Friedman: Moral der Zivilbevölkerung ist Schlüssel im Ukraine-Krieg

George Friedman befasst sich von der Warte eines gut vernetzten Vertreters des US-Imperialismus aus mit der Frage, wie der Krieg in der Ukraine enden könnte. Nachfolgend eine gekürzte Übersetzung des Artikels „The State of Play in Ukraine“.

Der Krieg in der Ukraine scheint von Dauer zu sein. Keine der beiden Seiten scheint in der Lage zu sein, die gegnerische Kraft zu vernichten oder zu formulieren, was nötig wäre, um ein Friedensabkommen zu erreichen. (…) Auf dem Schlachtfeld gibt es auf beiden Seiten Bewegung, aber Bewegung bringt nicht den Geschmack des Sieges mit sich. Wann also enden Kriege, wenn die Führung nicht nachgeben will?

Die Geschichte zeigt, dass es mehrere Antworten auf diese Frage gibt.
1. Ein Krieg endet, wenn einer Seite das Material zum Weitermachen fehlt. Deutschlands Feldzug im Zweiten Weltkrieg endete, als es nicht mehr in der Lage war, die für den Kampf gegen die alliierten Mächte erforderlichen Waffen herzustellen und einzusetzen.
2. Ein Krieg endet, wenn die Moral einer Seite erschöpft ist – wenn Soldaten und Zivilisten einfach nicht mehr bereit sind, die Last des Krieges zu tragen, selbst wenn ein Sieg möglich ist. Dies war bei den Vereinigten Staaten im Vietnamkrieg der Fall.
3. Ein Krieg endet, wenn es keine Hoffnung auf eine radikale Steigerung der militärischen Macht gibt und wenn eine ausländische Intervention unmöglich ist. Im Zweiten Weltkrieg hielt Großbritannien durch, obwohl es wusste, dass es Deutschland nicht besiegen konnte, aber vernünftigerweise eine amerikanische Intervention erwartete.
4. Ein Krieg endet, wenn die Folgen einer Niederlage für die Zivilbevölkerung erträglich erscheinen. Im Zweiten Weltkrieg sah die italienische Öffentlichkeit die Besetzung durch die Alliierten als die bessere Alternative an. (Umgekehrt werden Nationen weiter kämpfen, wenn die Kosten einer Niederlage katastrophal sind.)

(…) Aber bei der Beurteilung eines Krieges kommt es weniger auf die Bereitschaft des Militärs zum Widerstand an, denn Kämpfen ist die Aufgabe des Militärs, sondern vielmehr auf die Bereitschaft der Zivilbevölkerung (…).

Um zu verstehen, wie der Krieg in der Ukraine endet, müssen wir all diese Fragen und noch mehr berücksichtigen, aber mit besonderem Augenmerk auf die Bereitschaft der Zivilbevölkerung, weiter zu kämpfen. Die Öffentlichkeit ist zweifellos auf beiden Seiten ermüdet, auf russischer Seite durch die vielen Toten und die anschließende Einberufung weiterer Wehrpflichtiger, auf ukrainischer Seite durch die ständigen Angriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur. (…)

Keines der beiden Länder macht sich Sorgen über den Verlust von Material. Beide würden sich mehr wünschen, aber der Wunsch nach mehr wird nicht zur Kapitulation führen. Die Russen haben ihre eigenen Industrieanlagen und importieren Waffen aus Ländern wie dem Iran. Die Ukraine wird massiv mit Waffen aus dem Westen, insbesondere aus den Vereinigten Staaten, versorgt. Dies hat zu einem stabilen, aber nicht endenden Krieg geführt. (…)

Wenn das so weitergeht, besteht die ernsthafte Gefahr, dass die Zivilbevölkerung ihre Moral verliert. (…) Da beide mit dem Problem der Moral der Zivilbevölkerung konfrontiert sind, werden beide versuchen, die Angst der Zivilbevölkerung vor einer Niederlage zu minimieren. (…)

Das wahrscheinlichste Ergebnis werden daher Friedensgespräche sein, die durch innere Unruhen in beiden Ländern erzwungen werden. (…) Der Schlüssel liegt also in der Manipulation der gegnerischen Zivilbevölkerung, in der Verteidigung der einheimischen Bevölkerung und in der Einführung neuer und praktischer Waffen, die Schmerzen verursachen, ohne eine ausländische Intervention auszulösen.

Mit der Zeit wird das Gefühl der Unmöglichkeit eines Sieges zu Friedensgesprächen führen, aber erst, wenn die Realität dies erzwingt.

Anmerkung: „Einführung neuer und praktischer Waffen", das bezieht sich auf die zugesagte Lieferung von Patriot-Abwehrsystemen. Russlands Putin sucht „zwischen den Jahren" offenbar den Schulterschluss mit Chinas Xi, möglicherweise geht es um Rückendeckung im Falle einer größeren Offensive. „Die Moral der Zivilbevölkerung" – damit hat Friedman zweifellos recht. Wir werden uns im Westen auf eine Eskalation der Propaganda der Quantitätsmedien einstellen müssen.

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