An den Aktienmärkten werden Gewinne mitgenommen. Der Dow verliert auf Wochensicht 1,7%. Der S&P 500 brachte es auf –1,4%, er beendet eine fünfwöchige Gewinnserie. Der NDX sinkt um 1,3%. Der DAX verliert 3,2%.
Euro/Dollar dreht und sinkt im Wochenvergleich um 0,4%; Dollar und Euro gegen Yen +1,3%, bzw. +0,9%. Die Ölpreise (Brent und WTI) drehen gegenüber der Vorwoche erneut und sinken um 3,1%, bzw. 3,6%. Der CRB-Rohstoffindex sinkt um 2,9%. Gold (in Dollar) sinkt um weitere 1,9%, Silber (in Dollar) verliert heftige 7,2%.
Die US-Renditen – uneinheitlich: Die der 10yr-TNotes, dem wichtigsten Preis weltweit, sinkt um 0,7% auf 3,741%, die der 2yr-TNotes steigt um 0,7% auf 4,754%. Die Rendite der 13wk-TBills +1,5% auf 5,302%. Die Zinsstruktur zeigt am kurzen Ende eine zunehmende, mit –1,56% nach wie vor starke Inversivität. Am langen Ende ist der Spread leicht positiv und nimmt ab. Über alle Laufzeiten hinweg ist der Spread bei –1,49% zunehmend negativ.
Unter der Oberfläche großer Aktien-Indices: Der KBW-Index regionaler Banken sinkt auf Wochensicht um weitere 7,4%. Der „Globalisierungsindikator“, der Dow Jones Transport Index, dreht und sinkt um 0,7%. Der „Technologieindikator“, der Halbleiterindex SOX, dreht ebenfalls und sinkt um 4,5%.
Das „Puzzle“ der Einzeldaten zusammengefügt: Bei Aktien werden auf breiter Front Gewinne mitgenommen. Was die großen Aktienindices der USA angeht, so halten sich die Verluste im Rahmen. Der SOX zeigt markante Schwäche, ebenso der KBW-Banken-Index. Hier waren zuvor deutliche Gewinne aufgelaufen. Der DAX zeigt sich im Vergleich der großen Indices besonders schwach und notiert per Tagesschluss nun auch unter seiner EMA50. Damit steht der mittelfristige Trend auf dem Prüfstand, zumal die EMA50 in die Waagerechte einschwenkt.
Die US-Renditen sprechen eher dafür, dass die Akteure eine Rezession näher rücken sehen. Ein nächster kleiner Zinsschritt wird eingepreist. Die Bank of Japan bleibt trotz der höchsten Kerninflation in mehr als vier Jahrzehnten bei ihrer ultralockeren Geldpolitik, was den Yen noch etwas weiter drückt.
Rohstoffe zeigen Schwäche – eine Wette auf eine solide Konjunkturentwicklung sieht anders aus. Kupfer sieht besonders trist aus. Der S&P GSCI Copper Index hat am Freitag seine EMA200 und seine EMA50 nach unten durchbrochen. Damit bestätigt sich das Mitte Mai gebildete „Death Cross" der beiden EMAs.
Gibt es nun eine Rezession oder gibt es keine? John Mauldin schreibt von einer lustigen Art Rezession („A Funny Kind of Recession“) und meint damit, dass es eine Rezession mit einem solch vergleichsweise starken Häusermarkt noch nie gegeben hat.
Ed Yardeni hält eine Rezession für unwahrscheinlich. Er geht davon aus, dass die Güternachfrage im Laufe dieses Jahres zu ihrem vor der Pandemie bestehenden Aufwärtstrend zurückkehrt und weiter zunehmen wird. Die Verbraucher verfügten über genügend Kaufkraft, um das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten. Yardeni prägt das Bild einer „rollenden Rezession“, die sich nach und durch alle Segmente der Volkswirtschaft arbeitet, anstatt gleichzeitig alle zu ergreifen wie bei einer „richtigen“ Rezession.
Mark Zandi stimmt zu. Die Inflationserwartungen seien „gut verankert“, wie Fed-Chef Powell sagt. Jeder scheint überzeugt, die Fed werde alles Notwendige tun, um die Inflation unter Kontrolle zu halten. Zudem scheint der durch die Ukraine ausgelöste Energiepreisanstieg keinen dauerhaften Schaden angerichtet zu haben.
Wir haben eine Arbeitslosenquote von 3,7 %, während Jamie Dimon, CEO von JP Morgan Chase, einen Leitzins von 6% erwartet. Er hat in seiner Stellung Zugang zum Geflüster der Fed-Offiziellen. Einen Leitzins von 6% bei einer Arbeitslosenquote von unter 4% – das ist etwas, was es so noch nicht gab.
Das alles ist doch ein Zeichen enormer Stärke der Wirtschaft – eine Rezession liegt da in weiter Ferne. Dieser Auffassung scheinen sich immer mehr Beobachter anzuschließen. Und genau das ist das Problem. Mauldin bringt das Beispiel mit dem Sandhaufen: Alles ist stabil, bis es plötzlich nicht mehr stabil ist. Und man weiß im Vorhinein nicht, was der Auslöser sein wird.
Es gab schon einmal eine Zeit, da wurde der Konjunkturzyklus für tot erklärt. Seit Mitte der 1990er Jahre lief die Wirtschaft ohne größere Reibungsverluste, zu erkennen am Chart in der Mitte der folgenden Graphik (blaue Linie) – und dann platzte die Technologieblase, eine Rezession folgte.
