Seit „Lehman“ ist der Bond-Markt in der industrialisierten Welt um 30% auf 275% des BIP angeschwollen, in den Emerging Markets um 35% auf 180% des BIP. Zwischen 2000 und heute hat sich der globale Bond-Markt nahezu verdreifacht auf über 100 Bill. Dollar. Der auf Bonds insgesamt bezogene Derivate-Markt ist über fünf mal so gross. 20 Unternehmen managen 70% der Bond-Versorgung weltweit
Damit hat sich ein hoch konzentriertes Erpressungspotenzial aufgebaut. Ein Wink mit dem kleinen Finger, Bonds aus den Büchern zu kicken, reicht, um den Regierungen und Zentralbanken klar zu machen, was zu tun ist, nämlich noch mehr Schulden zu machen. Und wenn die ausgegeben werden, um alte Schulden zu bezahlen – wen juckt es. Wenn sie allerdings in einem weiteren Stadium ausgegeben werden, um die auf die bestehenden Schulden anfallenden Zinsen zu begleichen, dann ist nach Minsky das Ponzi-Stadium erreicht, ein Schneeball-System in „Perfektion“.
Bei all dem muss noch einbezogen werden, dass die tatsächliche Staatsverschuldung wegen der sich durch die sozialen Sicherungssysteme ergebenden Verflichtungen weit höher liegt als das, was offiziell ausgewiesen wird. Schätzungen gehen davon aus, dass dies eingerechnet in den entwickelten Ländern BIP-Schuldenquoten jenseits von 300% erreicht werden. Da die herrschenden Politiker seit Jahrzehnten vor allem wegen ihrer Versprechungen einer sicheren sozialen und wirtschaftlichen Zukunft gewählt wurden, wäre es politischer Selbstmord dieser Kaste, nun an diesem Ende das Sparen zu beginnen. Ihr Weg ist daher wie in der Vergangenheit: Weiter so mit den Versprechungen, noch mehr Schulden!
Inflation ist in dieser Situation der Königsweg.
Wie sieht es aus mit Inflation?
Nach einer disinflationären bis leicht deflationären Phase in den industrialisierten Ländern scheinen sich die Inflationsraten jetzt auf niedrigem Niveau stabilisiert zu haben. Der US-PPI ist im Mai mit plus 0,5% auf Monatssicht etwas stärker gestiegen als erwartet. Der US-CPI wird in der nächsten Woche aktualisiert. Auch in der Eurozone haben die Preise zuletzt etwas stärker zugelegt als erwartet. Der von der Fed besonders fokussierte PCELIFE (PCE-Deflator ohne Nahrungsmittel und Energie) ist im April um 1,24% im Jahresvergleich gestiegen, die jährliche Steigerungsrate liegt noch unter einer Abwärtslinie aus Frühjahr 1989, damals waren 4,4% erreicht worden (siehe kleinen Chart im unteren Teil). Diese Linie war 2007 und 2008 mehrfach erreicht worden, zuletzt gab es im April 2012 eine Berührung bei 2%. Die Linie notiert aktuell bei 1,9%.
Ein künftiger deutlicher Inflationsschub ergibt sich aus der Analyse des Inflationsverlaufs gegenwärtig nicht.
Welche Inflationssignale liefert die Zinsentwicklung?
Die Inflationserwartung aus der Differerenz der nominalen und der Inflations-indizierten Rendite der zehnjährigen US-TNotes liegt aktuell bei gut 1,8%. Das jüngste Tief war hier Mitte Januar bei 1,5% erreicht worden. Der jüngste Hochpunkt der Erwartungen stammt von Anfang April 2013 mit 2,5%. Damals lag die Teuerung nach CPI bei 1,1%, danach ging es im großen Bild weiter abwärts. Dies mag als Beispiel dafür herhalten, dass die Manipulation der Zinsen gehäuft falsche Signale liefert.
