Goldman Sachs ist mit der Politik eng verflochten – und das nicht erst seit der Finanzkrise. Und wer glaubt, das sei eine rein amerikanische Erscheinung, der irrt.
Ich hatte dieses Thema schon einmal aus Anlass des Jahrestags der Lehman-Pleite aufgegriffen. Auch hier findet man einen guten Überblick. Und nicht vergessen: Goldman zählte zu den größten Finanziers des Wahlkampfs von Obama. "Change" – oder auch nicht.
Auch international schlägt sich der Einfluss von Goldman Sachs personell nieder: So war der Präsident der Weltbank, Robert Zoellick, einst Direktor bei Goldman.
In Deutschland ist Goldman Sachs z.B. mit Bund und Ländern groß im Geschäft. Sei es die milliardenschwere Privatisierung der Telekom, der Kauf der Landesentwicklungsgesellschaft in Nordrhein-Westfalen oder das Geschäft mit der Refinanzierung der Staatsschulden – überall ist Goldman Sachs dabei. 2009 gehörte die US-Investmentbank zu einem Konsortium, über das sich der Bund am Kapitalmarkt die Rekordsumme von 343 Mrd. Euro an frischem Geld besorgt hat.
Alexander Dibelius, Deutschland-Chef von Goldman Sachs, ist seit Jahren eng mit der Bundespolitik verbunden. Auch Goldman-Sachs-Chef Lloyd Blankfein und sein Vorgänger Hank Paulson unterhielten persönlichen Kontakt zu Bundeskanzlerin Merkel. Der als "Architekt" der Versicherungslösung für die Hebelung der EFSF geltende Paul Achleitner war bis 2000 Chef von Goldman Sachs Deutschland, bevor er als Finanzvorstand zur Allianz wechselte. Er gehört laut FAS zum "inneren Zirkel von Managern, die das Bundeskanzleramt seit der ersten Finanzkrise 2008 regelmäßig um Rat angeht." Jetzt soll er AR-Vorsitzender der Deutschen Bank werden.
In der Griechenland-Tragödie spielt das Investmenthaus eine aktive Rolle. Es stand den Griechen beim jahrelangen Manipulieren der Statistiken zur Seite, als im Jahr 2000/2001 der Beitritt des Landes zur Euro-Zone anstand. Der gegenwärtige griechische Übergangs-Ministerpräsident Lucas Demetrios Papademos bereitete damals übrigens als Notenbankchef die Aufnahme seines Landes in die europäische Währungsunion vor, bevor er 2002 als Vize-Präsident zu EZB wechselte.
Die New Yorker Banker halfen der damaligen Regierung unter Konstantinos Simitis bei der Reduzierung des Haushaltsdefizits, indem sie mit Umbuchungen in Höhe von 15 Mrd. Euro und Währungs-Swaps die tatsächliche Höhe der Schuldenaufnahme gegenüber Brüssel verschleierten. Goldman Sachs soll für diese Dienste eine Milliarde Euro kassiert haben.
Der Schwindel flog auf, als Papandreou als damals neugewählter Premierminister am 20. Oktober 2009 bekannt gab, die Vorgängerregierung hätte das Budgetdefizit für das laufende Jahr falsch angegeben. Statt 3,7 betrage es 12,7 Prozent vom BIP. Nach einem Bericht der International Herald Tribune soll daraufhin Goldman, angeführt durch Gary D. Cohn, Präsident von Goldman Sachs, Papandreou ein Finanzinstrument vorgestellt haben, das Schulden des griechischen Gesundheitssystems weit in die Zukunft verschoben hätte.
Papandreou lehnte die Vorschläge ab und machte sich damit nicht gerade zum Liebling der Wall Street. Die Rating-Agenturen stuften die Bonität griechischer Staatspapiere in schneller Folge ab. Innerhalb von zwei Monaten stiegen die Zinsen zweijähriger Bonds von sechs auf über 23%. Daraufhin begann die EZB am 9. Mai 2010, die ansonsten unverkäuflichen Griechen-Anleihen selbst in ihre Bilanz zu nehmen.
