Brüssel und Zypern: Dumm oder schlau?

Jetzt will es niemand gewesen sein. Nachdem über das Wochenende überall in der Eurozone die Politbürokraten in Brüssel und anderswo, auch in Deutschland, die Entscheidung verteidigt hatten, die zypriotischen Sparer zur Kasse zu bitten, wird zurückgerudert.

Die Selbstzufriedenheit der Eurozonen-Finanzminister ist dahin. Sie versichern unter Panik-Attacken, die Einlagenversicherung berücksichtigen zu wollen: “Die Eurogruppe ist weiterhin der Ansicht, dass die kleinen Sparer anders behandelt werden sollen als die großen und bestätigt die Bedeutung der vollen Garantie von Einlagen unter 100.000 Euro.“

Die FT zitiert den Chef einer europäischen Bank: „…die Entscheidung ist total verrückt (…) das ist der größte politische Fehler, den sich die EZB geleistet hat.“

Das zypriotische Parlament soll heute Nachmittag über den Sparer-Aderlass abstimmen, die Banken bleiben bis Donnerstag geschlossen. Die Mehrheiten im Parlament sind zersplittert, eine Zustimmung gilt als nicht sehr wahrscheinlich. Daher wird im Vorfeld nach Alternativen gesucht. Wenn man die 100.000-Euro-Grenze berücksichtigen will, muss die Abgabe auf darüber liegende Sparbeträge auf 15,6% erhöht werden, um die von Brüssel verlangten 5,8 Mrd. Euro zusammen zu bekommen.

Der zypriotische Präsident soll zu Rehn und dem deutschen Europaabgeordneten Brok gesagt haben (h/t Eurointelligence): „Ich habe Euch gewarnt, dass es keine Mehrheit für diese Vereinbarung gibt, Ihr habt nicht zugehört. Viele Grüße an Frau Merkel.“

Bisher gibt es in den Finanzmärkten nur eine verhaltene Reaktion, Bankaktien der südlichen Peripherie der Eurozone kamen unter Druck. Die Bondmärkte blieben aber ruhig – kein Wunder, der Haircut findet woanders statt.

Wussten Sie übrigens, dass Zypern mit seinen 0,25% Anteil am Eurozonen-Output systemrelevant ist?

Es macht wenig Sinn, sich um das politische Hin und Her im Nachgang dieser Brüsseler Großtat zu kümmern. Der Schaden ist entstanden und er bleibt auch dann, wenn die 2008 zur Abfederung der Folgen der Finanzkrise gegebene Garantie für Spareinlagen bis 100.000 Euro nachträglich doch noch eingehalten wird.

Gleichzeitig zeigt die Brüsseler Politik nun ihr wahres Gesicht. Es war ja schon Routine, dass gegen europäische Verträge verstoßen wird. Jetzt hat sie endgültig deutlich gemacht, wo ihre Präferenzen liegen: Zusicherungen aus Brüssel sind das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Der Rettung des Bankensystems wird ALLES untergeordnet.

Mit der Sparer-Beteiligung, egal ob die Grenze von 100.000 Euro nun beachtet wird oder nicht, wird die Hierachie der Darlehens-Risiken auf den Kopf gestellt. Anleihe-Gläubiger der Banken und Aktionäre kommen ungeschoren davon, bluten müssen die Sparer. Es ist nur die Fortsetzung der Philosophie der Rettungsaktionen nach 2008, die Verantwortlichen für die Misere davon kommen zu lassen und die von ihnen angerichteten Schäden der Allgemeinheit anzulasten. Wenn „Zypern“ nun Präzedenzfall für die Bankenunion wird, dann „gute Nacht“.

Die zypriotischen Banken verfügen über etwa 68 Mrd. Euro an Spareinlagen, das war die Basis für ihre Kredittätigkeit. Die Ausrichtung auf Anleihen ist minimal (unter 3 Mrd. Euro). Dieses Sparer-Modell galt nach der Finanzkrise mal als sicheres Geschäftsmodell. Jetzt machen die Kredite der Banken in Zypern nach IWF deutlich mehr als 270% des BIP aus, das ist der höchste Wert in der Eurozone.

Die geringe Ausrichtung auf Anleihen ist nun aber eben auch ein wesentlicher Grund dafür, dass man im Falle Zyperns von einem Haircut abgesehen hat – es wäre schlicht nicht ausreichend Masse zusammengekommen. Andererseits befürchtete Brüssel mit dem Haircut der Bond-Halter einen Vertrauensverlust in den Finanzmärkten – dort ist man ja immer schon besonders besorgt um die Reaktion der "Märkte".

Der Vertrauensverlust haben die Brüsseler Politbürokraten nun auch – wenn auch ganz anders. Und möglicherweise viel gravierender.

Bei der Überarbeitung der Basel III Regeln wurde u.a. die geringer als ursprünglich angenommene Fluktuation von Spareinlagen als Grund dafür genommen, die Kapitalanforderungen wieder abzusenken. Nun dürfte der Sparer-Haircut genau das Gegenteil bewirken und dazu führen, dass Sparguthaben in der südlichen Peripherie abgezogen werden, was die Banken-Basis dort weiter schwächt. Mag sein, dass sie im Eurozonen-Kern wieder auftauchen, das wird man an den Target2-Strömen sehen können. (Und dort sind sie auch nicht mehr sicher – aber erst nach der Bundestagswahl…)

Der angerichtete Schaden ist immens. Das Vertrauen in Aussagen aus Brüssel ist spätestens jetzt dahin. Aus einem solchen Misstrauen kann sich ein Teufelskreis entwickeln, der das ohnehin schon schwache aufgeblasene Bankensystem in Europa schwer erschüttert.

ABER. Wie wäre es mit folgender Spielart – und das würde dann von der ungeheuren Weitsicht und Schläue unserer nicht gewählten Brüsseler oder Frankfurter Herrscher zeugen.

Der Plan geht so: Die Konjunktur in Europa lahmt, also muss die Nachfrage angekurbelt werden. Wenn die Sparer ihre Einlagen nun in Gefahr sehen, werden sie diese in Güter umsetzen, bevor sie weg sind. Und schon springt die Konjunktur an, die Unternehmen verdienen prächtig, die Banken erst recht, die Einkommen steigen, Kredite sind plötzlich nicht mehr faul – und das Paradies auf Erden ist ausgebrochen.

Da sage noch einer, wie der spanische ÖkonomJose Carlos Diez, der zypriotische Bail-In sei ein Beleg, dass es in Europa kein intelligentes Leben gibt. Im Gegenteil!

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