Vor 70 Jahren, am 1. Oktober 1949, hat Mao Zedong die Volksrepublik China ausgerufen. Der Nationalfeiertag wird in der kommenden Woche mit einer gigantischen Militärparade in Peking gefeiert, wie es sie in diesem Umfang bisher noch nicht gegeben hat.
Für Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping ist ein starkes Militär zentraler Bestandteil der Entwicklung Chinas hin zu einer modernen Großmacht. Am 1. Oktober will das Land der Welt die Leistungsfähigkeit des eigenen Militärs demonstrieren.
Xi Jinping hat sich selbst zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte gemacht und Anfang 2016 beim chinesischen Militär die größte Strukturreform seit den 1950er Jahren angestoßen. Aus den verschiedenen Militärregionen der Volksrepublik wurden fünf strategische Zonen. Sie unterstehen alle einem einheitlichen Kommandozentrum für Heer, Marine, Luftwaffe und Raketeneinheiten. Der Schwerpunkt wird Zug um Zug von der Landesverteidigung am Boden weg hin zu mobilen, integrierten und global einsetzbaren Streitkräften verschoben. Damit gewinnen Marine und Luftwaffe an Bedeutung.
In den zurückliegenden zehn Jahren sind die chinesischen Militärausgaben um über 80% angewachsen. Bis zum 100. Geburtstag der Volksrepublik China im Jahr 2049 soll das Land von einer aufstrebenden, globalen Militärmacht zur militärischen Supermacht aufsteigen.
In den zurückliegenden 30 Jahren hat die VR China eine eigene Militärindustrie aufgebaut. Vorbei die Zeiten, in denen China der größte Waffen-Importeur war, das Land hat sich mittlerweile zu einem bedeutenden Waffenexporteur entwickelt. Dabei geht es nicht mehr nur um „einfache“ Handgranaten oder Maschinengewehre, sondern auch um komplexere Waffensysteme wie Raketen, Radarsysteme und militärische Drohnen. China baut zudem einen dritten Flugzeugträger, konzipiert, entwickelt und gefertigt im eigenen Land. Seine beiden Vorgänger sind noch von sowjetischer Prägung. Das Vorhaben gilt als Kernstück der Modernisierung des chinesischen Militärs.
Die strategische Vision Chinas ist eine Welt mit zwei Supermächten, die jeweils mehrere starke Länder um sich scharen. China soll die eine Supermacht sein, die USA ist die andere. Das will das Land bei der großen Militärparade am 1. Oktober deutlich machen.
Im Kontext der Staatsfeierlichkeiten könnte sich China hinsichtlich des seit mehr als 18 Monaten anhaltenden Handelsstreits mit den USA aus einer Position von in 70 Jahren erreichter Stärke generös und selbstbewusst zeigen und eine gewisse Öffnung des Landes signalisieren.
Am 10. und 11. Oktober sollen neue Verhandlungen zwischen den USA und China stattfinden, um eine Lösung im Handelsstreit zu finden. Das wäre die 13. hochrangige Gesprächsrunde. Die Signale im Vorfeld sind widersprüchlich. So hat China anklingen lassen, die Vorbereitungen seien „konstruktiv“. Die USA haben Strafzölle für eine Reihe von Produktklassen ausgesetzt.
Gleichzeitig überlegt die Trump-Administration aber ein Delistung von chinesischen Firmen an den US-Börsen. Auch eine generelle Beschränkung von Kapitalflüssen zwischen den beiden Ländern wird erwogen. Das wäre zweifellos ein viel schwerwiegenderer Schritt als die bisher erhobenen Strafzölle. Die Marktkapitalisierung der in den USA gelisteten neun größten chinesischen Firmen kommt auf knapp 700 Mrd. Dollar.
Wie ernst ein solches Vorhaben gemeint ist, ist schwer zu sagen. Vermutlich ist es nur das übliche Säbelrasseln vor solchen Verhandlungen. Bei all dem ist es nicht unwahrscheinlich, dass es tatsächlich zu einem mehr oder weniger faulen Kompromiss kommt, den die Trump-Administration dann umgehend als Riesen-Erfolg verkauft. Trump braucht in Hinblick auf seine Wiederwahl im November 2020 eine prosperierende Wirtschaft, eine Schwächung durch als zusätzliche Steuer wirkende Strafzölle kann er sich nicht leisten.
China hatte im Vorfeld der neuen Verhandlungsrunde erkennen lassen, dass das Land mehr US-Produkte kaufen und die eigenen Märkte stärker für US-Investoren öffnen könnte. Gleichzeitig muss das Land bestimmte Agrarprodukte importieren, weil u.a. die Produktion von Schweinefleisch durch eine Virus-Epidemie empfindliche Einbussen erlitten hat.
Den Maximal-Forderungen der Trump-Abministration nach Reduktion der Staatsquote an der Gesamtwirtschaft und dem effektiven Schutz geistigen, insbesonderen technologischen Eigentums wird China nicht wesentlich entgegenkommen. Aber die US-Seite könnte diese Punkte bei den anstehenden Verhandlungen ausklammern und einen so möglicherweise erzielbaren Kompromiss als einen Schritt hin zu einer späteren Annäherung bei diesen Punkten verkaufen.