Dieses Datum ist zugleich der Beginn der Abkehr der EZB vom Kurs der stabilitätsorientierten Geldpolitik der alten Bundesbank. Dabei war der Ankauf von Staatsanleihen defizitärer Staaten im Lissabon-Vertrag ausdrücklich ausgeschlossen worden. Und der war damals gerade einmal ein halbes Jahr in Kraft.
Der damalige Bundesbank-Präsident Axel Weber votierte gegen diese Politik, konnte sich aber nicht durchsetzen. Er hatte aber die Zusage, dass er Nachfolger Trichets werden würde und glaubte, in dieser Position dann das Schlimmste verhindern zu können. Am 11. Februar 2011 warf er jedoch das Handtuch und verkündete seinen Rückzug aus der EZB. Er sah keine Unterstützung seiner Position durch die deutsche Politik mehr.
Am 9. September 2011 verlor Deutschland weiteren Einfluss auf die Euro-Politik. Jürgen Stark, EZB-Chefvolkswirt, gab auf, weil er den Kurs der EZB, Staatsanleihenmüll in noch größerem Stil zu kaufen, nicht mittragen wollte.
Gewährsleute für eine andere Politik rückten in die EZB ein. Allen voran Mario Draghi als Nachfolger von Trichet auf dem Chefsessel der EZB.
Draghi war von 2002 bis 2005 stellvertretender Vorsitzender und geschäftsführender Direktor von Goldman Sachs in London. Der Verdacht liegt nahe, dass Draghi von der Mitwirkung Goldmans bei der „Schönung“ der griechischen Beitrittszahlen gewusst hat. Draghi konnte zwar glaubhaft machen, dass diese Geschäfte vor seinem Eintritt bei Goldman Sachs vorbereitet worden waren und er selbst nichts damit zu tun hatte. Allerdings gab es neben dem „Anschub“ in 2001 in den Jahren danach Folgegeschäfte und damit erscheint sein „Unwissen“ doch etwas denkwürdig.
Neben „Goldman“ Draghi ist Jörg Asmussen zu nennen. Der Staatssekretär im Bundesfinanzministerium wird den von Stark aufgegebenen Posten im EZB-Vorstand übernehmen. Ihm werden zwar immer wieder Beziehungen zu Goldman unterstellt, bewiesen sind sie nicht. Sein Handeln allerdings zeigt, dass er in die Goldman-Welt hervorragend hineinpasst.
Asmussen war der deutsche Hauptverhandler, als auf dem EU-Gipfel von 7. bis 9. Mai 2010 der erste Rettungsschirm für Griechenland beschlossen wurde. Er erarbeitete das Banken-Rettungs-Programm im Oktober 2008, er wurde Chef des deutschen Rettungsfonds SoFFin.
Die Süddeutsche Zeitung schreibt über ihn: „Es ist schon bemerkenswert, welche Blüten die internationale Finanzkrise treibt. In den USA gilt Finanzminister Henry Paulson als großer Retter – er hat zuvor die Bank Goldman Sachs geleitet, die das Geschäft mit Subprime-Kreditpapieren betrieb. In Deutschland haben wir auch einen Paulson. Er heißt Jörg Asmussen…“
Unter seiner Schirmherrschaft und tätigen Mithilfe wurde 2003 die True Sale International GmbH (TSI) gegründet, eine Handelsplattform und Lobbyvereinigung zur Förderung der Geschäfte mit ABS (Asset backed Securities). Gesellschafter waren 13 Banken, z.B. die KfW, die HSH-Nordbank, die WestLB und die Bayerische Vereinsbank, aber auch die Hypo Real Estate, damals noch vertreten durch die Hypovereinsbank. ABS-Konstrukte hatten wesentlich zur Verschärfung der US-Immobilienkrise beigetragen.
Asmussen wirkte bis zum Sommer 2008 im Beirat von TSI. Er war auch Mitglied des Aufsichtsrats der KfW-Tochter IKB, jenes deutsche Institut, das sich gemessen an seiner Größe am heftigsten auf dem Markt für US-Hypothekendarlehen verspekuliert hatte. Auf Asmussen ist wohl auch die Passage im schwarz-roten Berliner Koalitionsvertrag von 2005 zurückzuführen, wonach der deutsche Finanzmarkt von „überflüssigen“ Regulierungen befreit werden soll.
