Der S&P 500 hat die schlechteste Woche seit Ende August hinter sich. Jetzt werden auch die Aktien etwa von Amazon abgestossen, die bisher einen guten Jahresverlauf hatten. Die großen Akteure geben offenbar den Versuch auf, das Jahr mit möglichst hohen Kursen zu beschließen und schalten um in die defensive Haltung, möglichst viel Gewinn im eigenen Portfolio zu realisieren.
Im Kursverlauf der S&P 500 zeigt sich schon längere Zeit Schwäche. Das in der zweiten Mai-Hälfte im S&P 500 markierte Allzeithoch wurde am 20. Juli knapp verfehlt. Am 3. November war der Abstand des lokalen Maximums zum Allzeithoch mit 20 Punkten schon deutlicher, der nächste Rekordversuch endete am 1. Dezember 27 Punkte unter dem Allzeithoch. Von da an ging es bergab bis auf jetzt 2013.
Die sich verschlechternde Lage spiegelt sich z.B. in der Auswertung der Volumenverteilung wider. Sie hat am 4. November auf Distribution umgeschaltet. Ab dem 24. November gab es wiederholt die Möglichkeit für eine erneute Akkumulationsphase. Bis jetzt geht die Distribution aber weiter. Die Advance-Decline-Linie, die das tägliche Verhältnis der Zahl steigender und fallender Aktien im S&P 500 zeigt, kippt seit 2. Dezember ab und ist mittlerweile in der bärischen Zone angekommen.
Der VIX, der Angstmesser an Wall Street, hat am 8. Dezember erstmalig wieder über seiner EMA50 geschlossen und am gestrigen Freitag ein Gap-up ausgebildet (zur Auswertung des VIX siehe u.a. hier!). Die Auswertung des Verhältnisses von S&P 500 und VIX hatte Anfang November kurz einen bullischen Zustand angebommen, seit 8. Dezember ist er bärisch. Das VIX-„Klima“ zeigt nun „Fear“. Die Auswertung des Verlaufs des Put/Call-Verhältnisse an der CBoE zeigte zwischen Mitte Oktober und Anfang November zwar noch bullische Verhältnisse an, seitdem verstärken sich aber die Anzeichen bärischer Ausrichtung.
Die Möglichkeit kurzfristiger Gegenbewegungen besteht durchaus, insbesondere dann, wenn im S&P 500 jetzt das 50er-Retracement des Anstiegs seit Ende September bei 1996, bzw. der wichtige statische Support bei 1991 hält. Um aber das längerfristige Bild positiv zu drehen, müsste die seit Jahresmitte übergeordnet zunehmende Schwäche im Index überwunden werden (Chartquelle).
In reifen Bullmärkten findet eine Konzentration auf Marktschwergewichte statt. Sie weisen eine höhere Liquidität auf und erleichtern großen Akteuren den kursschonenden Ausstieg. Das wiederum ist nichts anderes als eine abnehmende Marktbreite, in der immer weniger Titel die Indexentwicklung tragen. Wenn in einer solchen Phase gleichzeitig das Marktvolumen steigt, weist das auf eine zunehmend Abgaben-orientierte Einstellung hin. Dies ist gegeben.
Die Chancen für eine Überwindung dieser übergeordneten Schwäche stehen nicht gut. Die Indizien mehren sich für ein weiteres Nachlassen des globalen Wachstums. Die Ölpreise mögen zwar mittlerweile in einem Stadium übertriebener Abwärtsreaktion gelandet sein. Trotzdem hängt ihr tiefer Stand sehr wohl (auch) mit nachlassender Nachfrage zusammen. Ich hatte hier den Verlauf der „Leading indicators“ der OECD diskutiert, der klare Anzeichen für einen konjunkturellen Abschwung in den USA zeigt.
