Aktien – Baisse eingeläutet?

Die Aussicht auf eine kurzfristige Beilegung des Handelsstreits USA – VR China sind dahin, die überraschend verhängten US-Strafzölle hinsichtlich Mexiko bringen ins Bewusstsein, wie viele negative Überraschungen noch auf das wirtschaftliche Umfeld zukommen könnten.

Die jährlichen Steigerungen der US-Unternehmensgewinne lagen in Q3/2018 noch weit im 20%-Bereich, in Q4 erreichten sie 11,2%, im ersten Quartal 2019 wurden noch +1,6% erreicht. Die Anfangseffekte der US-Steuerreform sind eingearbeitet. Jetzt unterstützen die insgesamt niedrigeren Steuersätze die Gewinnentwicklung zwar weiter, aber ein neuer Impuls ist nicht in Sicht.

Im Gegenteil, aus Sicht der Makrodaten ist ein weiteres Nachlassen der Auftriebskräfte zu erwarten, die BIP-Zuwächse der kommenden Quartale dürften weit unter den in Q1 nach neuester Schätzung erreichten +3,1% liegen. Und bei dieser Steigerung kamen einige Sondereffekte zuhilfe (siehe hier!).

Die hinter dem Bull-Run seit Jahresbeginn stehende Hoffnung auf eine Lösung des Handelsstreits fällt als Motivation weg. Man muss zur Kenntnis nehmen, dass es hier wohl keine schnelle Entspannung geben wird. Im Gegenteil, es könnte noch mehr der gleichen Art kommen – siehe „Mexiko“. Damit ist jetzt zu erwarten, dass sich die Zuwächse bei den Unternehmensgewinnen in Höhe der BIP-Steigerungen einpendeln werden. Und so lange keine neuen, besseren Aussichten am Horizont auftauchen (fiskalische Anreize wie etwa die Infrastruktur-Pläne von Trump werden angesichts der zunehmenden Spannungen zwischen Republikanern und Demokraten immer unwahrscheinlicher), ist ein KGV von 20,4, und erst recht eines von 28,3 nach Shiller (CAPE – zyklisch inflationsadjustiert) hoch. Zu hoch für die meisten Anleger.

In Bezug auf die Wachstumsaussichten sollte auch auf den radikalen Preisverfall für Öl in den zurückliegenden Tagen hingewiesen werden, sowie auf die weltweit nachlassende Nachfrage für Stahl und die für Halbleiter-Wafer. Zudem hat der globale Chip-Markt in Q1 die schlechteste Quartals-Performance innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre hingelegt (nach IHS). Auch den anhaltenden Preisrutsch bei Kupfer sehe ich als Warnzeichen.

Die Akteure müssen folgende Punkte „einpreisen“:

  • Es wird keine schnelle Lösung im Handelsstreit geben, im Gegenteil (siehe auch hier!)
  • Globale Koordination und Kooperation sind auf einem Tief
  • Die geopolitischen Risiken nehmen zu (z.B. Iran und Nord-Korea)
  • Die Wahrscheinlichkeit eines harten Brexit nimmt zu
  • Die Gewinnschätzungen sind zu hoch
  • Das Wirtschaftswachstum wird weiter nachlassen – nicht nur wegen weiterer Runden bei Strafzöllen

Natürlich gibt es auch eine bullische Sichtweise. Sie kann sich momentan aber fast nur noch auf den Status quo berufen, als da ist: Die Beschäftigung ist historisch hoch, die Zahl der Anträge auf Arbeitslosengeld ist extrem niedrig, offene Stellen können oft erst mit deutlicher Verzögerung besetzt werden, das BIP-Wachstum ist hoch, das Verbrauchervertauen liegt historisch am oberen Ende. In einem solchen Umfeld ist kaum damit zu rechnen, dass die Fed die Leitzinsen rasch senkt. Genau das wird von Zeit zu Zeit auch als Unterstützung für eine bullische Haltung herangezogen. Da an den Börsen aber weniger die aktuelle Situation sondern mehr in die Zukunft gerichtete Erwartungen gehandelt werden, sind solche „status quo“-Argumente in der Regel nur Motivation für Gegenbewegungen – nach dem Motto „so schlimm wird es nicht kommen, es sieht momentan doch ganz gut aus“.

Jetzt nahen die Sommermonate mit ausdünnendem Handel, in dem Kurse leichter in bestimmte Richtungen bewegt werden können. Gibt es in den ersten Monaten eines Jahres einen Bull-Run, so kommt es üblicherweise dann zu einer Korrektur dieses Anstiegs. Große Akteure nehmen Gewinne mit, der Spruch „sell in may and go away“ hat in einer solchen Situation eine gewisse Berechtigung. Die Erwartung von über den Sommer eher weiter nachgebenden Kursen findet ihre Begründung neben solchen markttechnischen Aspekten auch in dem, was wie oben aufgeführt „eingepreist“ werden muss.

