US-Aktien steigen und steigen. Das gilt nicht nur für die großen Indices wie Dow (DJI), S&P 500 und Nasdaq, sondern auch für den Russell 2000, in dem viele niedrig kapitalisierte Unternehmen versammelt sind. Auch der Dow Jones Transport (DJT) hat zuletzt ein neues Allzeithoch erreicht. Nach Dow-Theorie bestätigt eine synchrone Bewegung von DJT und DJI eine Kursbewegung – in diesem Fall also eine bullische Disposition.
Am zurückliegenden Donnerstag gab es einen unvermittelten Einbruch der Aktienkurse, als dessen Anlass der Katalonien-Konflikt vermutet wurde. Es hätte auch der sprichwörtliche Sack Reis in China sein können. Interessanterweise führte dieser kurze Einbruch genau bis zu einer aus Ende August herrührenden Aufwärtslinie zurück. Am darauffolgenden Freitag wurde diese Schwäche im S&P (auch im DJI und DJT) mit einer Aufwärtslücke gekauft.
Aktuell steht der S&P 500 knapp unter der Oberseite eines langfristigen Aufwärtskanals (magenta, aktuell bei 2586). Als Anlass für steigende Kurse musste am Freitag erneut die Trumpsche Steuerreform herhalten. Ein Budget-Plan erreichte im US-Senat eine knappe Mehrheit, er sieht für die kommenden zehn Jahre eine Neuverschuldung von 1,5 Bill. Dollar vor. U.a. soll damit die Steuerreform finanziert werden, die nach anderen Angaben in diesem Zeitraum Mindereinahmen von 2,2 Bill. Dollar verursachen wird. Die technische Lage der Index kann nur mit stark überkauft eingeordnet werden. Wenn man will, kann man als technische Formation aufwärts gerichtete kurzfristige Wimpel oder Flaggen ausmachen (Chartquelle).
Im großen Bild ist der Index mit der Wahl Trumps zum US-Präsidenten im November 2016 in die nach Dow-Theorie dritte Phase einer bullischen Bewegung eingetreten. In der ersten Phase eines bullischen Primär-Trends nach Dow-Theorie entsteht neues Vertrauen in die geschäftliche Zukunft, clevere Anleger steigen ein (Akkumulationsphase). In der zweiten Phase reagieren immer mehr Anleger auf bekannt werdende Verbesserungen der Gewinnsituation der Unternehmen und springen auf den Kurszug auf (Partizipationsphase). In der dritten Phase wuchert die Spekulation, Kurse werden v.a. von Hoffnungen und Erwartungen (auf was auch immer) getrieben. In diesem "spekulativen Exzess" steigen immer mehr uninfomierte (Klein-)Anleger ein, das "Smart Money" der ersten Stunde verkauft hingegen nach und nach (Distributionsphase). Es herrscht bevorzugt Herdentrieb, man will dabei sein, nicht so sehr aus eigener Überzeugung, sondern weil die anderen ja auch mitmachen. Außerdem werde die Berechtigung für die Kurs-Übertreibung sicher zukünftig noch nachgeliefert, so die Hoffnung.
Für die erste Phase der Bodenbildung, die gewöhnlich mit dem Beginn eines neuen Konjunkturzyklus zusammenfällt, ist typisch: Aktienkurse und Unternehmensgewinne sind niedrig, die Inflation ist gedrückt, die Zinsen sind relativ niedrig (die Anleihekurse hoch). Die Gewinnrendite steigt recht bald deutlich an, weil die Unternehmensgewinne schneller steigen als die Kurse. In der zweiten Phase belebt sich die Inflation etwas, die Renditen steigen, Aktienkurse steigen deutlicher. Die Gewinnrendite verläuft flacher, das KGV steigt an. In der dritten Phase beschleunigt sich die Inflation zunächst noch, die Renditen erreichen ihr Topp und beginnen zu sinken. Die Aktienkurse steigen weiter, die Unternehmensgewinne halten nicht mehr Schritt, die Gewinnrendite sinkt deutlich ab, das KGV steigt beschleunigt weiter.
Finden wir diese Ideal-Merkmale der dritten Dow-Phase im aktuellen Geschehen wieder?
Die Übertreibung im S&P 500 lässt sich an folgendem Chart verdeutlichen. Er zeigt das zyklisch adjustierte und inflationsbereinigte KGV nach Shiller (Shiller CAPE). Es liegt mit 31,4 heute etwas höher als beim Börsencrash 1929, allerdings immer noch deutlich unter dem Niveau am Ende der dotcom-Blase. Ob das als Rechtfertigung für das elaborierte Kursniveau gelten kann, sei dahingestellt. Die rote Linie repräsentiert die lineare Regression über den gesamten Zeitraum, sie ist als Referenzlinie besser geeignet als irgendwelche statischen Größen (Chartquelle).