Ganz aktuell zeigt der Verlauf des Einzelhandelsumsatzes in den USA (siehe Chart!) seit einigen Monaten abnehmende Zuwächse im Jahresvergleich (siehe Chart im unteren Teil). Für November liegt der Wert noch 1,5% über dem Vorjahresmonat, im größeren Bild sind seit September 2011 abnehmende Jahreszuwächse festzustellen. Die Auswertung des Trendverlaufs (rote Signallinie) zeigt seit September eine Entwicklung unter dem Trend, bereits im Mai 2012 verlief die Entwicklung nicht mehr steiler als der Trend.
Das, was im Zusammenhang mit der Entwicklung von Einzelhandel und Weihnachtsgeschäft in den USA hier diskutiert wurde, hat sich weiter verfestigt. Auch von der Stimmungsseite etwa der Verbraucher kommt keine Entwicklung, die für eine baldige Wiederbelebung spricht. Und wenn auch IWF-Chefin Lagarde, internationaler Cheer-Leader für eine leuchtende Zukunft, sagt, sie müsse ihre Prognose für das globale Wachstum nach unten korrigieren, sollte einem das zu denken geben. Sie hatte im Vorgriff der IWF-Herbstprognose verkündet, eine Prognose von 3,3% Wachstum für 2015 sei nicht länger realistisch, ebensowenig eine von +3,8% für 2016.
Charles Gave, Chairman von Gavekal, deckte kürzlich in “Of Central Bankers, Monkeys and John Law” Parallelen zwischen der französischen “Mississippi Bubble” im 18. Jahrhundert und der Situation der Eurozone auf. Er sieht in einem aktuellen Kommentar den Gipfel der Marktdummheit erreicht, als die europäischen Märkte Anfang des Monats durchgeschüttelt wurden, weil die EZB den Geldhahn nicht ganz so weit aufgedreht hat wie erwartet. Er folgert, wir leben in einer Welt, in der der Wert von Finanz-Assets nicht länger von einem auf die Zukunft abgezinsten Einkommensstrom bestimmt wird, sondern nur noch davon abhängt, wieviel Geld die Zentralbank druckt und wie viel sie noch drucken wird.
Die Geldflut treibt den Marktteilnehmern ihre letzte Rationalität aus. Aber wie Keynes sagte, Märkte könnten länger irrational bleiben als man selbst solvent bleiben kann. „Länger“ – ja, aber nicht ewig. Und wenn dieser Zustand aufhört, schwingt das Pendel in die andere Richtung, wo es ebenso irrational lange bleiben kann.
Wir stehen unmittelbar vor der nächsten Bewährungsprobe für die Liquiditätssüchtigen und die Drogenkuriere in den Finanzmärkten. In der kommenden Woche wird die Fed aller Wahrscheinlichkeit nach ihre erste Zinserhöhung in fast einer Dekade beschließen. Wenn sie, wie allgemein angenommen, die Leitzinsen auf einen Bereich zwischen 0,25% und 0,50% anhebt, muss sie Liquidität einkassieren. Die meisten Beobachter schätzen, dass sich das im Bereich von 300 bis 400 Mrd. Dollar belaufen wird bei Reserven von etwa 2,5 Bill. Dollar.
Felix Zulauf glaubt nicht, dass das reicht. Er schätzt, dass dazu mindestens eine Billion Dollar erforderlich ist – oder sogar mehr. Das wird die Bilanzsumme der Fed entsprechend verkürzen und entsprechend viel Liquidität vom Tisch nehmen. Sehr negative Auswirkungen auf die globale Liquidität im allgemeinen könnten die Folge sein, sagt er. Er sieht den kommenden Zinsschritt schon in die Geschichtsbücher eingehen als größeren Fehler. Dabei ist er nicht prinzipiell gegen Nullzinsen und QE. Dies sind aber seiner Meinung nach Notfallmaßnahmen, die danach zügig wieder aufgehoben werden müssen. Demzufolge kritisiert er nicht den sehr wahrscheinlich kommenden Zinsschritt, sondern den Zeitpunkt – die Fed ist (wieder) viel zu spät dran.
