Niklaus Blattner, von 2003 bis 2007 Vizepräsident der Schweizerischen Nationalbank, veranschaulicht in einem Interview, warum komplexere Finanzmarkt- und Bankenregulierungen neue Krisen nicht verhindern können. Nachfolgend ein Auszug (Quelle hier; Hervorhebungen von mir):
Experten kommen bezüglich der Fortschritte seit dem Ausbruch der Krise teilweise zu ernüchternden Resultaten. Wie beurteilen Sie die Situation?
Es liegt in der Natur der Finanzmarktregulierung, sich immer erst zu bewegen, nachdem die Schäden eingetreten sind. Auf die nächste Krise bereitet man sich aufgrund der Erfahrungen der vergangenen Krise vor. Dieselbe Krise wird sich somit kaum wiederholen.
Das heißt, die nächste Krise wird dann weder vom Immobilienmarkt noch vom Casino-Banking ausgehen?
Bankenaufsicht und Banken haben aus der Immobilienkrise der 1990er-Jahre Lehren gezogen, die bis heute wirken. Eine Immobilienkrise wie damals haben wir seither nicht mehr erlebt. Andererseits standen die Eidgenössische Finanzaufsicht Finma und die Banken der Finanzkrise nach 2007 hilflos gegenüber. Die mangelnde Kontrolle des Eigengeschäftes der Investmentbanken führte zu existenzbedrohenden Risiken für das ganze Finanzsystem. Aufgerüstet mit strengeren Eigenkapital- und Liquiditätsvorschriften und Anforderungen an das Risikomanagement schreiten die Finanzsysteme jetzt in die Zukunft. Aber neuartige, heute noch als wenig realistisch geltende Fehlentwicklungen werden neue Krisen hervorbringen, welchen wir wieder relativ hilflos ausgesetzt sein werden.
Die neuen Eigenmittelvorschriften von Basel III werden als zu kompliziert bezeichnet. Müssen simplere Methoden angewendet werden?
Das ist der Kern des Problems. Die Regulierung lernt nicht bloß immer nur aus Fehlern der Vergangenheit. Sondern sie zeichnet sich dadurch aus, dass sich alle Beteiligten damit befassen, die bestehenden Konzepte zu verbessern, indem sie sie verfeinern und so zwangsläufig immer komplexer machen. Ein wesentliches Ziel jeder Reform besteht im Füllen von Lücken und im Schließen von Schlupflöchern.
Was ist die Folge?
Die Regulierten und die Regulierer liefern sich einen ständigen Wettlauf. Jeder neuen Regelung wird schon bald eine neue Umgehungsmöglichkeit entgegengesetzt. Die Kosten der Umsetzung und Umgehung der Vorschriften eskalieren, und das Ziel der Finanzstabilität wird trotzdem verfehlt. Hier setzt die Kritik an der aktuellen Eigenkapitalregulierung an. Sie sei viel zu komplex, und gleichzeitig verfehle sie ihr Ziel.
Was ist die Alternative?
Statt nach immer feineren Systemmethoden zu suchen, würden Erfahrungen und Theorie danach verlangen, auf die Risikogewichtung zu verzichten und die Banken zu verpflichten, statt wie bisher bloß wenige Prozent neu zum Beispiel 20 Prozent der Bilanzsumme an Eigenkapital zu halten.
Wäre das denn tragbar?
Die Bankiers behaupten, dies führe dazu, dass die Rendite massiv verringert würde und das Bankgeschäft weder für die Investoren attraktiv noch für die Volkswirtschaft effizient bleiben würde. Die Befürworter der Einfachheit weisen dieses Argument zurück. Früher sei die Rendite im Bankgeschäft nur deshalb so hoch gewesen, weil sie mit entsprechend großen Risiken verbunden gewesen sei. Rechne man genau, würde nach Abzug der Risiken von der Spitzenrendite nichts mehr übrig bleiben.
Das bedeutet also eine Art Nullsummenspiel?
Ein zentraler Punkt darf nicht vernachlässigt werden. So genau mussten weder Management noch Aktionäre rechnen, weil es bisher gar nicht sie allein waren, welche die Risiken trugen. Vielmehr war der Bank die Unterstützung so lange gewiss, als der Staat durch deren Rettung die Volkswirtschaft vor noch größerem Schaden bewahren konnte. Dass dies auch in Zukunft trotz aller Anstrengungen weiterhin möglich bleibt, ist die größte Schwäche der aktuellen Reform.
Die Regulierung tendiert dazu, ihre Maßnahmen immer weiter zu verfeinern, statt sie zu vereinfachen – diese Quintessenz aus dem Interview zusammen mit der Kritik an der Risikoübernahme durch Staaten schlägt den Bogen zu "Banken und "Nackte Straßen"".
Nachtrag:
(2.11.12) Der Finanzstabilitätsrat (FSB) hat im Auftrag der G20 seine Liste der gefährlichsten systemrelevanten Banken aktualisiert. Demnach gehört die Deutsche Bank zu den vier für das weltweite Finanzsystem gefährlichsten Instituten. Sie verfügt nach den künftigen Kriterien von Basel III über weniger als 7% Eigenkapital. Nach den den per 2013 in Kraft tretenden neuen Regeln müsste sie von 2016 an einen zusätzlichen Eigenkapitalpuffer von 2,5% aufbauen, damit 2019 eine Mindestausstattung von 9,5% Grundkapital und Gewinnrücklagen erreicht wird.
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