinas auf den amerikanischen Arbeitsmarkt bestätigt.

Alle Handelstheorien, sei es die von Ricardo, die von Heckscher/Ohlin oder die von Krugman haben eine Annahme gemeinsam. Sie gehen alle davon aus, dass es genügend Potenzial für die Vergrößerung des Wohlstands durch Handel gibt. Was aber ist, wenn das Wachstum dieses Potenzials immer mehr nachlässt? Warum auch immer, sei es dadurch, dass bereits eine hohe Effizienz in der Weltproduktion erreicht ist, sei es, dass die Kosten global steigen (etwa durch zunehmende Umweltbelastungen), sei es dadurch, dass das Wachstum der Nachfrage-kräftigen Bevölkerung abnimmt.

Sind die potenziellen Wohlstandsgewinne durch „Freihandel“ hoch genug, wird eine halbwegs funktionierende Demokratie dafür sorgen, dass Handelsverlierer im eigenen Land entschädigt werden. Es bleibt dann ja noch genügend Gewinn übrig für die Freihandelsprofiteure und sozialer Friede ist ein hohes Gut, eine wichtige Voraussetzung, um im Ausland gute Geschäfte zu machen.

Wenn aber die potenziellen Wohlstandsgewinne durch Handel insgesamt sinken, reichen sie möglicherweise nicht mehr aus, um Handelsverlierer und Handelsgewinner zugleich zufrieden zu stellen. Dann aber verschärft sich der Verteilungskampf nicht nur im internationalen Maßstab, sondern auch auf intranationaler Ebene.

Welthandel und Welt-BIP wachsen etwa seit 2010 mit geringer werdendem Tempo. Wenn das dazu führt, dass die Vorteile aus dem Freihandel abnehmen, dann leben wir in einer Phase sich verschärfender Verteilungskämpfe. Und das ist meiner Meinung nach der eigentliche Grund, warum reaktionäre Kräfte wie etwa Trump Oberwasser bekommen.

Nachtrag:
(18.6.17) Die Millenials (geboren zwischen den frühen 1980er und späten 1990er Jahren) verdienen in den USA auf konstanter Währungsbasis heute etwa 20% weniger und haben 50% weniger Vermögen als die gleichaltrigen Baby-Boomer 1989 hatten. Ein Drittel lebt heute noch bei den Eltern – auch ein Reflex auf die Studentenkredite, die auf der Schuldenrangliste mit 1,4 Bill. Dollar hinter den Hypothekenkrediten rangieren. Gesundheitskosten machen mittlerweile nahezu 16% des verfügbaren Einkommens aus. 1980 waren es rund acht Prozent, seit der Jahrtausendwende ist die Quote etwa um ein Drittel gestiegen. Auch die Mieten steigen deutlich an, sie machen aktuell vier Prozent der gesamten US-Wirtschaft aus. Das ist gegenüber 1990 eine Vervierfachung, in den zurückliegenden sieben Jahren hat sich die Quote verdoppelt. Die Kosten steigen, die Einkommen hinken stark hinterher – das ist das große Bild.

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