Wenn ich Bernanke wäre – zugegeben, eine ungemütliche Vorstellung. Aber trotzdem. Also, wenn ich der gegenwärtige Chef der US-amerikanischen Notenbank wäre: Was würde ich denken, was würde ich tun? Ganz systemimmanent, versteht sich.
Zunächst musste ich mich auf die Gefahr der Deflation konzentrieren. Deflation, das bedeutet ja in der Auswirkung des Verbraucherverhaltens, heute nur das Notwendigste zu kaufen und andere Anschaffungen so weit wie möglich in die Zukunft zu verschieben. Deflationsgefahren kommen v.a. aus der übergroßen Verschuldung einer Volkswirtschaft: Einnahmen werden in erster Linie dazu eingesetzt, Schulden zu bedienen. Darunter leidet die gesamtgesellschaftliche Nachfrage.
Dann muss ich mich mit dem Problem der Überalterung beschäftigen. Je älter die Konsumenten im Durchschnitt sind, je weniger konsumfreudig sind sie. Das liegt zum einen darin, dass sie den Gürtel enger schnallen müssen, weil sie am Ende ihres aktiven Arbeitslebens stehen oder dieses schon überschritten haben. Zum anderen haben sie bereits das meiste von dem angeschafft, was man so braucht (oder eingeredet bekommt, es brauchen zu müssen).
Beides läuft auf die Frage hinaus, wie erreicht werden kann, dass die Konsumenten weiter ihrer vornehmsten Pflicht folgen, nämlich zu konsumieren. Der Verbraucher muss, auch in fortgeschrittenem Alter, noch willens UND in der Lage sein, zu konsumieren.
Was das „willens“ betrifft, so müssen Medien & Co dafür Sorge tragen, dass der Mensch auch in fortschreitenden Jahren noch das dringende Bedürfnis verspürt, sich mit dem neuesten iPhone oder iPad oder iWhatever auszustaffieren.
Was das „in der Lage sein“ betrifft: Ich als Bernanke müsste dafür Sorge tragen, dass die Assets dieser Gesellschaft, insbesondere die, die die ältere Bevölkerung besitzt, an Wert gewinnen. Neben dem subjektiven Gefühl „mir geht es gut“ ist wichtig, dass man den steigenden Wohlstand auch in bare Münze umsetzen kann, um zu konsumieren. Von besonderer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang Immobilienbesitz und Aktien. Aktien sind für das Alterseinkommen in den USA von wesentlich größerer Bedeutung als bei uns.
Beim „in der Lage sein“ kommen wir auch wieder auf die Verschuldung zurück. Ich müsste als Bernanke dafür sorgen, dass die Schuldenlast nicht erdrückt. Also muss ich die Zinsen niedrig halten. Das erreiche ich u.a. dadurch, dass ich die Geldschleusen aufreiße – siehe „quantitative easing“.
So lange die Nachfrage in der Realwirtschaft relativ schwach ist, bleibt das meiste der Geldflut im Finanzbereich und treibt dort die Preise – diese Assetinflation hebt auch die Aktienkurse (die Analyse von Vanguard zeigt hier eine nachhaltige Entwicklung auf, die erst relativ am Anfang steht). Die Immobilienpreise entwickeln sich demgegenüber noch verhalten, aber die Hausbaubeginne liegen seit Ende 2011 fast durchweg bei jährlichen Steigerungsraten von 25%. Abgesehen von einem kurzen Spike im Frühjahr 2010 wurden solche Zuwachsraten zuletzt in den frühen 1990er Jahren registriert. Ab 1997 begannen nach Hauspreisindex CSXR die Preise für Wohneigentum nachhaltig zu steigen, bevor sie ab Mitte 2002 in einen exponentiellen Verlauf übergingen. Übertragen auf heute dürfte sich eine ähnliche Entwicklung anbahnen, wenn erst der Überhang an zwangsgeräumten Wohnraum „verdaut“ ist. Guggenheim Investments bezeichnet Kredit-gehebeltes Immobilien-Eigentum als die beste Anlageklasse in der Geldflut.
