Omikron und Tapern – S&P 500 schleudert

Was war für die Finanzmärkte das wichtigste Ereignis der Woche? War es „Omikron“, die neue Variante des Coronvirus, die als besonders ansteckend gilt und der Immunisierung durch die bestehenden Impfungen zumindest zum Teil entkommen dürfte?

Oder war es der Auftritt von Fed-Chef Powell vor einem Ausschuss des US-Kongresses? Er sagte: „In Bezug auf Inflation muss man das Beiwort ‚transitorisch’ streichen.“ Und er setzte nach, man sollte auch eine schellere Gangart beim Tapering einschlagen.

Omikron ist zwar gut für die Hetze gegen die Ungimpften und gut für erneutes Panik schüren, um den Leuten weiter ihren Blick zu vernebeln vor den wichtigen Dingen. Aber bei Licht betrachtet ist Omikron wohl eher gute Nachricht. Wenn das die dominante Variante des Virus wird und seine Eigenschaften die sind, die berichtet werden, geschieht das, was Wissenschaftler seit langem postulieren: Das Virus vollzieht die Wende hin zu einem „normalen“ endemischen Erkältungsvirus, so wie das aus evolutionärer Sicht zu erwarten ist.

Ich denke, die Einlassung von Powell ist das, was in dieser Woche zählte. Dabei ist es geschenkt, wenn er schneller tapern will. Entscheidend ist, dass er die Inflation nun als auf lange Zeit hoch einschätzt. Das nämlich weckt Befürchtungen, die Fed könnte sich zu einer rigideren Geldpolitik veranlasst sehen, als bisher angenommen. Außerdem ist bei Aktien die Inflation nur so lange willkommen, so lange sie nicht zu sehr ausufert und so lange die Bond-Halter nicht auf markant höheren Renditen bestehen.

Die 2yr-TNotes gelten als guter Indikator für die künftigen Leitzinsen. Sie tauchten in Zusammenhang mit Meldungen zu Omikron kurz ab, notieren aktuell aber mit 0,6% wieder so hoch wie seit Anfang März 2020 nicht. Die Rendite der US-Ramsch-Anleihen (ICE BofA High Yield Index) gilt üblicherweise als Warnzeichen, am 9.11. stand sie bei 4,54%, aktuell notiert sie bei 5,01%. Verschiedene Merkmale der Zinslandschaft deuten eine Entwicklung in Richtung invertierte Zinsstruktur an, sie flacht am langen Ende ab und steigt am kurzen.

Die Schlussfolgerung: Die Reaktion der Aktien auf die Aussage von Powell ist ernsterer Natur, ein einfaches Schnäppchenjäger-Szenario in einem intakten Bull-Run sieht anders aus. Ich komme darauf weiter unten zurück.

Die Situation an den Aktien-Märkten ist EXTREM. Der folgende Chart zeigt die Entwicklung des realen KGVs nach Crestmont Research im Vergleich zur realen Preisentwicklung bei S&P 500. Man kann stattdessen auch das Shiller-CAPE-KGV nehmen (aktuell bei 38,29, Crestmont bei 43,9), die Ergebnisse unterscheiden sich nicht wesentlich (Chartquelle).

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Der folgende Chart stellt die Inflation in Zusammenhang mit dem Crestmont-KGV. Crestmont sieht die Inflation aktuell bei 7,16% (US-CPI im Oktober bei 6,24%). Die aktuelle Kombination von Inflationsrate und realem KGV ist historischer Rekord. Der Chart zeigt auch, dass bei einer Inflationsrate zwischen Null und 3% hohe KGVs gehäuft auftreten. Sowohl bei hohen wie bei niedrigen Inflationsraten sind Aktienanleger offenbar nicht bereit, Aktien hoch zu bewerten (Chartquelle).

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Den folgenden Chart hatte ich schon einmal in anderer Darstellung gezeigt. Der Zufluss in Aktien in den zurückliegenden zwölf Monaten ist nicht so ganz „normal“.