Aktuell gibt es in der US-Wirtschaft seit längerem zwar fast durchgängig Reibungsverluste (blaue Linie), was sich mit der Aussage der oben erwähnten „rollenden Rezession“ von Yardeni in Deckung bringen lässt. Aber sie sind alle quantitativ nicht so ausgeprägt, dass sie den Diffusionsindex (rot) in den kontraktiven Bereich ziehen.
Wie aber der folgende Chart zeigt, existieren die Wirtschaftszyklen (gemessen an der Gewinnentwicklung) weiter. Sie existierten vor 2000, als angeblich die immerwährende Zeit eines gemäßigten, konstanten Wachstums angebrochen war, und sie existieren heute.
Der Finanzzyklus hatte sein oberes „Rollover“ im Frühjahr 2020, der Geschäftszyklus zeigt seit dem zweiten Quartal 2022 nach unten. Es gibt für beide Zyklen aktuell auch keine Anzeichen einer Bodenbildung, ebenso nicht für den kombinierten Zyklus. Eine zeitliche Vorhersage lässt sich aus dieser Darstellung nicht ableiten, aber es gilt die qualitative Aussage, dass mit einer weiteren konjunkturellen Abkühlung gerechnet werden muss. Vielleicht lässt sich noch sagen, dass das aktuelle Bild dem der Vorgeschichte zu 2008 ähnelt.
Meine Auswertung von Merkmalen der Zinsstruktur warnt seit August 2022 vor einer Rezession, ihr Vorlauf beträgt vier bis sechs Quartale. Die 2006 von einem Fed-Analysten vorgestellte Auswertung der Zinsstruktur warnt seit Februar mittlerweile massiv.
Die Analogie zu dem Sandhaufen (siehe oben) trifft es – insbesondere angesichts der überbordenden Verschuldung, die die Gesamtwirtschaft fragil macht und die Wachstumkräfte belastet. Irgendwann ist es ein Sandkorn zu viel und alles kommt ins Rutschen. J. Edwards von der Societé Generale bemerkt treffend: „Volkswirte geben die Vorhersage einer Rezession in der Regel unmittelbar vor deren Eintreten auf."
Der folgende Chart zeigt einmal mehr, welchen Einfluss die zehn größten Aktien am S&P 500 haben. Man muss bis Mitte der 1970er Jahre zurückgehen, um ähnliche Verhältnisse zu finden.
1998 trugen die elf wichtigsten Aktien des S&P 500 die gesamte Rendite des Index, während es 1999 die sechs wichtigsten Aktien waren. In den folgenden drei Jahren sank der Index um 38%. Einige der Spitzenwerte aus dem Zeitraum 1998-1999 notieren noch heute niedriger als damals, selbst die besten Unternehmen brauchten mehr als ein Jahrzehnt, um wieder ein ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen.
Der S&P 500 hat die zurückliegende Woche bei 4348,33 beschlossen. Eine Tageskerze mit Dochten bis zur EMA14 zeigt Unsicherheit. Der Index hat am zurückliegenden Mittwoch den kurzfristigen steilen Aufwärtskanal aus Ende Mai nach unten verlassen.
Die kommende Woche ist die Schlusswoche im Quartal. Window-Dressing dürfte zumindest versucht werden. Das ist keine Garantie für Zugewinne, genauso ist denkbar, dass sich die Gewinnmitnahmen verstärken, wenn große Akteure einen Rebound für aussichtslos halten.
Normalerweise laufen S&P 500 und VIX gegeneinander, d.h. ihre Korrelation ist negativ. Goldman Sachs hat ausgerechnet, dass die zehn-Tage-Korrelation im Mittel über einen 30 Jahre währenden Zeitraum bei –0,78 liegt. Aktuell ist sie mit 0,61 positiv. Das zeigt der folgende Chart (violette Linie im deutlich positiven Bereich („+“). Der Chart zeigt auch, dass das Verhältnis zwischen S&P 500 und VIX mittlerweile extrem ist (Kurven „SPX/VIX“). Das weist auf mehr als ungesunden Optimismus und „Gier“ hin.
Die Volumenverteilung an der NYSE läuft weiterhin in Akkumulation, allerdings ist sie mittlerweile überdehnt. Die tägliche A/D-Linie des Anteils steigender Aktien zeigt Tempoverlust, ebenso das Put/Call-Verhältnis auf einem recht hohen bullischen Niveau. Das Derivate-Volumen ist seit Mitte April beständig angestiegen. Die Marktindikatoren ergeben zusammen genommen das Bild einer bullischen Erschöpfung.
Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigen einen Umkehrpunkt von Expansion in Kontraktion an. Interessant ist, dass die zurückliegenden vier Böden beim Verlauf der linearen bärischen Kursmuster jeweils höher liegen (gelbe Linie im oberen Chart). Scheint so, als baute sich hier über längere Zeit bärisches Potenzial auf. Der täglich aktualisierte Chart kann auf der Startseite eingesehen werden.
Es liegt nahe, dass die Bullen in der kommenden Woche einen Vorstoß unternehmen. Um die bärischen Scharten im Chartbild auszuwetzen, müssen sie aber versuchen, in den Aufwärtskanal zurückzukehren oder sich zumindest überzeugend oberhalb von 4400 festzusetzen. Das „innere Gefüge“ des Aktienmarktes spricht aber nicht dafür, dass die Bullen am aktuellen Punkt wirklich weiter punkten können – von kurzen hastigen, auch kräftigen Fehlversuchen abgesehen. Auf der Unterseite ist der Pegel bei 4300 wichtig, ein Bruch führt schnell zum 62er Retracement des jüngsten Aufwärtsimpulses bei 4235. Die EMA50 notiert aktuell bei 4223 (steigend). Darunter liegt die wichtige Zone bei 4150/4160. Unter 4100 wird es brenzlig für die Bullen.
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