Und so ist die Wahrscheinlichkeit für einen zeitweiligen Waffenstillstand im Handelsstreit bei den kommenden Verhandlungen vielleicht so hoch wie in den bisherigen eineinhalb Jahren nicht.
Wie sehr die US-Wirtschaft an Dynamik verloren hat, zeigt sich an zwei aktuellen Makrodaten in der zurückliegenden Woche. So ist die Nachfrage des Konsumsektors im August gegenüber dem Vormonat kaum noch angestiegen. Im Jahresvergleich liegt der Anstieg mit 3,75% nur mehr im Mittelfeld der Steigerungsraten seit 2010. Im August 2018 lag der Wert noch bei gut sechs Prozent.
Das US-BIP hängt zu rund 70% vom privaten Konsum ab. Und das ist gemäß der dritten und letzten Schätzung im zweiten Quartal um 2,01% gegenüber dem Vorjahr angewachsen. Im Vorquartal betrug die jährliche Steigerung noch fast 3,1%. Der Beitrag der Konsumausgaben zur BIP-Steigerung betrug im zweiten Quartal 3,03%, der Beitrag der Investitionen kam auf –1,16%, dabei lag der Beitrag der Investitionen bei –0,25%, der der Lagerbewegung bei -0,91%. Das annualisierte Wachstum der „real final sales of domestic product“ liegt im zweiten Quartal bei +2,92% und damit um 0,36% höher als im Vorquartal. Bei diesem Wert werden Lagerbewegungen nicht berücksichtigt.
Der „real-time-Indikator“ für das reale BIP, das Produkt aus Zahl der Arbeitsplätze und Zahl der gearbeiteten Wochenstunden, legt weiterhin Schwäche bei der künftigen BIP-Entwicklung nahe, die besonders vom Fertigungsbereich herrührt. Allerdings zeigte seit Jahresbeginn auch die Entwicklung der den Service-Bereich einschließende Gesamtzahl der Arbeitsplätze Tempoverlust (Chartquelle).
Seitens des Verbrauchervertrauens und der Verbraucherstimmung kommen gegenwärtig keine belebenden Impulse, die Investitionstätigkeit zeigte zuletzt Tempoverlust. Damit befindet sich die US-Wirtschaft in einer etwas wackeligen Verfassung.
Zurück zum „Handelsstreit“: Der fast schon zwanghafte Fokus der „Märkte“ auf diese Thematik hat auch in der zurückliegenden Woche wieder die Entwicklung der Aktienkurse bestimmt. Der S&P 500 verlor auf Wochensicht 1,1%. Am zurückliegenden Freitag kam es zu einem etwas ernsthafteren Test der EMA50 bei 2953, der Index beendete den Handel mit 2961,79 darüber. Die Zone oberhalb von 2940 ist wichtig – hier liegen die Hochpunkte aus September 2018 und April 2019. Zudem verläuft hier eine Aufwärtslinie aus 2009 (magenta). Und schließlich entstand hier am 5. September beim Sprung über 2940 eine bedeutende Kurslücke, die mit der freitäglichen Kursaktion fast geschlossen wurde (bis auf sieben Punkte).
Insofern dürfte es in der kommende Woche spannend werden. Technische Indikatoren zeigen weiterhin Schwäche, insbesondere die Volumenverteilung weist akkumulativen Tempoverlust auf. Der VIX hat am Freitag auf drei-Wochen-Hoch geschlossen, ein Zeichen zunehmender Unsicherheit. Durchaus möglich, dass die dargestellte Kurslücke geschlossen wird und kurzfristig Kurse um 2910 herum angesteuert werden.
Möglich, dass sich das letztlich als Bullenfalle erweist – dann nämlich, wenn ein Kompromiss im Handelsstreit für eine gewisse Zeit Bedenken hinsichtlich der Profitabilität der US-Unternehmen zerstreut. Der Chef-Aktien-Stratege von J.P. Morgan, Dubravko Lakos-Bujas, sieht denn auch für diesen Fall Ziele im S&P 500 bei 3200 bis 3300 Punkte – wenn auch noch ein oder zwei weitere Zinsschnitte der Fed hinzukommen. An der Oberseite wäre ein bullisches Ziel die Verbindungslinie der Hochs aus Januar 2018, September 2018 und Juli 2019 (graue Linie im folgenden Chart), sie verläuft momentan bei 3050. Ein ehrgeizigeres Ziel liegt bei knapp 3200, der 38er Fibonacci-Extension bezogen auf die Aufwärtsbewegung seit Jahresbeginn (Chartquelle).
Auf der Unterseite verdient nach dem Bruch der Zone bei 2940 (und der mäßig bedeutsamen Unterstützung um 2910 herum) zunächst der Bereich bei 2873 Beachtung, dem Hoch aus Ende Januar 2018. Hier verläuft zurzeit auch die EMA200, die im August mehrfach Unterstützung geboten hatte.
Wie sehr die Entwicklung des S&P 500 seit zehn Jahren von Aktienrückkäufen getragen wurde, zeigt der folgende Chart (Chartquelle).
Eine solide Entwicklung sieht anders aus…
Das könnte Sie auch interessieren:
- Was andere Medien sagen vom 11.10.2024
- S&P 500 – kommt ein Blowoff? vom 11.05.2024
- S&P 500 – zwischen KI-Hype und Zins-Angst vom 25.05.2024
Schreibe einen Kommentar