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Hinzu kommt, dass das Volumen der Kredite für Käufe von Finanz-Assets noch nie so hoch war wie aktuell. Das vorherige Hoch war in Q3 2008 mit gut 400 Mrd. Dollar erreicht worden – was kam dann nochmal? Im Gefolge der Finanzkrise 2008 schrumpften die Kredite bltzartig um 265 Mrd. Dollar. Interessant, dass es im Rahmen des Auftretens von Corona nur einen kleinen Einbruch gab: In Q2 2020 betrug der Rückgang 18 Mrd. Dollar und startete von knapp 320 Mrd. Dollar aus durch auf jetzt knapp 600 Mrd. Dollar (Chartquelle).

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Nehmen wir an, es kommt zu Margin Calls im Ausmaß dessen, was 2008/2009 geschah. Woher nehmen die Schulder das Geld? Und was passiert, wenn den Verbrauchern plötzlich über 350 Mrd. Dollar fehlen und sie ihrer vornehmsten Aufgabe, zu konsumieren, nicht mehr nachkommen können? Die Inflation wäre dann tatsächlich „vorübergehend“. Aber die Fed wird es schon richten…

Alles in allem: Mittelfristig wird es eng für Aktien. Die Entwicklung der Zinsstruktur bestätigt: Die Realwirtschaft beginnt, Bremsspuren zu zeigen. Das könnte in der aktuellen Situation noch eine gewisse Zeit eine bullische Sichtweise stützen.

Bange Frage: Wie ist es denn um die Jahresend-Rally bestellt?

Die Volumenverteilung befindet sich seit Mitte November in Distribution. Die Markbreite (TRIN-Index) ist kurzfristig überverkauft, die Linie des täglichen Anteils der Zahl steigender Aktien zeigt auf einem seit Ende März 2020 nicht mehr erreichten Tiefpunkt kurzfristig eine Aufwärtstendenz. Zusammengenommen zeigen die Indikatoren der Struktur von Volumen und Anzahl kurzfristig eine leicht bullische Tendenz. Aus dieser Sicht heraus ist zunächst damit zu rechnen, dass wieder Netto-Käufer für Aktien auftreten. Damit daraus allerdings eine stabilere Tendenz entsteht, muss die Volumenverteilung alsbald in Akkumulation kippen.

Der S&P 500 notiert mit 4538,43 knapp über einem statischen Support, der von einem vormaligen Allzeithoch aus Anfang September herrührt. Der Index hatte am Dienstag unter der EMA50 geschlossen (4575) geschlossen und sie am Donnerstag knapp zurückerobert. Am Freitag schloss er wieder darunter, aber ein längerer unterer Docht zeigt zum ersten Mal seit einigen Wochen wieder deutliche Kaufbereitschaft in fallende Kurse hinein an (Chartquelle).

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Ich würde die Jahresend-Rally noch nicht abschreiben. Zwei Dinge sind dazu aber nötig: Erstens muss die EMA50 (~4670) im S&P 500 zügig zurückerobert werden, zweitens muss die Volumenverteilung alsbald in Akkmulation schalten, was bedeutet, dass große Adressen per Saldo wieder zugreifen. Dafür gibt es bisher keine belastbaren Anzeichen, allerdings zeigt die Distribution einen überdehnten Zustand an. Das gibt einem solchen Szenario auf Sicht einiger Tage eine erhöhte Wahrscheinkichkeit.

Zum Schluss noch eine Darstellung des engen Zusammenhangs zwischen der Rendite der US-Ramsch-Anleihen (ICE BofA High Yield Index) und dem S&P 500. Sinkt die Rendite, ist das ein ziemlich sicheres Zeichen für steigende Aktienkurse (und umgekehrt) (Chartquelle).

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Ergänzung:
Insider haben bis jetzt 30% mehr Aktien verkauft als 2020. Die Verkäufe von 69 Mrd. Dollar liegen 79% höher als der zehn-Jahres-Durchschnitt. Dabei sind Transktionen großer institutioneller Anleger nicht berücksichtigt. Schließt man diese ein, wird ein Volumen von 385 Mrd. Dollar für 2021 erreicht, der vorherige Rekord von 2013 lag bei 286 Mrd. Dollar (Quelle).

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