Der neoliberale Protagonist Asmussen dürfte mit diesem „Vorleben“ kaum Verfechter einer stabilitätsorientierten Geldpolitik sein – ganz im Gegenteil. Zu den Verbindungen zwischen Asmussen und Steinbrück lesen Sie hier!
Noch einer, der von nichts gewusst hat: Der Deutsche Klaus P. Regling, seit dessen Einrichtung zu Jahresanfang 2011 Chef der EFSF, hatte im Jahr 2001 eine besonders sensible Position übernommen. Er wurde Generaldirektor der Wirtschafts- und Finanzabteilung der Europäischen Kommission und hätte in dieser Funktion die von Griechenland eingereichten, von Goldman Sachs frisierten Kennziffern über die Verschuldung des Landes prüfen müssen. Hat er oder hat er nicht? Jedenfalls hat er nichts zu beanstanden gehabt und damit konnte Goldman weiter schalten und walten.
Bei Mario Monti, der mit der Bildung einer italienischen Übergangsregierung beauftragt wurde, ist die Sache nun wieder klarer. Er ist im aktuellen Jahresbericht von Goldman Sachs als Mitglied des „Board of International Advisors“ aufgelistet.
Der Chefredakteur der zum Berlusconi-Imperium gehörenden Zeitung Il Giornale, Alessandro Sallusti, echauffiert sich bezugnehmend auf die Goldman-Vergangenheit von Monti und spricht von Kriminellen, die dieses finanzielle Desaster gebracht hätten. Nun, wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen… Der Ausbruch zeigt aber sehr deutlich, das in Italien hinsichtlich der Frage, wer politisch den Ton angibt, noch nicht das letzte Wort gesprochen ist. Die Hinterzimmer sind noch lange nicht leer geräumt.
Der Chairman von Goldman Sachs Asset Management, Jim O’Neill, schreibt aktuell: Die Lage, in die Italien zuletzt gekommen ist, sei „unhaltbar“ – das Land könne mit Zinsen auf Staatsanleihen zwischen sechs und sieben Prozent nicht überleben. Italien sei viermal so groß wie Griechenland, Irland und Portugal zusammen. Die EU könne es nicht zulassen, dass dem Land auf Dauer eine solch hohe Verzinsung zugemutet wird. Er fordert ein massives Eingreifen der EZB, indem sie italienische Staatsanleihen aufkauft. Draghi wird es wohl gehört haben.
Goldman Sachs sitzt immer gerne auf beiden Seiten des Tisches.
Beispiel gefällig? In der US-Immobilienkrise hatte die Bank ein hochriskantes Hypothekenderivat in großem Stil vertrieben und gleichzeitig verschwiegen, dass der Investmentfonds von John Paulson auf die Schaffung der Papiere gedrungen hatte, um auf der Gegenseite auf deren Absturz zu wetten. Diese Spekulation zahlte sich für Paulson später reichlich aus. Goldman Sachs zahlte wegen ungenügender Kunden-Information Mitte 2010 550 Mio. Dollar Strafe, die höchste Strafe, die die SEC je verhängt hat. Sie entspricht etwa der Hälfte des Betrags, den Investoren durch das Institut verloren haben.
Die Amerikaner machen sich ihr umfassendes, aus verschiedenen Beratungsmandaten mit Regierungen und Finanzinstitutionen in Europa gewonnenes Wissen zunutze – nur um an der anderen Seite des Tisches den Kunden zu raten, gegen die europäischen Banken und den Euro wetten.