Die Trumpschen Vorhaben, insbesondere seine Steuerreform, werden häufig verglichen mit der Reagan-Ära der 1980er Jahre und daraus auch die Erwartung abgeleitet, die Kurse könnten heute genauso deutlich steigen wie seinerzeit. Bezogen auf das KGV (oder auch die Gewinnrendite) gibt es aber einen wichtigen Unterschied – das KGV lag seinerzeit deutlich unter der Referenzlinie, die Gewinnrendite umgekehrt klar darüber. Will sagen – aus Sicht der Bewertung der Aktienkurse gab es damals bessere Argumente für steigende Kurse als heute.
Inflation – in ihrer Beschleunigung ist sie eine weitere Begleiterscheinung der dritten Dow-Phase. Sie schafft zunächst die Illusion steigender Werte und gilt so als Rechtfertigung für höhere Kurse. Das wird gestützt dadurch, dass die Bond-Halter höhere Zinsen sehen wollen, um die Beeinträchtigung der realen Rendite zu kompensieren. Höhere Zinsen führen zu sinkenden Anleihekursen, was auf der Jagd nach Ertrag Aktien zunächst günstiger erscheinen lässt als sie tatsächlich sind. Illusionen nachzujagen, das passt besonders zur Phase des von Hoffnungen geprägten spekulativen Exzesses.
Von einer Beschleunigung der Inflation sind wir aktuell zwar noch etwas entfernt, nachdem sie nach einem Hüpfer Anfang des Jahres wieder den Rückzug angetreten hatte. Allerdings haben sich die Löhne und Gehälter per September in den USA mit +2,9% auf Jahressicht stark entwickelt, auch PPI und CPI mit 4,1%, bzw. 2,2% zeigen neue Stärke. Aus zyklischer Sicht hat der Preisauftrieb noch Potenzial. Aus struktureller Sicht allerdings dürfte das anders aussehen, so dass auf längere Sicht eher mit deflationären als mit inflationären Tendenzen zu rechnen ist.
Mit der Frage der Rendite-Entwicklung hatte ich mich hier beschäftigt. Die Zentralbanken werden alles tun, um einen Auftrieb bei den längerfristigen Zinsen in Schach zu halten. Mag sein, dass sie zunächst von den zyklischen Inflationstendenzen her noch etwas Aufwärtspotenzial haben.
Im folgenden Chart werden Unternehmengewinne und Lohnentwicklung jeweils der Nettowertschöpfung im nicht-Finanzbereich gegenübergestellt. Der Chart beinhaltet lediglich die Zahlen bis zum zweiten Quartal, als sich die Unternehmensgewinne im Jahresbergleich mit starken 12,3% im Vergleich zum Vorjahr entwickelt hatten. Für die angelaufene Berichtssaison für das dritte Quartal werden gegenwärtig lediglich 4,7% erwartet.
Im Chart ist klar zu sehen, wie die beiden Zeitreihen gegen Ende eines Konjunkturzyklus aufeinander zulaufen und damit zeigen, dass steigende Löhne letztlich Gewinnpotenzial kosten. Im der langfristigen Betrachtung ist zu sehen, dass sich die Unternehmensgewinne im nicht-Finanz-Sektor seit den 1980er Jahren bis heute im Verhältnis zur Nettowertschöpfung nahezu halbiert haben. Wenn die Zahlen für das dritte Quartal vorliegen, wird sich das nach meiner Erwartung darin niederschlagen, dass die beiden Zeitreihen wieder weiter aufeinander zulaufen (Chartquelle).
Von der Liquiditätsseite gibt es Hinweise, dass die Zentralbanken weiter Treibstoff liefern, bzw. dessen Versorgung zumindest nicht kappen. Die Basis-Geldmenge ist zuletzt wieder angestiegen (+3,7% im September gegenüber dem Vorjahr), was sowohl Tendenzen in Richtung Preisauftrieb stützt, als auch Liquidität bereitstellt, die in Assets gehen könnte.
Ich hatte verschiedentlich das Aufkommen inflationärer Entwicklungen als Bedingung dafür gesehen, dass die Aktienkurse noch weiter steigen können. Die Chancen hierfür sind jetzt da – die weiteren Monate werden zeigen, wie nachhaltig das im zyklischen Sinne ist. Insofern muss die Phase des irrationalen Überschwangs an den Aktienmärkten noch nicht zu Ende sein, zumal neben der Inflationsillusion auch die Trumpsche Steuerreform noch weiter „Phantasie-anregend“ wirkt. Allerdings werden die Märkte technisch immer anfälliger für Rückschläge. Und wenn diese eines Tages diese nicht mehr nachhaltig gekauft werden, signalisiert das, dass die großen Akteure in großem Stil in der Distributionsphase angekommen sind. Dann dürften Aktien vom Himmel fallen, um den Titel des Artikels aufzugreifen.
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