Das Epizentrum der Bond-Märkte liegt gegenwärtig in der Eurozone. Der zehnjährige Bund rentiert mittlerweile bei über 1%, im März lag die Rendite noch bei 0,05%, eine Steigerung um 100 Basispunkte. Die internationalen Renditen sind in Indonesien um 175, in Südafrika um 160, in der Türkei um 150, in Mexiko um 130 und um 80 Basispunkte in Australien angestiegen.
Die Bond-Märkte mögen sich einige Zeit in Selbstzufriedenheit gesonnt haben, in der es hieß Rendite ohne Risiko. Gegenwärtig heißt es gemäß Laurent Crosnier von Amundi eher: Risiko ohne Rendite. Der Herdentrieb hat lange dafür gesorgt, dass es nach der „greater fool“-Theorie immer noch einen gab, der einem anderen dessen Staatsanleihen abgekauft hat – zu höheren Kursen. Ein Drittel des Marktes für Staatsanleihen in der Eurozone, 2 Bill. Euro, wurde im Frühjahr 2015 noch zu negativen Zinsen gehandelt und so der Exzess sinkener Renditen (steigender Kurse) spekulativ auf die Spitze getrieben.
Die Signale des Bond-Markts sind aktuell eher technischer Natur, die mit der exponentiellen Entwicklung hier, aber weniger mit aufkommender Inflation zu tun haben.
Geldmenge als Inflationsindikator?
Nach Zahlen von Oxford Economics ist die enge Geldmenge M1 hier in den zurückliegenden sechs Monaten um annualisiert 16,2% gestiegen. Das breitere Geldmengenaggregat M3 bringt es im gleichen Zeitraum auf +8,4%, so viel wie seit 2008 nicht mehr (Chartquelle).
In den USA steigt die M3-Geldmenge (hochgerechnet – M3 wird seit einigen Jahren nicht mehr offiziell ausgewiesen) gegenwärtig um 8% p.a., das ist ungefähr der Durchschnitt nach dem zweiten Weltkrieg. MZM, in etwa vergleichbar M2, und ein gutes Maß für die Versorgung der Wirtschaft mit liquidem Geld wächst gegenwärtig um 6,2% p.a. Weil die Reserven im US-Bankensystem seit Sommer 2014 zurückgehen, steigt die Geldmenge M0 (Geldbasis) gegenwärtig nur noch mit jährlich 1%. Die Kredite (Total Loans and Leases) legen per Mai um 7,7% p.a. zu, soviel wie seit dem offenen Ausbruch der Finanzkrise nicht mehr. Das korrespondiert mit der Entwicklung der Geldmengenaggregate M2 und M3.
M1 läuft der wirtschaftlichen Entwicklung typischerweise sechs Monate voraus, M3 hat eine Vorlaufzeit von rund 12 Monaten. Sicher lassen sich diese Erfahrungswerte aus der Vergangenheit vor der großen 2008er-Geldflut nicht so einfach auf heute übertragen, weil der Transmissionsmechanismus der Geldpolitik stark gestört ist. Aber an irgendeinem Punkt läuft das Geldfass des Finanzsektors eben über – nur wann?
In der Eurozone ist zwar das Momentum der Geldmengenausweitung zurzeit besonders hoch, allerdings sind das Sondereffekte, die aus der leichten Wirtschaftsbelebung hier und dem Start des QE-Programms herrühren. In den USA ist die Entwicklung der Geldmenge zurzeit unauffällig. Und das ist für die Weltwirtschaft insgesamt der entscheidende Punkt.
Und die Ölpreise?
So wie die in der Jahresmitte 2014 eingeleitete Schwäche bei den Teuerungsraten eng mit den Ölpreisen zusammenhing, stützt ihr seit Jahresanfang eingeleiteter Rebound gegenwärtig die gegenteilige Tendenz. Allerdings bewegen sich die Ölpreise in aufwärts gerichteten Keilen („Bärkeil“), was die Wahrscheinlichkeit unterstreicht, dass sie nochmals tiefere Regionen anlaufen werden. Dabei erscheint das sich hieraus ergebende rechnerische Rückschlagspotenzial bei Öl Brent größer als bei der amerikanischen WTI-Sorte (Chartquelle). Das dürfte auch ein Hinweis auf die relative Stärke der US-Ökonomie in Vergleich zu der in der Eurozone sein.
