Die revidierten Zahlen für das US-BIP im ersten Quartal zeigen einen Anstieg um 0,82%. Das sind fast 0,3% mehr als in der ersten Schätzung, aber immer noch fast 0,6% unter dem Wachstum im Schlussquartal 2015. Als robustes Wachstum kann man das nicht bezeichnen. Der seit Jahresmitte 2015 eingeschlagene Trend setzt sich fort – das Wachstum schwächt sich weiter ab in Richtung wirtschaftlicher Stagnation.
Die privaten Geschäftsinvestitionen bleiben in Kontraktion, sie tragen –0,45% zum Wachstum bei, -0,2% entfallen davon auf Lagerveränderungen. Die privaten Konsumausgaben bleiben insgesamt schwach, sie werden gestützt durch Ausgaben für medizinische Versorgung und Wohneigentum (Quelle). Dabei ist das verfügbare pro-Kopf-Einkommen merklich gestiegen. Viel davon wurde gespart, die Sparquote liegt jetzt mit 5,7% so hoch wie zuletzt im vierten Quartal 2012. Das zeugt nicht gerade von überbordendem Vertrauen der Konsumenten. Fraglich, ob sich das angesichts der anstehenden Präsidentschaftswahlen mit ihrem Trump’schen Medien-Rummel schnell ändert.
Wachstum wird u.a. gebraucht, um Zinsen für aufgenommene Kredite zu bezahlen. Als die Zinsen für gut geratete Unternehmens-Anleihen Anfang 1982 mit 15,2% ihren Höhepunkt erreicht hatten, lag die Verschuldung des Unternehmenssektors bei 511 Mrd. Dollar. Heute haben sich die Zinsen mit unter 4% fast geviertelt, die Verschuldung hat sich auf 5518 Mrd. Dollar mehr als verzehnfacht. Das Wachstum des nominalen BIP hat sich im selben Zeitraum von fast zehn Prozent auf gut drei Prozent gedrittelt (Chartquelle).
Wenn das BIP-Wachstum sich im Trend parallel zur Verschuldung entwickelt hätte, würde ich ja nichts sagen – aber so! Wie soll das auf Dauer funktionieren? Dieser Schuldenturm muss zusammenbrechen – und die Verschuldung der Unternehmen ist beileibe nicht der einzige, in Relation zum BIP nicht einmal der größte Brocken. Waren zuvor mehr als 50 Jahre erforderlich, um das Volumen der Unternehmensanleihen auf 2,5 Bill. Dollar hochzutreiben, so reichten ab der Jahrtausendwende 15 Jahre, um den Schuldenstand nochmals zu verdoppeln.
Oder anders gesprochen: Etwas anderes als weitere „unkonventionelle“ Maßnahmen der Zentralbanken zum alleinigen Zweck der Hinauszögerung des Zusammenbruchs kann ich mir nicht vorstellen. Wenn wir uns bisher schon verwundert die Augen gerieben haben, zu welchen Mitteln die Zentralbanken seit dem offenen Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2008 gegriffen haben, so sollten wir für die Zukunft mit noch viel „kreativeren“ Schritten rechnen.
Nachdem die Nullzinspolitik es nicht gebracht hat, zu einigermaßen solidem Wachstum zurückzukehren, wird jetzt mit aller Macht (erneut) versucht, die Inflation anzutreiben, um die Auswirkungen der massiven Verschuldung wenigstens nominal zu reduzieren (siehe z.B. hier!). Ob das gelingt, muss sich noch zeigen. Wenn es gelingt, wird aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr als ein Strohfeuer herauskommen.
Inflation erzeugt zunächst die Illusion, dass steigende Wachstumsraten von Preisen und Kursen real sind. D.h. sie würde zunächst einmal z.B. von Aktienanlegern begrüßt – das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Aber jede Illusion wird irgendwann von der Realität eingeholt, dann folgt die Ernüchterung – je weiter sich die Illusion zuvor abgehoben hat, je größer die Gegenreaktion.
