Aktien vor der US-Wahl

US-Aktien verzeichneten in der zurückliegenden Woche den größten Wochenverlust seit März. Als Auslöser wird angegeben, dass die Zahl der sogenannten Neu-Infektionen (Corona) anhaltend stark steigt. Außerdem sei man enttäuscht darüber, dass ein zweites Corona-Hilfspaket vor der Wahl zum US-Präsidenten nicht zustandegekommen ist. Und überhaupt die Wahl… Da nimmt man doch lieber Gewinne mit und wartet erst mal ab.

Am zurückliegenden Donnerstag gab es die erste Schätzung des US-BIP für das dritte Quartal. Im Jahresvergleich schrumpfte der Wert um 2,9%, was über den Erwartungen liegt. Das ist aber immer noch schlechter als in jeder anderen Rezession seit den 1960er Jahren mit Ausnahme der von 2008+ (Q2-2009: -3,9%).

22,7 Millionen US-Bürger haben Arbeitslosenhilfe beantragt, das sind 14,9% der “Workforce” vom Februar 2020. Die zuletzt leicht sinkende Zahl dürfte eher auf das Auslaufen von Maßnahmen zurückgehen als auf steigende Beschäftigung. Die Beschäftigungsquote der 25- bis 54-jährigen liegt mit gut 80% so tief wie seit den 1960er Jahren nicht, ausgenommen in 2010 und 2011, nach der Finanzkrise.

Die Zahl der sogenannten täglichen Neu-Infektionen (“Cases”) hat in den USA tatsächlich neue Höchststände erreicht, die Zahl der Testungen auch. Die Zahl der Hospitalisierungen jedoch bleibt mit gut 47.000 unter den Rekordwerten von 60.000 aus April und Juli. Die Zahl der mit Covid-19 in Verbindung gebrachten Todesfälle liegt mit knapp 1.000 pro Tag deutlich unter dem Spitzenwert aus April (~2.500). Die Zahl der “Fälle” steigt zuletzt zwar überproportional zur Ausweitung der Testungen, die Hospitalisierungen entwickeln sich im Vergleich dazu aber deutlich langsamer, der Verlauf der Todesfälle ist flach. Einen Weltuntergang kann ich darin nicht erkennen (Chartquelle).

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Ich denke nicht, dass in “Corona” ein wirklicher Anlass für Gewinnmitnahmen zu sehen ist. Bleibt die US-Wahl selbst, vielleicht auch die Aussicht, dass der nächste Geldsegen der US-Regierung nun länger als erwartet auf sich warten lässt. Es dürfte vermutlich nicht einmal so sehr die Frage sein, wie der nächste US-Präsident heißt, sondern die Befürchtung, dass nach der Wahl eine längere Phase der Unsicherheit eintritt. Das insbesondere dann, wenn das Ergebnis ein Patt ergibt. Manche meinen auch, dass Trump im Falle einer klaren Niederlage diese nicht anerkennt und dann was weiß ich auch immer geschieht.

Extrem weit gelaufen waren die Bewertungen in jedem Fall. Zuletzt haben die großen Tech-Konzerne, die hauptsächlichen Profiteure der „Corona“-Maßnahmen, die hochfliegenden Gewinn-Erwartungen enttäuscht, was dem Nasdaq eine deutliche relative Schwäche beschert hat.

Die Volumen-Verteilung an der NYSE hat aktuell in Richtung Distribution gedreht, was zeigt, dass die auf sinkende Aktien entfallenden Volumina diejenigen auf steigende überschreiten. Der VIX, Angstmesser an Wall Street, notiert seit zwei Wochen über seiner EMA50. Er ist kurzfristig überkauft, eine Gegenreaktion liegt in der Luft. Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis legen über den Tag hinaus noch weitere Kontraktion bei Aktien nahe.

Ich denke, dass so allmählich der Zeitpunkt kommt, an dem sich die Aktienmärkte von übertriebenen Erwartungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Erholung verabschieden. Das leicht erreichbare Wachstum von der Lockdown-Phase im zweiten Quartal hin zur völligen Öffnung der Geschäfte ist getan, jetzt folgt die harte Arbeit auf dem nun holprigen Weg hin zur “Normalität”.

Das schlägt sich nieder: Der breite Aktienmarkt in Gestalt des MSCI World zeigt keine relative Stärke gegenüber Dividendentiteln (ETF Global Dividend) mehr, die Outperformance von SmallCaps gegenüber LargeCaps ist dünn.

In Zusammenhang längerfristiger Fragestellungen schadet es nie, sich den Verlauf des Preises für Geld in Gestalt der Rendite für 10-jährigen TNotes anzusehen. Sie lag zum Jahresende 2019 bei 1,95% und bröckelte dann recht schnell bis Ende Januar auf 1,5% ab. Das jüngste Tief wurde am 9. März mit 0,5% erreicht. Aktuell notiert der Wert bei 0,86%. Unter dynamischen Aspekten ist bemerkenswert, dass sich aktuell die schneller steigende EMA50 und die EMA100 schneiden. Die EMA200 notiert bei 0,9%.

Die Breakeven-Raten (Differenz zwischen nominalen und realen Renditen) liegen bei fünf- und zehnjährigen Treasurys inzwischen wieder auf dem Niveau vom Jahresanfang, vor „Corona“, und laufen in der kurzfristigen Tendenz seitwärts. Sie gelten als Inflations-Indikatoren.

Nimmt man beides zusammen, dürfte das auf die Erwartung einer flachen, holprigen Entwicklung der wirtschaftlichen Lage hindeuten. Das Bild würde sich hin zu deutlich mehr Wachstum ändern, wenn sich die Rendite der 10yr-TNotes klar oberhalb von 0,9% festsetzen kann. Umgekehrt dürfte ein Rückzug unter 0,6% Ungemach signalisieren.

Der S&P 500 hat am 12. Oktober auf dem Weg zu seinem jüngsten Allzeithoch (3581 vom 2. September) bei 3534 kapituliert und ist am Mittwoch der zurückliegenden Woche mit einem Gap-down unter seine EMA200 gefallen. Die EMA50 notiert bei 3197 und verläuft flach. Denkbar, dass sich der Index hier zunächst stabilisiert, zumal bei 3217 ein Support-Pegel liegt (u.a. Tief aus der zweiten Hälfte September). Dann müsste allerdings auch zügig und überzeugend die gerissene Lücke geschlossen werden, um neue Käufer anzulocken (Chartquelle).

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Ich halte die Wahrscheinlichkeit für größer, dass der S&P 500 übergeordnet noch weiteres Abwärtspotenzial hat. Als mögliches Ziel an der Unterseite sehe ich zunächst das 38er Retracement des Anstiegs seit März bei 3048. Wird jedoch der Bereich bei 3415 überwunden, sollte man eher von einem neuen Versuch ausgehen, das jüngste Allzeithoch zu erreichen.

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