Am Donnerstag Abend wurde bekannt, dass ein von “Third Avenue Management” aufgelegter Investmentfonds die Rückzahlung von Einlagen gestoppt hat und versucht, etwa eine Milliarde Dollar an Junk-Bonds zu liquidieren. Das ist die größte Schieflage eines US-Fonds seit 2008. Seit Ende Juli hat sich das Fonds-Volumen mehr als halbiert. Die kollabierenden Ölpreise bringen Ramschschulden in Bedrängnis, die im Fracking-Bereich einen besonders hohen Anteil haben. Ich hatte mich u.a. hier mit dem Thema beschäftigt. Gegenwärtig gibt es auch nicht annähernd so viel Kaufbereitschaft, wie für die von “Third Avenue Management” angebotenen Junk-Bonds erforderlich wäre. Das setzt den Junk-Bond-Markt insgesamt schwer unter Druck.
Unter dem Titel „Qualität war gestern“ befasst sich das Bankhaus Rott mit den Kursverlusten bei Energie- und Rohstofftiteln, die am unteren Ende des Anleihemarktes tiefe Spuren hinterlassen. Viele Firmen sind vor allem mit dem Hinauszögern der Insolvenz beschäftigt, aber die Einschläge kämen spürbar näher, heißt es.
Der Bondmarkt flüstert gewöhnlich nur, aber kommt er erst einmal in die eine oder andere Richtung in Bewegung, gibt es aufgrund seiner puren Größe oft kein Halten mehr. Von ihm gehen die wesentlichen Signale hinsichtlich Solvenz und Liquidität aus. Der alleinige Fokus auf die Aktienmärkte macht blind und taub für solche Entwicklungen, die letztlich auch über die Kursentwicklung bei Aktien entscheiden. Jeffrey Gundlach, Mitbegründer von DoubleLine Capital, sagt, es fühle sich an wie 2007 erinnert, als sich die Finanzkrise zusammenbrauen begann. Gundlach ist ein bedeutender Akteur im Bond-Markt.
Der “BofA Merrill Lynch US High Yield Master II Option-Adjusted Spread” zeigt den Spread von Hi-Yield US-Anleihen zum zehnjährigen TNotes. Er ist seit Mitte 2014 von damals 3,5% auf nun 6,71% angestiegen und hat damit die Alarmzone bei 6,5/7,0% erreicht (siehe auch hier!).
Aussagekräftig für Reibungsverluste im gesamten privaten Bondmarkt ist auch der Verlauf der Differenz zwischen diesem Index und den Renditen für hoch geratete US-Unternehmensanleihen (beide Indices sind Spreads gegen TNotes, die dadurch eliminiert werden). Hier zeigt sich noch viel deutlicher, in welcher Gefahrenzone der Bond-Markt mittlerweile steckt. Die Differenz liegt bei 5%, aus dem Chart lässt sich unschwer ablesen, welche Bedeutung dieser Pegel in der Vergangenheit hatte.
Ein Blick auf die Liquidität! In den zurückliegenden Jahren war die Fed der große internationale Liquiditätsspender. Schätzungen gehen von einer Summe von bis zu neun Bill. Dollar aus, die unterwegs sind. Die EZB tritt mit ihrer QE-Politik allmählich in die Fußstapfen der Fed und so könnten sich die Effekte dies- und jenseits des Atlanktiks ausgleichen. Wenn…
…wenn der Euro keine wirkliche Stärke aufbaut und dadurch die Liquididierung von in Euro lautenden Carry-Trade-Krediten beschleunigt wird. Es wird also darauf ankommen, dass sich das internationale Schuldenkarussel weiter dreht. Wenn sich die globalen Wachstumsaussichten allerdings weiter eintrüben, sinkt die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht. Ein Gradmesser dafür dürfte auch der Euro sein. Wenn auf die Gemeinschaftswährung lautende internationale Kredite aufgelöst werden, steigt sein Wert und das das kann zu einer Lawine von Rückzahlungen führen, weil die Rentabilität solcher Kredite dann schnell im Feuer steht.