Modigliani/Cohn (1979) und Campbell/Vuolteenaho (2004) haben das Verhalten von Anlegern in einem inflationären Umfeld untersucht und festgestellt: Nominale, inflationsgetriebene Wachstumsraten von Dividenden und Gewinnen werden zunächst als real angesehen und extrapoliert. Wenn die üblicherweise als recht rational angesehenen Anleihegläubiger eine bestimmte positive reale Rendite erwarten, werden sie bei steigender Inflationsrate eine steigende nominale Verzinsung verlangen. Für die alternative Aktienanlage bedeutet das, dass damit zunächst auch ihr Ertragsrahmen steigt. Weiter anhaltende Inflation lässt die Anleihe-Rendite weiter steigen, die nominale Expansion von Gewinnen und Dividenden wird weiter gekauft usw.
Entwickelt sich das Inflationsszenario mit Zweitrundeneffekten (z.B. steigende Löhne) weiter, kommt hinzu, dass den Unternehmen ihre höhere Preismacht hilft, ihre Margen zu steigern. Das untermauert die Anleger-Erwartung. Die Entwicklung führt schließlich zu Übertreibungen und dann zu Enttäuschungen. Der Preisblase entweicht heiße Luft.
Buchgewinne können sich als pure Illusion erweisen, wenn man die Entwertung durch Inflation nicht berücksichtigt. Der Wirtschaftsnobelpreis-Träger Robert Shiller behauptet z.B., die Geldillusion habe zum US-Immobilien-Crash beigetragen. Die Hausbesitzer hätten sich eher an den jahrelang zurückliegenden Kaufpreis ihres Hauses erinnert als an andere damalige Preise. Mit Blick auf das gestiegene Hauspreisniveau unterlagen sie daher der Illusion, die Immobilienpreise seien besonders stark gestiegen. Dadurch fühlten sie sich reicher als sie sind und erwarteten zukünftig weitere Wertsteigerungen.
Die Erwartung künftig steigender Preise wird aktuell gestützt durch die Entwicklung des CPI, wie auch durch die Entwicklung der Löhne und Gehälter. Allerdings sind das bisher nur recht marginale Anzeichen, als nachhaltigen und signifikanten Trend würde ich das nicht einstufen. Einige Beobachter sehen auch den bald anstehenden nächsten Zinsschritt der Fed in diesem Zusammenhang.
Klassische Theorien unterstellen, die Wirtschaftssubjekte können Inflationseffekte richtig einschätzen und berücksichtigen, wenn sie Güter kaufen, Löhne erhalten oder zahlen. Auch der Monetarist Milton Friedman postulierte dies. Der Inflationsillusion wurde kaum Bedeutung zugemessen.
Friedman war es aber auch, der die unkonventionellste aller Zentralbank-Maßnahmen für den Fall empfahl, dass alles andere nicht mehr weiterhelfen sollte – Helikopter-Geld. Diese Metapher bezieht sich darauf, dass die Geldmenge in der Realwirtschaft durch Zentralbankgeld dauerhaft erhöht wird. In besonders prägnanter Form erfolgt das dadurch, dass Geld vom Himmel regnet. Realistischer geschieht dies durch eine rasante Zunahme öffentlicher Ausgaben oder eine Steuersenkung, finanziert durch einen dauerhaften Anstieg der Geldmenge. Der Zusammenhang zwischen einer schnellen Zunahme der Geldmenge und langfristigen Preissteigerungen ist empirisch gut belegt und gilt als letzte Möglichkeit für die Zentralbanken, Inflation zu induzieren.
Hier könnte Japan einmal mehr den Vorreiter spielen. Die BoJ hatte zuletzt die gesamte jährliche Netto-Neuverschuldung des japanischen Staates aufgekauft und auch noch andere Assets in ihr QE-Programm eingeschlossen. Aber weder Inflation noch Inflationserwartungen sind angezogen, die Wirtschaftspolitik der Abenomics produziert nicht genügend Wachstum – das reale BIP ist heute nicht höher als 2008. Ende Januar hatte die BoJ dann in einer Art Verzweiflungsakt den Einstieg in negative Zinsen gewagt. Es geschah das Unerwartete: Der Yen wurde nicht schwächer, sondern erstarkte deutlich, dabei wurde auch der von japanischen Exportfirmen als wichtig angesehenen Pegel bei rund 115 bei Dollar/Yen durchbrochen. Aktuell notiert das Währungspaar bei 110. Rund 35% der Abwertung des Yen gegen den Dollar seit Start der Abenomics sind mittlerweile wieder zurückgenommen worden (Chartquelle).
