Der 3. Oktober, der neue deutsche Nationalfeiertag, ist rum. Gefeiert wurde der dreißigste Jahrestag der Wiedervereinigung. Aus den zwei deutschen Staaten auf deutschem Boden wurde einer, die DDR verschwand in der historischen Versenkung.
Viel wurde wieder salbadernd appelliert daran, dass wir doch ein Volk sind und zusammenwachsen müssten. Kann ein Volk zusammenwachsen, wenn die staatliche Vereinigung eher einer Annektion glich? Wenn die „Treuhand“ einem Schnäppchenmarkt für DDR-Assets glich? Ausverkauf.
Einigkeit beruht auf gemeinsamen Einstellungen, gemeinsamen Wünschen, gemeinsamen Interessen, auch auf ähnlichen materiellen Voraussetzungen. Und auf freiem Willen. Wenn ein Teil sich als permanent unterlegen empfinden muss, hat das mit der Einigkeit so ein Problem.
Auf der Ebene der EU haben wir ein ähnliches Problem. Welch Geistes Kind die Macher dieser Einheit sind, wird an einem Zitat von J.-C. Juncker aus dem Jahre 1999 besonders deutlich: „Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, ob was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter, Schritt für Schritt, bis es kein zurück mehr gibt." Diese Einstellung geht zurück bis zu den ersten Beschlüssen zur Einführung des Euro aus 1991 zur Wirtschafts- und Währungsunion, als kaum jemand deren Tragweite wahrnahm. Von demokratischer Verständigung hört man da wenig, von der Erwartung, die meisten werden sowieso nicht kapieren, was da vor sich geht, hingegen viel.
So jedenfalls wird keine solide Basis für eine Vereinigung gebaut. Der Spaltpilz ist integraler Bestandteil im Gefüge.
Dabei spielt der Euro eine wesentliche Rolle: Ungleiche Volkswirtschaften wurden in einen einheitlichen Währungsraum mit einheitlichem Zinssatz, aber uneinheitlicher Fiskalpolitik integriert. Dabei war der Kardinalfehler wohl nicht einmal die gemeinsame Währung, sondern die gemeinsame Geldpolitik. Die gemeinsame Währung hat dann wesentlich dazu beigetragen, die negativen Folgen der gemeinsamen Geldpolitik lange Zeit zu verschleiern (siehe z.B. hier und hier!).
Eine demokratische Verfassung ist auf die schweigende Duldung der politisch inaktiven Elemente in der Bevölkerung angewiesen. Solche schweigenden Mehrheiten sind amorph, sie existieren in jedem Lande und zu jeder Zeit, sie bleiben aber in normalen Zeiten politisch neutral und inaktiv.
Dieser Zustand wird instabil, wenn diese Art Masse enttäuscht, entwurzelt oder deklassiert wird. Daraus entsteht Ablehnung und Hass gegen die früher geachteten etablierten politischen Führer, denen man nun unterstellt, entweder aus Dummheit oder aus betrügerischer Gemeinheit zu handeln.
Die Einigkeit, immer mehr Produkt des Schweigens als von gleichen Überzeugungen getragen, beginnt, zu zerfallen. Ich denke, das ist das, was wir in den zurückliegenden Jahren sehen, beginnend mit den Nachwehen der Finanzkrise.
Damit eng verknüpft ist das Aufkommen totalitärer Bewegungen, sie kanalisieren die Enttäuschung. Ihr Erfolg bedeutet das Ende zweier „demokratischer“ Illusionen, wie Hannah Arendt in ihrer Analyse zum Aufkommen totalitäter Staatsformen schrieb. Die erste ist, dass alle Bürger an öffentlichen Angelegenheiten stets wohlwollend interessiert sind und mit irgendeiner etablierten Partei sympathisieren. Die zweite Illusion ist, dass die politisch neutralen und indifferenten Massen ohne kollektives politisches Gewicht, d.h. per Saldo neutral sind.
Die demokratischen Freiheitsrechte – sie erreichten nach 1945 mit dem „Kalten Krieg“ zunächst einen besonderen Hype. Sie waren damals „DAS“ Werkzeug, um den Westen, die westliche Bevölkerung, gegen den Osten in Stellung zu bringen. Nun ist es angesichts der sich verschärfenden wirtschaftlichen Probleme (u.a. Thema Verschuldung) an der Zeit, das zu korrigieren. Von den USA ging es seinerzeit aus, die USA sind auch jetzt an vorderster Front tätig, das zurückzudrehen – Stichwort „Trump“.
Jetzt könnte ich mehr oder weniger elegant die Kurve zum „Corona“-Thema bekommen…
Nachtrag:
(5.10.20) Zum Thema der ungleichen deutschen Wiedervereinigung: "30 Jahre danach: Der dunkle Schatten von Kohl und Treuhand ist lang – eine schonungslose Analyse"
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