Der TED-Spread zeigt Liquiditätsbewegungen (Differenz zwischen dem Dreimonats-Libor und der Rendite für 13-wöchige US-TBills (IRX)). Mit zunehmender Liquidität der Banken steigt das Angebot am Geldmarkt, der Spread sinkt. Umgekehrt führt ein Rückgang der Liquidität zu einem steigenden Spread; wenn Banken der weiteren Entwicklung im Bankensystem misstrauen, verkaufen sie Assets und schichten in TBills (IRX; “Parkplatz”) um.
Aktuell nimmt der TED-Spread nach einem Hoch per Ende September bei 0,34% ab – momentan sind es 0,24%. Die Liquidität scheint somit eher zugenommen zu haben. Allerdings muss man sich klar machen, was hinter dem TED-Spread steht. Die TBill-Rendite ist zuletzt deutlich angestiegen, und da der Libor nicht in gleichem Maße zugelegt hat, ist der TED-Spread zurückgegangen.
Was bedingt die Stärke des IRX? Ich denke, dass auch der IRX im Zeichen der anstehenden Zinserhöhung steht, die Einstellung hierauf ist zumindest ein Teil der Antwort. Somit ist das Signal des TED-Spread aktuell irreführend. Die Liquidität hat nicht zugenommen, sie hat abgenommen. Erst wenn der IRX wie in normalen Zeiten (vor 2008) wieder beständig über dem TED-Spread liegt, ist der TED-Spread in der gewohnten Art und Weise aussagekäftig.
Letztlich geht es den großen Anlegern vor dem Hintergrund der sich manifestierenden Wachstumsschwäche und dem lang andauernden Bull-Run der zurück liegenden Jahre darum, ihre Tonnen an angehäuften Aktien zu möglichst hohen Kursen an Gierige abzugeben. Dieser Prozess benötigt Zeit – Zeit, in der immer wieder versucht wird, die Kurse nochmals hoch zu leiern, um höher verkaufen können. Zumindest so lange, so lange das Geschehen nicht unberrschbar wird, etwa durch eine Welle an Insolvenzen, die dazu zwingt, ohne Rücksicht auf Verluste Cash zu generieren.
Daher zum Schluss noch einen Blick auf die fraktale Auswertung des S&P 500 Monatscharts (Stand per 30. Novemver). Die obere rote Linie („Linearity“) zeigt, wie weit der Herdentrieb, bzw. die chaotische Phase des “Kurssystems” S&P 500 fortgeschritten ist. Das Linearitätsmaß hatte im Dezember 2014 einen Rekordwert von 96% erreicht. Per Ende August ist es auf 83% gefallen, aktuell liegt es bei 71%. Mit einem beginnenden Bären-Markt ist erfahrungsgemäß zu rechnen, wenn das Niveau von 90% unterschritten wird. Diese Bedingung ist seit Ende August erfüllt.
Die Warnung des Linearitätsmaßes muss bestätigt werden. Die Auswertung von Zuordnung und Richtung verschiedener gleitender Durchschnitte (hellgrüne Linie im oberen Chart-Bereich) hat mit dem Rückfall in den neutralen Zustand ein weiteres Warnsignal erzeugt. Kippt es nach unten ab, wird das Bärenmarkt-Signal des Linearitätsmaßes bestätigt. Dies ist bisher noch nicht erfolgt.
Im Umfeld des Zinsschritts der Fed in der nächsten Woche kann alles passieren – vom Crash bis zur Kursexplosion. Vielleicht gibt es auch gar keinen??? Übergeordnet jedoch verdunkelt sich das Bild sowohl von der Makroseite her, als auch von den Signalen, die Bonds und Liquidität aussenden. Nicht zuletzt warnen eine Reihe von technischen Indikatoren bei Aktien vor einem Ende des Bull-Run.
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