Ein starker Yen reduziert die Chancen im Export und fördert deflationären Druck. Auf der jüngsten G7-Tagung wurde Japan wiederholt vor direkten Währungsmanipulationen mit dem Ziel einer Schwächung des Yen gewarnt. Da mit dem laufenden QE-Programm schon alle neuen Staatsschulden gekauft werden, stößt die BoJ hiermit an Grenzen.
Helikopter-Geld könnte nun in Japan die Wahl sein. Die Inlands-Geldmenge wird direkt erhöht entweder durch eine Steigerung der staatlichen Ausgaben, durch Steuersenkungen oder eine Kombination von Maßnahmen. Die Größe eines solchen neuen Programms könnte von der Entwicklung bestimmter Makrodaten oder auch von der Währungsentwicklung gesteuert werden. Die Erwartung ist, dass ein Teil des frischen Geldes ins Ausland fließt und so den Yen erneut schwächt. Trotz (oder wegen?) der bisher unternommenen agressiven Schritte, bleiben dem Land kaum andere Optionen. Gleichzeitig betritt es Neuland, weil im Gegensatz zu früheren Kredit-finanzierten staatlichen Anreizprogrammen eine Finanzierung mit Zentralbankgeld erfolgt; es verbleibt dauerhaft in der Wirtschaft, wird nicht eines Tages „sterilisiert“. Man darf gespannt sein. Der ehemalige Fed-Chef Bernanke hatte in einer Rede 2002 überlegt, ob Helikopter-Geld etwa Japan aus der Deflationsspirale heraushelfen könnte.
Die Wirksamkeit solcher Machenschaften hängt stark mit dem Überraschungseffekt zusammen. Die Zentralbanken haben sich in den zurückliegenden Jahren vieler Regelbindungen wieder entledigt, die in den 1980er Jahren eingeführt wurden, um ihre Politik berechenbar zu machen (z.B. Taylor-Regel oder Geldmengen-Steuerung). Damit wurden gewisse Voraussetzungen geschaffen für plötzliche Wendungen.
Wenn die Inflationserwartungen niedrig sind, aber überraschend eine starke Vermehrung der Geldmenge in Aussicht gestellt wird, ist die Wirkung auf das Preisniveau umso größer. Auch wirkt Helikopter-Geld im Vergleich zu per QE-Maßnahmen geschaffenem Geld direkter auf die Geldmenge im Geldfass der Realwirtschaft. QE-Maßnahmen entfalten ihre Effekte hingegen v.a. im Finanzbereich und treiben Asset-Preise hoch.
Durch Helikopter-Geld kann kurzfristig eine Konjunkturbelebung erreicht werden. Die längerfristigen Wirkungen stehen auf einem anderen Blatt. Wenn die Wirtschaftssubjekte die Verbesserung ihrer Einkommen z.B. durch Steuererleichterungen dazu nutzen, um künftige Ausgaben vorzuziehen, bleibt das Ganze ein Strohfeuer. Es kann sogar das Gegenteil eintreten, zusätzliche Mittel könnten gespart werden, insbesondere dann, wenn die Stimmung beim Verbraucher gedämpft ist und Vorsicht dominiert. Zudem dürften die Zentralbanken im Interesse der Schuldner der Inflation relativ tatenlos zusehen und die Zinsen nicht adäquat anpassen. Dadurch könnte die Inflation rasch unbeherrschbar werden – Vertrauensverlust in das Geldsystem wäre die Folge. Das ist auch der Grund dafür, dass die Zentralbanken bisher zögern bei der Anwendung von Helikopter-Geld.
