Im August wurden in den USA weniger Arbeitsplätze neu geschaffen als erwartet. Zugleich wurde die entsprechende Zahl für Juli nach oben revidiert. Blickt man hinter die Kulissen, so bleibt das Bild der zurückliegenden Monate, wenn nicht Jahre erhalten: Es werden mehr Jobs in den unteren Gehaltssegmenten geschaffen als in den oberen.
In Zahlen: Der August brachte 151.000 neue Arbeitsplätze (im non-farm Bereich), erwartet wurden 180.000. Im Juli lag die Zahl mit 275.000 um 20.000 höher als zuvor gemeldet. 54% der für August gemeldeten neuen Jobs lagen unter dem mittleren Lohn (Median bei 12 Gruppen insgesamt), 28% fielen in die Gruppe mit der niedrigsten Bezahlung. Restaurants und Bars stellten 34.000 Menschen neu ein, sie führen damit. In 2016 hat dieser Zweig bis jetzt 312.000 neue Arbeitsstellen geschaffen, die zur zweituntersten Lohngruppe gehören.
Der Zuwachs der neuen Stellen betrug im August im Jahresvergleich 1,74%. Das jüngste Maximum wurde im Februar 2015 mit +2,28% erreicht, dies war zugleich der höchste Zuwachs seit Mitte 2000. Seit diesem Gipfel nimmt das Momentum ab, seit Mai liegt die Entwicklung nicht mehr über dem Trend.
Aktien nahmen die Entwicklung positiv, weil damit nach Einschätzung großer Akteure die Wahrscheinlichkeit für einen Zinsschritt im September wieder sinkt. Sie hatten einen Tag zuvor zunächst noch negativ auf den ISM-Index für August reagiert, der zum ersten Mal seit Februar wieder in die Kontraktionszone gerutscht war. Im weiteren Handelsverlauf waren die Tagestiefs dann gekauft worden, weil auch das die „Zinssorgen“ abmilderte.
Paul Winter, UBS, glaubt, wir nähern uns dem Ende des Kreditzyklus. Die Zuwachsraten der Unternehmenserträge sind flach, die Aktienbewertungen sind hoch, was angesichts der geringen Bond-Renditen bis zu einem gewissen Grad Sinn macht. Aber wenn die Ära von Überschussliquidität und billiger Verschuldung zu Ende geht, wird es für das Management von Unternehmen immer schwieriger, das Verlangen der Investoren nach Unternehmensgewinnen mit Krediten zu befriedigen.
Der einfache Risiko-Aufschlag bei Aktien liegt bei 4,3% (Earnings Yield – Bond Yield), nach historischer Beziehung von Ertragswachstum, Volatilitäts-Differentialen und Risiko-Aufschlägen liegt der Wert aktuell aber eher bei 6%. Dieser Zustand hat nach Winter keinen Bestand, auch wenn die Dynamik bei der Bildung von Überbewertungsblasen nicht vernachlässigt werden darf.
Er sieht letztlich nur zwei Möglichkeiten, um ein Gleichgewicht herzustellen: Entweder steigen die Unternehmenserträge wieder um 4% p.a. und rechtfertigen so einen Risiko-Aufschlag bei Aktien von 4% oder die Aktienkurse müssen um 20% korrigieren. Angesichts des anemischen Wirtschaftswachstums ist ein solcher Zuwachs bei den Unternehmensgewinnen schwer vorstellbar, das Gewinnwachstum in den USA lag im zweiten Quartal bei unter –2% p.a.
Interessanterweise ist die Überbewertung bei Aktien geringer Volatilität besonders hoch. Zudem hat diese Aktiengruppe mit einem Anteil von 45% ein hohes Marktgewicht. Während in der dotcom-Blase um 2000 die Bewertung bei Aktien mit hoher Volatilität besonders hoch war (Technologieaktien), zeigte sich vor dem Crash 2008 das umgekehrte Bild: Auch damals waren Aktien mit geringer Volatilität (etwa Dividenden-Aktien) besonders hoch bewertet.
Die besonders hohe Bewertung von Aktien geringer Volatilität und v.a. von Dividendenwerten dürfte auch eine Folge der schrumpfenden Bond-Renditen sein. Bond-Akteure streben nach laufendem Einkommen aus ihren Engagements und das stellen solche Unternehmen durch regelmäßige Dividenzahlungen sicher, die noch dazu häufig höher ausfallen als es der durchschnittlichen Bond-Rendite entspricht.
Gleichzeitig sind Unternehmen mit geringer Volatilität („Trading Volatility Decile“ 1, 2 und 3 im folgenden Chart) besonders hoch verschuldet. Das wiederum dürfte damit zusammenhängen, dass diese Unternehmen die aktuellen Möglichkeiten der Aufnahme billiger Kredite dazu benutzen, ihre Dividendenzahlungen, wie auch Aktienrückkäufe zu finanzieren.
Winter warnt, dass Dividendenaktien in einer Korrekturphase besonders stark an Wert verlieren dürften. Wenn tatsächlich das Ende des Kreditzyklus naht, kommt diese Aktiengruppe aus mehreren Richtungen unter Beschuss: Einerseits ist sie besonders hoch bewertet, andererseits kann sie ihre kreditfinanzierte Dividendenpolitik dann nicht mehr im selben Umfang fortsetzen. Und da ihr Marktgewicht hoch ist, tangiert das dann auch den S&P 500 in besonderer Weise.