Der S&P 500 ist am Freitag der zurückliegenden Woche in eine entscheidende Phase eingetreten. Nachdem er am 23. Mai mit einem „Gap-down“ die EMA50 nach unten durchbrochen hat, hat er jetzt mit einer weiteren Kurslücke die EMA200 (bei 2778) unterboten. Übergeordnet kommen jetzt die Retracements der Bewegung seit Ende Dezember ins Spiel: Das 38er Retrament liegt bei 2718, das 50er bei 2648, das 62er bei 2577. Ein (bestandener) Test der 38er Marke gilt eher als bullisch und dürfte neue Käufe anlocken, ein Rückfall auf den 62er Pegel ist sehr kritisch für die Bullen zu sehen (Chartquelle).

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Kurzfristig ist der S&P 500 nach Stochastik und RSI überverkauft, es zeigt sich ein ähnliches Bild wie am 12. Mai. Daher ist es gut möglich, wenn nun eine deutliche Gegenbewegung startet. Das legen auch die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis nahe, die eine stark überverkaufte Situation zeigen. Lineare bullische Kursmuster sind verschwunden, bärische dominieren auf einem solch hohen Niveau, dass eine weitere signifikante Ausdehnung über den Tag hinaus unwahrscheinlich ist (der Chart wird täglich auf der Startseite aktualisiert).

Längerfristig, wenn fundamentale, wirtschaftliche und markttechnische Merkmale unisono abwärts zu zeigen beginnen, steigt die Wahrscheinlichkeit an, dass die Aktienkurse zu ihrer Mitte zurückfinden. Die Investmentlegende Bob Farrell sagt dazu: Märkte tendieren langfristig zur Mitte. Gier und Angst können einem dem Kopf vernebeln und die Perspektive rauben. Und: Übertreibungen in die eine Richtung führen zu Übertreibungen in die andere. Der langfristige Marktverlauf ist wie ein Gummiband – wird es stark in eine Richtung ausgelenkt, schwingt es nach dem Loslassen in die andere.

Dass übergeordnet eine längerfristige Abwärtsbewegung beim S&P 500 ansteht, ergibt sich auch aus der fraktalen Auswertung seines Monatscharts. Die Ähnlichkeit des Kursverlaufs zu linearen Strukturen nimmt immer weiter ab und nähert sich der 50%-Marke (rote Linie am oberen Chart-Rand). Die statistische Auswertung der Abstände zu wichtigen Mittelwerten hat das dritte Verkaufssignal innerhalb von 18 Monaten erzeugt (gelbe Linie am oberen Chart-Rand), eine Bestätigung steht allerdings noch aus.

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Nach Monatschart des S&P 500 stellt sich die übergeordnete Situation wie folgt dar (h/t Lance Roberts). Der Bull-Run von 1991 bis 2000 führte zu einer 62%-igen Korrektur des Anstiegs in dieser Phase. Der Run von 2003 bis 2007 führte bis zum Hoch aus 2000 zurück und wurde anschließend bis März 2009 vollständig korrigiert auf unter 700. Wäre die Korrektur dem vorherigen Muster gefolgt, so wäre sie im November 2008 bei rund 1090 zu Ende gegangen. Damals stand aber das Finanzsystem als Ganzes auf der Kippe, und so ging sie weiter.

Der im März 2009 schließlich bei unter 700 einsetzende Lauf führte per September 2018 bis auf 2950. Eine normale, d.h. eine in Zusammenhang mit dem Aufkommen einer Rezession stehende 62%-ige Korrektur würde bis 1540 herunterführen. Das wäre auch ziemlich genau das jeweilige Topp aus 2000 und 2007 und damit ein gutes Argument dafür, dass eine solche Korrektur dort auch enden könnte… wenn es sich um eine „normale“ Korrektur handeln würde (Chartquelle).

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Nicht zuletzt gibt auch die Zinsstruktur ernst zu nehmende Hinweise auf eine wirtschaftliche Abschwächung in Richtung Rezession. Sie hatte sich schon Mitte Mai zurückgemeldet (siehe hier!), aktuell sind wichtige Spreads am kurzen Ende erneut in den negativen Bereich vorgedrungen (siehe hier!).

Der Verlauf des Goldpreises zeigt steigendes Interesse für das Krisenmetall. Am zurückliegenden Freitag konnte der Preis mit einem ordentlichen Sprung in die wichtige Region oberhalb von 1300 vordringen. Nächste statische Etappen auf der Oberseite wären 1322 und 1341. Der Chart hatte Anfang Januar, parallel zur angelaufenen Aktien-Rally, ein "Golden Cross" gebildet (EMA50 schneidet EMA200 von unten nach oben) und damit die Mitte August 2018 gestartete Aufwärtsbewegung bestätigt (Chartquelle).

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Auch die konstruktive Entwicklung beim Goldpreis würde ich in der Reihe von Indizien für einen makroökonomischen und markttechnischen Abschwung bei Aktien sehen.

Vieles deutet darauf hin, dass die Aktienkurse übergeordnet weltweit nach unten tendieren. Anzeichen einer herannahenden Rezession mehren sich, die Gewinnaussichten müssen an das veränderte Umfeld angepasst werden. Auch markttechnische Merkmale entwickeln sich ungünstig für die Bullen. Noch ist nicht aller Tage Abend, aber dazu müssten sich die Bullen jetzt zu einer entschlossenen Aktion aufraffen.

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