[Unter Verwendung von Material aus "Why the G7 May Be Hastening Helicopter Money"]
Das US-BIP hat sich im ersten Quartal recht müde entwickelt. In Japan zeigt sich besonders klar, dass QE-Maßnahmen weder die Wirtschaft insgesamt, noch die Inflation ankurbeln. Unerwartet hat der Yen neue Stärke entwickelt. Jetzt könnte Japan zu den unkonventionellsten Maßnahmen aller unkonventionellen Maßnahmen greifen – Helikopter-Geld.
Ergänzung:
Dass Helikoper-Geld auch hier in Europa nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, zeigte sich im März, als EZB-Draghi in einer Pressekonferenz auf die Frage eines Reporters, war er davon halte, antwortete: Das ist "ein interessantes Konzept". Er ruderte zwar sogleich verbal zurück, die EZB habe sich noch nicht damit beschäftigt. Aber daraufhin schossen die Spekulationen schon mal ins Kraut.
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Kulturelle Evolution
"Die Wirtschaftsordnung, von der hier die Rede ist, kann nur insofern eine natürliche genannt werden, da sie der Natur des Menschen angepasst ist. Es handelt sich also nicht um eine Ordnung, die sich etwa von selbst, als Naturprodukt einstellt. Eine solche Ordnung gibt es überhaupt nicht, denn immer ist die Ordnung, die wir uns geben, eine Tat, und zwar eine bewusste und gewollte Tat."
(Vorwort zur 3. Auflage der NWO, 1918)
Seine Jünger sagten zu ihm: "Das Königreich, an welchem Tag wird es kommen?" Jesus sagte: "Es wird nicht kommen, wenn man Ausschau nach ihm hält. Man wird nicht sagen: "Siehe hier oder siehe dort", sondern das Königreich des Vaters ist ausgebreitet über die Erde, und die Menschen sehen es nicht."
(Nag Hammadi Codex II,2,113)
Wo wir heute vielleicht schon sein könnten, wäre die Natürliche Wirtschaftsordnung bereits nach dem ersten Weltkrieg verwirklicht worden (womit sich der zweite erübrigt hätte), kann bestenfalls erahnen, wer die "Großen Vier" (Heinlein, Asimov, Lem, Clarke) vollständig gelesen hat. Wo die Menschheit aber heute wäre, hätte es die "heilige katholische Kirche" nicht gegeben, sprengt jedes Vorstellungsvermögen!
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/glaube-aberglaube-unglaube.html
"Wir wären weit, weit über den Kapitalismus hinaus (Kapitalismus = wirtschaftlicher Zustand, in dem die Nachfrage nach Geld und Realkapitalien das Angebot übertrifft und darum den Zins bedingt), wenn seit 3000 Jahren durch die Wirtschaftskrisen die Kultur nicht immer wieder die mühsam erklommenen Stufen heruntergestoßen worden wäre; wenn die bettelhafte Armut, in der jede Krise die Volksmassen hinterlässt, nicht die Bettlergesinnung großgezogen hätte, die nun einmal den Menschen, groß und klein, in den Knochen liegt. … Die Plage des Hungers und der Druck der Schulden sind böse Erzieher.
…Und wo wären wir heute in wissenschaftlicher, technischer, … Beziehung angelangt, wenn die vielversprechende Kultur, die das Gold, obschon blutbefleckt, geraubt und erpresst, in Rom erstehen ließ, nicht unter einer anderthalbtausendjährigen, durch Geldmangel erzeugten ökonomischen Eiszeit erstarrt, vergletschert, vernichtet worden wäre? Sicherlich säßen wir jetzt auf dem Throne Gottes und ließen das All im Kreis an unserem Finger laufen."
Silvio Gesell (Die neue Lehre vom Geld und Zins, 1911)
Nicht nur für jene "Experten", die die ganz hohe Kunst studiert haben, etwas im Grunde so Einfaches wie das Geld NICHT zu verstehen, gibt es einiges nachzuholen:
http://opium-des-volkes.blogspot.de/2013/10/wohlstand-fur-alle.html
Wohl dem, der schon vor dem Jüngsten Tag damit beginnt.
http://www.juengstes-gericht.net