Um das systemische Risiko abzuschätzen, benutzt Winter einen Ansatz von Robert Engle, die „S-Risk methodology“. Mit deren Hilfe wird ermittelt, wie viel Kapital Finanz-Institutionen benötigen, wenn eine neue Finanzkrise ausbricht. Parameter sind dabei Marktkapitalisierung, Schuldenhebel und Volatilität. Ohne West-Europa ist das Ergebnis auf gleicher Höhe wie etwa Mitte 2014, mit West-Europa war Mitte 2012 ein lokales Hoch erreicht. Danach ist das isolierte S-Risiko in West-Europa zurück gegangen, seit Ende 2015 steigt es wieder an.
Um abzuschätzen, wie es um das Makro-Risiko aus dem Zustand der Realwirtschaft bestellt ist, ist folgende Überlegung hilfreich: Korreliert man wichtige US-Makrodaten miteinander, so weisen negative Korrelationskoeffizienten auf „Reibungsverluste“ in der Realwirtschaft hin. Im folgenden Chart wird das Ergebnis für die Zeitreihen PCE (persönlicher Konsum), PAYEMS (Zahl der Arbeitsplätze), INDPRO (Industrieproduktion) und DSPIC (verfügbares persönliches Einkommen) dargestellt. Drei der sechs Korrelationen sind negativ, die anderen positiv. Im Vorfeld, erst recht in Rezessionen werden immer mehr Korrelationsergebnisse negativ. Der aktuelle Stand zeigt zumindest, dass die US-Wirtschaft keineswegs „reibungslos“ funktioniert. Die gleiche Aussage macht der aus den genannten Datenreihen gebildete Diffusionsindex, der gegenwärtig bei 38% notiert. Er zeigt in der historischen Betrachtung vor Rezessionen Tempoverlust und sinkt dann zeitnah zu deren Beginn jeweils in den Bereich unter 50%.
Die Aussage, die man zur Verfassung der US-Wirtschaft als der weltweit tonangebenden machen kann, ist die, dass sich ihre Dynamik weiter verringert. Das deckt sich auch mit der Entwicklung des Arbeitsmarktes, wie zuvor besprochen. In Zeiten geringer Wachstumsraten, überbordender Verschuldung und geringer Wachstumsraten steigt die Anfälligkeit von Real- und Finanzwirtschaft für externe Schocks.
Der S&P 500 (Chartquelle) bewegt sich seit Mitte Juli in einer engen Handelspanne zwischen 2157 und 2190 (violette Linien). Der VIX, der „Angstmesser“ an Wall Street, war gleichzeitig bis in den tiefsten Bereich seit der Finanzkrise abgesunken. Davon ist er weiterhin nicht weit entfernt. Auch hier ist die Schwankungsbereitschaft eingeschlafen. Üblicherweise folgt auf eine solche Phase ein Volatilitätsausbruch, der in der Regel mit schwächeren Kursen einher geht. Andererseits sind schmale Rechtecke Ausdruck einer Konsolidierung, die meist in Richtung des vorherigen Trends aufgelöst wird. Das sind sich widersprechende Signale. Psychologisch bedeutsam ist „2200“ im S&P 500, ein Pegel, der beim aktuellen Stand von 2180 leicht erreichbar scheint. Darüber liegt die Oberseite des Aufwärtskanals aus 2009 (aktuell ca. 2050) – ein schon deutlich ehrgeizigeres Ziel, das mit einer Fortsetzung der Konsolidierung in immer weitere Ferne rückt.
Bei der aktuellen Chart-Situation des S&P 500 sollte man die Möglichkeit eines Fehlausbruchs über die etablierte Handelsspanne in Betracht ziehen, dem eine stärkere Korrektur folgt. Das würde auch in das saisonale Bild passen, nach dem der September häufig ein schlechter Aktienmonat ist.
Die US-Arbeitsmarktdaten für August geben das gewohnte Bild ab – die Dynamik beim Aufbau neuer Stellen lässt weiter nach. Auch ansonsten zeigt sich die wirtschaftliche Entwicklung eher anemisch. Insbesondere Aktien niedriger Volatilität sind mittlerweile hoch bewertet, eine Folge der niedrigen Bond-Renditen. Hier baut sich Korrekturpotenzial auf, das wegen des hohen Marktgewichts dieser Aktien auch den S&P 500 insgesamt stark tangieren kann. Der Aktienindex läuft in einer ungewohnt lange andauernden, engen Handelsspanne, die bald aufgelöst werden dürfte.
Nachtrag:
(8.9.16) Der „non-manufacturing index“ des ISM fiel im August deutlich auf 51,4 nach 55,5 im Juli. Der Service-Sektor expandiert zwar noch, aber jetzt so schwach wie in den vergangenen sechs Jahren nicht. Der vergleichbare Index von Markit fiel im August auf den tiefsten Stand in sechs Monaten, die Beschäftigungs-Komponente stieg so schwach wie seit Dezember 2014 nicht. Das weist zusammen mit entsprechenden Indices aus dem Fertigungssektor darauf hin, dass das anualisierte BIP-Wachstum auch im dritten Quartal kaum über ein Prozent hinauskommen dürfte und damit die schwache Entwicklung der ersten beiden Quartale fortsetzt.
Hinzu kommt, dass der breit gefasste Index der Änderung der Bedingungen im Arbeitsmarkt (FRBLMCI – Chartquelle) wieder in den negativen Bereich abgerutscht ist und damit die kurze Erholung im Juli nicht bestätigt. Hier spiegelt sich u.a. auch die schwache Tendenz der Wochenlöhne wider.
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