Damit werden allmählich die Grundlagen geschaffen für das oben angesprochene „in der Lage sein“. Ich als Bernanke kann erst einmal zufrieden sein. Es wird zwar noch weiter holprig zugehen, aber die Richtung stimmt – insbesondere dann, wenn Kollege Draghi das Ding in der Eurozone schaukelt…
Nun muss ich als Bernanke dafür sorgen, dass die Liquidität allmählich aus dem Geldfass des Finanzsektors in die Realwirtschaft fließt. Hierzu muss ich die Arbeitslosigkeit reduzieren. Die Fed hat hierzu wenig direkt wirkende Werkzeuge, aber sie kann Signale setzen. Und eines ist eben das mit QE4 verbundene Ziel, die Arbeitslosenquote nach „U3“ auf 6,5% zu senken.
Die zweite Bedingung, dass die Inflationsrate dabei nicht über 2,5% steigen soll, darf man nicht ganz so ernst nehmen. Oder vielleicht doch? Wichtig ist bei der ganzen Übung, dass der Wohlstandseffekt noch eine ganze Zeit höher ist als die Preissteigerung. Gleichzeitig sollen die Konsumenten aber anziehende Preise erwarten, weswegen es besser ist, Anschaffungen nicht zu lange hinauszuschieben. Tatsächlich ist der CPI im Februar im Monatsvergleich so stark gestiegen wie seit Juni 2009 nicht mehr. Ob das ein Ausreißer war, werden die nächsten Monate zeigen. Es gibt zudem (zarte) Hinweise, dass die Verhältnisse an der Preisfront „gesund“ sind. So liegt die Jahresrate des PPI seit Frühjahr 2012 unter der des CPI, das spricht für relative Stärke der Endmärkte.
So weit, so gut. Und jetzt bin ich nicht mehr Bernanke: Das Dumme ist nämlich, die ganze Veranstaltung findet auf einem sehr hohen Schuldenniveau statt, die Gesamtverschuldung von Haushalten, nicht-Finanz-Unternehmen und Staat kommt in den USA auf über 270% des BIP (Mitte 1982: gut 60%). Diese hohe Verschuldung ist einer der Gründe, warum die aktuelle Erholung nach dem Platzen der Kreditblase in 2008 so zäh und holprig verläuft.
Und: Die Verschuldungsquote der Konsumenten in Bezug auf ihr verfügbares Einkommen steigt bereits wieder (h/t Incrediblecharts): Nach dem Ende des Nach-Kriegs-Kreditzyklus lag dieses Verhältnis im Jahre 1982 bei 116%, das Tief nach dem Platzen der zurückliegenden Kreditblase kam nur bis 121,5% herunter und jetzt wird fast schon wieder 123% touchiert. Hier wird versucht, die Flammen mit Benzin zu löschen, schreibt Colin Twiggs. (In der ersten Veröffentlichung dieses Artikels war versehentlich die "1" der hunderter Stelle der Prozentbeträge weg gelassen worden).
Fazit: Auch wenn der Plan von Bernanke zunächst aufgehen mag, auch wenn Aktien mangels anderweitiger Renditequellen übergeordnet noch weiteres Potenzial haben mögen. Momentan hilft der Fed sicher auch, dass die Anleger krisenmüde geworden sind. Sie stürzen nicht mehr bei jeder Horrormeldung aus Aktien heraus (siehe aktuell "Zypern"), der Zug der Bullen wird länger – Herdentrieb. Die extrem hohe Verschuldung aber macht das Geschehen im Kern äußerst fragil und (auch für die Fed) letztlich nicht beherrschbar. Beim nächsten Crash (vielleicht erst in ein paar Jahren, mit vermutlich nichtigem Auslöser) wird man wehmütig an die gemütliche Lehman-Veranstaltung im Herbst 2008 zurückdenken.
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