Weidmanns Rücktritt – Feuer frei für Lagarde

Bundesbankpräsident Weidmann ist nach über zehn Jahren an der Spitze der Deutschen Bundesbank zurückgetreten. Er gibt persönliche Gründe für seinen Schritt an. Sein Vorgänger Weber tat das Gleiche. Zwei Jahre später gab er in einem Interview dann an, was unter seinen „persönlichen Gründen“ zu verstehen war. Weber sagte seinerzeit, dass er den Kurs der EZB nicht länger mittragen wollte, er war u.a. gegen die ausufernden massiven Ankäufe von Staatsanleihen in der Folge der Finanzkrise 2008.

Gut möglich, dass Weidmanns Rücktritt einen ähnlichen Hintergrund hat. Vielleicht müss man auch erst mal zwei Jahre warten, bis er die tatsächlichen Gründe nennt. Weidmann hatte in der Vergangenheit mehrfach öffentlich Entscheidungen der EZB kritisiert, etwa als es um die Ausweitung der Geldmenge, um Negativzinsen und um die immer weitere Ausdehnung der Käufe von Staatsschulden ging. Zudem hatte er mehrfach Stellung für die Erhaltung von Bargeld bezogen. Die EZB hatte im Juli beschlossen, in einer zweijährigen Untersuchungsphase die Kerneigenschaften eines Digital-Euro festzulegen.

Die EZB ist gesetzlich zur Wahrung der Preisstabilität verpflichtet. Das bedeutete in der Vergangenheit immer, dass die Inflationsrate unter zwei Prozent bleiben soll. Unter dem EZB-Chef Draghi, ex-Goldman-Sachs-Mann und aktuell als italienischer Ministerpräsident verantwortlich für die rigorose Ausgrenzung von Ungeimpften, war dieses Ziel schon insofern aufgeweicht worden, als es hieß, die Inflation soll unter oder (nahe) bei zwei Prozent liegen.

Mit der aktuellen EZB-Chefin Lagarde, 2016 in einem Verfahren wegen Subventionsbetrug in ihrer Zeit als französische Finanzministerin ohne Strafmaß „fahrlässig schuldig“ gesprochen, gilt jetzt auch eine Inflationsrate von über zwei Prozent als Preisstabilität. Natürlich nur vorrübergend, was immer das auch heißen mag. Um eine drohende Deflation zu bekämpfen. Hä?

Die EZB darf den Regierungen der Eurozone keine direkten Kredite einräumen. Durch ihre mannigfachen Aufkaufprogramme auf den "Zweitmärkten" ist die EZB aber mittlerweile der weitaus größte Gläubiger aller Eurozonen-Länder geworden. Eine Deflation droht gerade nicht, eher besteht die Gefahr, dass sich die Inflation weiter etabliert, getrieben durch steigende Energiekosten und Probleme in den internationalen Lieferketten.

Die EZB kauft unbeirrt weiter. Für gut 2,5 Bio. Euro hat sie im Rahmen des Wertpapierkaufprogramms PSPP (Public Sector Purchase Program) bisher Anleihen gekauft, überwiegend Schuldpapiere von Staaten. Der größte Teil davon entfällt mit rund 2,2 Bio. Euro auf den Zeitraum zwischen März 2015 und Ende 2018, unter Draghi als EZB-Chef. Seit November 2019 kauft die EZB im Rahmen dieses Programms wieder monatlich Papiere über 20 Mrd. Euro. Seit Frühjahr 2020 kauft sie im Rahmen ihres Pandemie-Notfallkaufprogramms (PEPP) noch mehr Staatsanleihen. Sie hat sich dafür bis Ende März 2022 ein Volumen von 1,85 Bio. Euro genehmigt. Im vierten Quartal 2021 soll der Erwerb von Staats- und Unternehmenspapieren im Rahmen dieses PEPP-Programms „moderat" gedrosselt werden.

Die ultraexpansive Geldpolitik, mit der die EZB Konjunktur und Inflation forcieren will, kostet die Deutschen bei der Altersvorsorge weit über 100 Mrd. Euro an Zinseinnahmen. Ihre Politik hat in den vergangenen zehn Jahren in erheblichem Umfang zu einer deutlichen Reduktion sicherer Renditen aus Staatsanleihen und anderen festverzinslichen Kapitalanlagen beigetragen. Diese galten über Jahrzehnte als Basis einer planbaren und auskömmlichen Renditeerwartung und damit als sicheres Fundament einer privaten und betrieblichen Altersvorsorge. Das bereits seit rund 30 Jahren zunächst langsam sinkende, zuletzt aber kollabierende Zinsniveau drängt Anleger verstärkt in riskantere Anlageklassen wie Aktien, Immobilien und alternative Anlagen. Nicht gerade das, was eine solide Altersvorsorge ausmacht.

Die EZB saugt an einem Ende beständig Staatsanleihen auf und spuckt am anderen Ende frisch geschöpfte Liquidität in das Bankensystem aus. Gemäß den Vorgaben ist es der EZB verboten, Wirtschaftspolitik zu betreiben, sie ist zu wirtschaftpolitischer Neutralität verpflichtet. Eine Farce angesichts einer Bilanzsumme der EZB, die seit der Finanzkrise durch den Ankauf von Staats- und Unternehmensanleihen von 1,5 Bill. Euro auf gut 7 Bill. Euro gestiegen ist.

Und es soll weiter gehen. Nach Lagardes Vorstellungen soll die EZB auch grüne Investitionen finanzieren, ihr schweben weitere Eingriffe bei öffentlichen Investitionen vor. Wenn eine Institution, die die demokratisch nicht kontrollierte Hohheit über die Geldversorgung hat, in einem solchen Umfang auf den Märkten für Staats- und Unternehmensanleihen agiert – wo bleiben da Demokratie und Marktwirtschaft?

Die Deutsche Bundesbank war einst Vorbild für die Konstruktion der EZB. Davon ist heute nichts mehr übrig, sie hat sich mit permanenten Interventionen der Fed angepasst. Im Grunde begann der Sündenfall bereits mit der einheitlichen Währung der Eurozone. Die EZB legte seinerzeit einen einheitlichen Leitzins fest, der für die südlichen Länder viel zu niedrig war. Es kam, wie es kommen musste – dort wurde ein Kreditboom befeuert, der zusammen mit der Immobilienkrise der USA (ebenfalls angeheizt durch niedrige Zinsen und „innovative“ Finanzkonstrukte) zur Finanzkrise führte.

Weidmann dürfte von Lagarde eher als Störenfried gesehen worden sein. Entsprechend sieht sie sich nun beflügelt, richtig in die Tasten zu hauen nach der Devise, "darf es nicht ein wenig mehr sein?". Vermutlich wird der wahrscheinliche Kanzler Scholz jemanden an die Spitze der Deutschen Bundesbank berufen, der gut in diesen Kurs passt. Der bürokratische Scholz war nie als jemand aufgefallen, der Ideen von Marktwirtschaft und Zügelung von Bankenmacht entwickelt hat. In seiner Vergangenheit in Hamburg zeigte er sich, sagen wir mal, mit großen Gedächtnislücken sehr Banken-nah. Und auch im Falle der Aufklärung des Wirecard-Skandals spielte er als Finanzminister in Berlin nicht gerade eine aktive Rolle. Vielleicht wird sich eines Tages zeigen, wie weit die Verstrickung der Regierung ging – einschließlich Merkel, die noch kurz bevor Wirecard aufflog, in China Werbung für das Unternehmen gemacht hatte.

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