In einem vertraulichen Bericht der Investment-Bank wird Anfang September ein verheerendes Bild der Banken in Europa gezeichnet. Der Verfasser Alan Brazil schreibt, ein Schuldenproblem mit noch mehr Schulden zu lösen hat noch nie das zugrundeliegende Problem gelöst und erläutert auf 54 Seiten, wie 77 europäische Finanzinstitutionen in die Krise verstrickt sind, beschreibt ihre Schulden und die damit zusammenhängenden Risiken. Er schätzt, dass rund eine Bill. Dollar Kapital benötigt wird, um europäische Banken zu stützen. Unter anderem wird den Kunden ein fünfjähriger Credit Default Swap vorgeschlagen. 20% der Unternehmen, die auf dem „iTraxx Europe series 9“ Index stehen, sind Banken und Versicherungen mit hohen Kreditausfalls-Risiken. Auch gegen den Euro solle spekuliert werden. Er werde deutlich geschwächt, wenn es zu weiteren Rettungspaketen kommt, heißt es.
Nachtrag:
(15.3.12) Ein Goldman-Sachs-Banker hat per Zeitungsartikel in der NYT gekündigt und in einem Frontalangriff eine Kultur der „Abzockerei“ bei der legendären Investmentbank beklagt. Einziges Thema vieler Sitzungen sei, wie man so viel Geld wie möglich bei den Kunden absaugen könne, schreibt er. Vor zwei Jahren trat Konzernchef Blankfein einen Sturm der Entrüstung los, als er verkündete, als Banker „Gottes Werk“ zu verrichten. Damit verteidigte er unter anderem die teilweise astronomischen Gehälter in der Branche.
(12.12.12) Auf dem Chef-Sessel der Bank of England nimmt per Jahresmitte 2013 ein gewisser Mark Carney Platz. Er ist -wie könnte es anders sein- ein ehemaliger Mitarbeiter von Goldman Sachs. Damit kommt Goldman Sachs im Streben weiter, die wichtigsten Volkswirtschaften in Europa zu kontrollieren.
Carney ist ein Goldman Sachs Veteran. Er spielte bei der russischen Finanzkrise von 1998 eine Rolle, als Goldman Sachs Russland beriet und gleichzeitig gegen die Fähigkeit des Landes wettete, seine Schulden zurückzuzahlen.
Carney war übrigens auf dem 2012er Bilderberger-Treffen in Chantilly (Virginia, USA) zugegen. Auch Herman Van Rompuy hatte Tage vor seiner Inthronisierung als EU-Präsident Kontakte zur Bilderberg-Gruppe.
Um noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, wie weit der Einfluss von Goldman Sachs in Europa (und anderswo) geht, nochmals ein paar Punkte:
Der frühere EU-Kommissar Monti hat Berlusconi als italienischer Premierminister abgelöst. Monti ist internationaler Advisor von Goldman Sachs und führendes Mitglied der Bilderberger.
Der griechische Premierminister George Papandreou wurde abgelöst durch Lucas Papademos, früher Vize-Präsident der EZB und Ex-senior economist der Boston Fed. Er war zudem Chef der griechischen Zentralbank, und zwar just zu dem Zeitpunkt, als Goldman Sachs ein Derivative-Geschäft eingefädelt hatte, um das wahre Ausmaß der griechischen Staatschulden zu verschleiern.
Kurze Zeit später wurde Mario Draghi, früher Vize-Chef von Goldman Sachs Europe, als EZB-Chef installiert.
Als US-Finanzminster fungierte beim Ausbruch der Finanzkrise Hank Paulson, früher CEO von Goldman Sachs. Als er durch Tim Geither ersetzt wurde, wurde Goldman Sachs Lobbyist Mark Patterson sein Chef-Berater. Der gegenwärtige Goldman Sachs CEO Lloyd Blankfein geht im Weißen Haus aus und ein. Goldman Sachs hat im Präsidentschaftswahlkampf 2008 das meiste gespendet – für Obama.
Das folgende Bild illustriert sehr schon, wie weit Goldman Sachs seine Finger in Europa im Spiel hat.
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Wow, ich bin von dem Artikel hin und weg! Schon sehr bemerkenswert, was man alles zu Staatsanleihen Griechenland findet, wenn man sich ein wenig im Netz umschaut. Was hier über Goldman Sachs geschrieben steht, wusste ich gar nicht, jedenfalls nicht alles. Danke für die Infos. Diese Seite ist ab heute ein Lesezeichen wert! Weiter so! LG Karl-Heinz Jochens