Aus Sicht der Ölpreise ist zurzeit eher nicht mit deutlicher Unterstützung einer verstärkt inflationären Tendenz zu rechnen.
Zinspolitik der Fed – Impuls für steigende Zinsen?
In Dollar nominierte Schulden außerhalb des US-Währungsraums sind seit 2000 von zwei auf neun Bill. Dollar angewachsen. Damit ist die Welt noch abhängiger von der Fed-Politik geworden. Und so warnen IWF und jetzt auch Weltbank die Fed davor, den ersten Zinsschritt schon in diesem Jahr zu unternehmen, weil die globale Wirtschaft zu fragil ist. Das würde letztlich auf die Wirtschaft der USA zurückschlagen und die Erholung hier abwürgen. Nach der Auswertung der Fed Funds Futures gilt mittlerweile der Oktober als der wahrscheinliche Monat für einen ersten Zinsschritt, vor kurzem war es noch der Dezember. Die Rendite der zweijährigen US-Treasuries gilt als gutes Omen für die Entwicklung der Leitzinsen der Fed. Sie steigt seit April 2013 von damals 0,2% auf aktuell 0,73% (Chartquelle). Das unterstreicht ebenfalls, dass von den Bond-Playern in nicht allzu ferner Zukunft ein Zinsschritt erwartet wird.
Ein erster Zinsschritt der Fed dürfte allmählich eingepreist sein. Ob weitere folgen, steht auf einem ganz anderen Blatt. Inwieweit dies der Startschuss für nachhaltig steigende langfristige Zinsen ist ebenfalls nicht ausgemacht. Hierzu müsste die Rendite für zehnjährige TNotes schon das Niveau von 3% erreichen, hier verläuft aktuell auch eine Abwärtslinie aus Mitte der 1980er Jahre.
Bonds – Seismographen für inflationäre Entwicklung?
Üblicherweise wird unterstellt, dass die Leitzinsen der Preisentwicklung folgen und die langfristigen Zinsen auf beides reagieren. Die inflationären Impulse seitens der Realwirtschaft sind momentan eher gering. Es gibt ein leichtes Anzeichen für anziehende Stundenlöhne in den USA, aber signifikant ist das bisher nicht. Immerhin ist der Anteil der Löhne und Gehälter am BIP per Ende des ersten Quartalsmit 43,5% auf den höchsten Wert seit Mitte 2009 angestiegen.
Der US-Einzelhandelsumsatz ist im Mai deutlich angestiegen, im Jahresvergleich beträgt der Zuwachs aber gerade 2%. Stimmung und Sentiment der Verbraucher präsentieren sich nach wie vor recht gut und besser als erwartet. Die sinkenden Ölpreise wirken zwar wie ein monatlicher 100-Dollar-Scheck für die Haushalte, aber der Betrag wird aktuell immer noch eher gespart als ausgegeben. Hier baut sich aber Konsumpotenzial auf, vielleicht wird es frei gesetzt, wenn die Ölpreise, wie zu erwarten, nochmals den Rückwärtsgang einlegen.
Zinsausbruch und Inflation – das eine ohne das andere?
Es ist ziemlich klar, dass in einer Situation wie dieser, in der die Zinsen jahrelang mit gewaltigem Aufwand nach unten manipuliert wurden, wenig dazu gehört, um eine Eruption zur Oberseite hin auszulösen. Das kann auch ohne realwirtschaftlichen Grund dann geschehen, wenn es zu einem massiven Vertrauensverlust in die Papier-Währungen unserer Tage kommt.
