Freie Wissenschaft oder Regierungsbüttel

Allmählich kommt Bewegung in die Riege der Wissenschaftler an deutschen Hochschulen. Sie beginnen sich gegen ihre Vereinnahmung durch die Corona-Politik zu wehren. Jetzt ergreift auch Tobias Unruh, Professor am Institut für Physik der Kondensierten Materie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, das Wort.

Angetrieben von natürlicher Neugier sei es Ziel von Wissenschaft und Forschung Fragen zu stellen und möglichst allgemeingültige Antworten. Ob sich dabei ein absehbarer Nutzen oder eine praktische Anwendung ergibt, stehe meist nicht im Vordergrund, schreibt Unruh.

Die Frage nach dem richtigen Umgang einer Gesellschaft mit ansteckenden Krankheiten kann wissenschaftlich nicht beantwortet werden, da es kein absolut gültiges moralisches oder ethisches Maß für die eine „korrekte“ Antwort gibt. Es gibt hierzu individuell und gesellschaftlich jeweils gut begründete unterschiedliche Meinungen.

In einer Demokratie müssen solche Fragen in einem gesellschaftlichen, transparenten Diskurs entschieden werden. Aufgabe der Wissenschaft ist es dabei, ihren Erkenntnisgewinn der Gesellschaft verfügbar zu machen und so bei der Entscheidungsfindung zu helfen. Aber aus wissenschaftlichen Untersuchungen oder Bekanntmachungen ergibt sich nicht automatisch ein gesellschaftpolitischer Kurs.

Das liegt zum einen darin begründet, dass jeder aktuelle Erkenntnisstand begrenzt ist, er verkörpert nicht die absolute, unumstößliche Wahrheit. Zum anderen kommt es auf die Abwägung unter ethischen, politischen und weiteren Gesichtspunkten an. Erst dann kann es eine angemessene Antwort auf eine gesellschaftlich relevante Frage geben.

Und so mutet es extrem befremdlich an, schreibt Unruh, dass die Leopoldina, die Nationale Akademie der Wissenschaften, in einer Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie schreibt: „Trotz Aussicht auf einen baldigen Beginn der Impfkampagne ist es aus wissenschaftlicher Sicht unbedingt notwendig, die weiterhin deutlich zu hohe Anzahl von Neuinfektionen durch einen harten Lockdown schnell und drastisch zu verringern.“ Das sind knallharte politische Forderungen, so Unruh.

Und er fragt, nach welcher wissenschaftlichen Erkenntnis eine bestimmte Anzahl von Neuinfektionen so hoch ist, dass die Anzahl von Neuinfektionen drastisch verringert werden muss und dazu ein harter Lockdown notwendig ist. Und das auch angesichts unklarer Infektionszahlen wegen ungeeigneten PCR-Tests und fraglichen Dunkelziffern.

Es sei unerträglich, so Unruh, „dass sich eine unserer renommiertesten wissenschaftlichen Einrichtungen unter dem Deckmantel ihrer wissenschaftlichen Expertise für knallharte politische Forderungen der derzeitigen Bundes- und Landesregierungen einsetzt“.

Das Papier der Leopoldina ist kein Einzelfall, so Unruh, die Kritik daran müsse noch viel stärker werden (siehe die Meinung von Prof. Elsfeld hier!). Bereits am 27. Oktober 2020 hatten hochrangige Persönlichkeiten der deutschen Wissenschaftsszene in einer gemeinsamen Erklärung gefordert, Maskenpflicht und Hygiene-Konzepte besser zu kontrollieren und Nichtbeachtung konsequent zu ahnden.

Unruh bezeichnet das als anmaßende Politisierung deutscher Wissenschaftsinstitutionen.

Auch der Aufruf auf Basis des Positionspapiers “Contain COVID-19” wurde von Präsidenten von Wissenschaftsorganisationen in eben dieser ihrer jeweiligen Eigenschaft unterzeichnet. So beziehen sie für ihre Organisationen einseitig Stellung für die Corona-Maßnahmen der Regierung. In dem Aufruf wird keine Abwägung des Schutzes vor Ansteckung mit Covid-19 und den Folgen durch die getroffenen Maßnahmen vorgenommen, deren Verhältnismäßigkeit wird nicht diskutiert. Dass eine Strategie zur radikalen Einfämmung der Covid-19-Fallzahlen wohl mit einer Totalüberwachung aller Bürger sowie exorbitanten Massentestungen auf unabsehbare Zeit einhergeht, wird nicht thematisiert, so Unruh.

Anstatt solche Papiere zu unterstützen, so Unruh, wäre es angezeigt, wenn die Unterzeichner eine gesellschaftliche Diskussion über die Verhältnismäßigkeit der Corona-Maßnahmen anstoßen und dazu einen ausgewogenen wissenschaftlichen Beitrag leisten.

Die Politik reagiert auf die offensichtlich berechtigte Kritik an der Corona-Politik äußerst dünnhäutig, wie das Beispiel des Rausschmisses von Christoph Lütge aus dem Ethikrat der Bayerischen Staatsregierung zeigt. Dabei sei gerade ein weites Meinungsspektrum notwendig, um die besten Lösungen für die gesellschaftlichen Herausforderungen zu finden.

Unruh abschließend: Wissenschaftler müssten endlich gegen ihre politische Vereinnahmung aufbegehren und ihre Stimme für die Freiheit von Forschung und Lehre, den offenen und öffentlichen Diskurs und eine pluralistische, freiheitliche Demokratie erheben. Eine solche Initiative kann nur von unten kommen, die Führungsebene der Wissenschaftsorganisationen verrät die Wissenschaft an die Mächtigen, indem sie deren Politik als aus wissenschaftlicher Sicht notwendig und somit alternativlos darstellt.

Anmerkung:
Im Februar hat sich das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ gegründet als ein Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern mit dem gemeinsamen Anliegen, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen.

Ergänzung:
An folgendem Beispiel kann man sich die Rolle der Wissenschaft und ihr Verhältnis zur Politik recht gut vor Augen führen. Die medizinische Forschung kann gut begründen, warum Rauchen schädlich ist. Es steht ihr aber nicht zu, etwa ein Rauchverbot als „alternativlos“ hinzustellen. Wissenschaftliche Erkenntnis ist das eine, politischer Wille ist das andere, das eine führt nicht zwangsläufig zum anderen.

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