Könnte dann die Teuerungsrate den Zinsen folgen und ebenfalls nach oben ausbrechen? Ich vermute, aus makroökonomischen Erwägungen heraus geschieht das gerade nicht. Ich würde die Wirtschaft dann eher in ein Depressionsszenario abrutschen sehen, u.a. weil die Schuldenlast der privaten Haushalte weiterhin hoch ist. Absolut hat hier seit Mitte 2008 kaum eine Reduktion stattgefunden, bezogen auf das BIP ist die Schuldenquote immerhin von 91,5% auf 82,3% per Q1/2015 zurückgegangen. Die Kombination von nachhaltig steigenden Zinsen und gedrückter Inflation bis Disinflation oder sogar Deflation, wäre absolutes Gift für die Schulden-orientierte Wirtschaft, in der wir leben.
In einer Situation, in der die Wirtschaftssubjekte an der Werthaltigkeit ihrer Barbestände zu zweifeln beginnen, wäre eine Inflation auch ohne Zinsexplosion möglich. Umgekehrt könnte ein nachhaltiger Zinsauftrieb eben gerade einen solchen Vertrauensverlust beschleunigen. Das wären in beiden Fällen psychologische Wirkungsketten, die insbesondere dann angestossen werden könnten, wenn sich zeigt, dass die Zentralbanken an der Grenze ihrer Möglichkeiten angelangt sind.
Ein Blick zurück
Hugo Stinnes hatte sich vor Beginn der Hyperinflation der Weimarer Rebublik massiv in Reichsmark verschuldet. Damit hat er sein schon bestehendes Industrieimperium weiter ausgebaut, wobei eigene Unternehmen zum Transport industrieller Rohstoffe eine wichtige Rolle spielten. Ende 1919 waren knapp 50 Reichsmark einen Dollar wert, im Frühjahr 1921 waren es schon 208 Reichsmark, gegen Ende 1923 waren 4,2 Mrd. Reichsmark nötig, um einen Dollar zu kaufen. Die Reichsmark war wertlos, das Industrieimperium von Stinnes behielt seinen Wert. Seine internationalen Anlagen generierten Gewinne in harten Währungen. Schließlich zahlte er seine wertlosen Reichsmark-Schulden zurück. Er expandierte weiter, kaufte bankrotte Wettbewerber und ging als Inflationskönig in die Geschichte ein.
Warren Buffett scheint momentan vieles von dem nachzumachen, was Stinnes seinerzeit tat. Er hat sich zuletzt in eine US-Eisenbahngesellschaft und in Öl- und Gasvorkommen in Kanada eingekauft. Er hat sein Anlageimperium mit Assets in China und anderswo angereichert, die Gewinne außerhalb des Dollar-Raums abwerfen. Ein bedeutender Anteil seines Vermögens ist im Bank- und Versicherungsbereich angelegt. Diese sind mit hohem Hebel verschuldet. Sie stellen sich besser, wenn Inflation ihre Schulden dezimiert. Buffett ist damit ähnlich aufgestellt wie seinerzeit Stinnes. Der reale Wert seiner Sachanlagen würde mit zunehmender Inflation eher steigen, bzw. er wäre zumindest vor starkem Wertverlust geschützt, Schulden würden hingegen eliminiert. Das würde ihn dann in die Lage versetzen, seine Sachanlagen im Tiefpunkt einer solchen Krise weiter auszubauen.
Ähnlich Hedge-Fond-Milliardär Paul Singer (nicht verwandt und nicht verschwägert…), Elliott Management: Er schreibt, aktuell sei der beste Trade, langfristige Papiergeld-Forderungen zu shorten. Er liegt damit auf der gleichen Linie wie „Bond-Guru“ Bill Gross, der vor einigen Wochen empfahl, den Bund zu shorten.
Massive Verschuldung in überbewerteten Währungen, Kauf von unterbewerteten Sachanlagen, Spekulation in unterbewerteten Währungen, Verkauf überbewerteter (Papier-)Assets – das sind Positionierungen, wie sie im Falle anstehender, möglicherweise außer Kontrolle geratender Inflation adäquat sind. Allerdings sind die Anzeichen für ein solches Szenario noch sehr dünn. Immerhin scheint ein Deflationsszenario zunächst vom Tisch.
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