USA taufen Atomwaffen als gerechtfertigten Verteidigungsakt um

Der Hauptzweck der kürzlich veröffentlichten US-amerikanischen 'Nuclear Posture Review' (NPR) besteht darin, den offensiven Einsatz von Atomwaffen als gerechtfertigten Verteidigungsakt „umzutaufen", schreibt Mike Whitney. Die neuen Kriterien für den Einsatz dieser tödlichen Massenvernichtungswaffen würden bewusst verändert, um Washington grünes Licht für ihren Einsatz und ihre Weiterverbreitung zu geben. Amerikas Position in der globalen Ordnung solle angesichts ihrer stetigen Erodierung durch die Anwendung extremer Gewalt gewahrt werden.

Und weiter schreibt Whitney sinngemäß: In einer Pressekonferenz brachte der russische Präsident kürzlich seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass die Vereinigten Staaten einen Atomschlag gegen Russland planen könnten. Ein Auszug seines Statements: „Die Vereinigten Staaten hatten eine Theorie für einen 'Präventivschlag'… Jetzt entwickeln sie ein System für einen ‚Entwaffnungsschlag'. (…) Das bedeutet, Kontrollzentren mit modernen Hightech-Waffen anzugreifen, um die Fähigkeit des Gegners zum Gegenangriff zu zerstören.“

Was will Putin damit sagen, fragt Whitney. Er sagt, dass die USA stillschweigend eine Politik des präemptiven ‚Erstschlags’ unterstützen. Wenn sich die USA ausreichend bedroht fühlen, beanspruchten sie das Recht, Atomraketen auf einen Feind abzuschießen, unabhängig davon, ob dieser Feind die Vereinigten Staaten angegriffen hat oder nicht.

Und was ist mit Russland? Unterstützt Russland die gleiche Politik, fragt Whitney. Die russische Nukleardoktrin schließt den Ersteinsatz von Atomwaffen ausdrücklich aus. Russland wird Nuklearwaffen nur als Vergeltungsmaßnahme einsetzen, und auch nur dann, wenn die Nation einer ‚existenziellen Bedrohung’ ausgesetzt ist. Russland wird Atomwaffen also nur als letztes Mittel einsetzen. (Anmerkung KS: So steht es zumindest auf dem Papier.)

Die US-Atomwaffendoktrin ist (und war) das genaue Gegenteil der russischen, die USA geben ihre Unterstützung für einen Erstschlag nicht auf. Noch beunruhigender aber ist die Tatsache, dass die US-Doktrin so stark erweitert wurde. So heißt es in der kürzlich veröffentlichten 'Nuclear Posture Review' (NPR), dass Atomwaffen eingesetzt werden können „unter extremen Umständen zur Verteidigung der lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten oder ihrer Verbündeten und Partner".

Damit kann sie je nach Auslegung so ziemlich alles umfassen – von einer ernsthaften Bedrohung der nationalen Sicherheit bis hin zum plötzlichen Auftauchen eines wirtschaftlichen Rivalen. Werden wir Peking mit Atomwaffen auslöschen, weil das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes in den nächsten zehn Jahren voraussichtlich größer sein wird als das der USA, fragt Whitney. Das würde sicherlich die stark erweiterten Kriterien des NPR erfüllen.

Die USA betrachten ihr Atomwaffenarsenal nicht mehr als reines Verteidigungs-Instrument. Es wird jetzt als ein wesentliches Mittel zur Erhaltung der ‚regelbasierten Ordnung’ angesehen. Die Idee des ‚Entwaffnungsschlages’ ist unter Washingtons außenpolitischen Kriegstreibern in aller Munde, schreibt Whitney. Dazu gehören auch Theorien über ‚brauchbare’ Atomwaffen mit geringer Sprengkraft. Die USA können nach der NPR Atomwaffen auch gegen Feinde einsetzen, die keine Atomwaffen haben.

Rüstungskontrollexperten haben die Veröffentlichung des Dokuments schnell verurteilt: „Die nicht klassifizierte Nuclear Posture Review (NPR) der Biden-Regierung ist im Kern ein erschreckendes Dokument", schrieb etwa die Union of Concerned Scientists (UCS). „Es hält die Welt nicht nur auf einem Pfad wachsender nuklearer Risiken, sondern erhöht dieses Risiko in vielerlei Hinsicht." Das NPR postuliere, dass „die einzige praktikable Antwort der USA darin besteht, das gesamte US-Atomwaffenarsenal wieder aufzubauen, eine Reihe gefährlicher nuklearer Maßnahmen aus der Ära des Kalten Krieges beizubehalten und mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen in einer Vielzahl von Szenarien zu drohen“.

Dies stellt auch eine bedeutende Entwicklung gegenüber Trumps Nationaler Verteidigungsstrategie von 2018 dar, schreibt Whitney. Die habe sich weitgehend gegen einen Einsatz militärischer Gewalt zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen gestellt. Gleichzeitig wurde behauptet, das tue China. Im Unterschied zum Dokument aus 2018 stellt die Definition von ‚nationalen Interessen’, die das Pentagon in seinem NPR-Dokument von 2022 um den Begriff ‚wirtschaftlicher Wohlstand’ erweitert, einen weitergehenden Schritt in Richtung der Doktrin dar, dass Krieg ein akzeptables Mittel zur Sicherung wirtschaftlicher Ziele ist.

Die massive militärische Aufrüstung der USA in diesem Jahr ist nach Whiteys Auffassung keine Antwort auf die ‚russische Aggression’. In Wirklichkeit sind die massiven Erhöhungen der Militärausgaben unter dem Blickwinkel der Pläne für einen Krieg mit China zusehen. Nach Ansicht der Kriegsplaner im Weißen Haus und im Pentagon gebe es ‚dramatische Veränderungen in der Geopolitik, Technologie, Wirtschaft und unserer Umwelt’.

Auch nach Ansicht von Andre Damon, World Socialist Web Site, zielt das Nationale Strategiedokument des Pentagon („2022 National Defense Strategy“) auf China. Dies macht zusammen mit dem NPR deutlich, dass die USA den wirtschaftlichen Aufstieg Chinas als eine existenzielle Bedrohung betrachten, auf die mit der Androhung militärischer Gewalt reagiert werden muss. Die USA sehen die Unterwerfung Russlands als ein entscheidendes Sprungbrett für den Konflikt mit China, Whitney.

Das sagt uns, dass die USA nicht mehr wettbewerbsfähig sind. Die westlichen Eliten haben eine Staatsverschuldung von 31 Billionen Dollar angehäuft, die industrielle Basis Amerikas ausgehöhlt, ihre eigenen Kapitalmärkte mit endlosem schuldengenerierendem Ponzi-Betrug ausgebeutet und das gesamte krumme System auf einer vor unseren Augen zerbröckelnden Währung balanciert.

Whitney fragt: „Wie also wollen die westlichen Eliten ihren Griff nach der Weltmacht bewahren, wenn die Wirtschaft auf einem Fundament aus reinem Treibsand steht?“ Sie werden rohe militärische Gewalt, unerbittliche Propaganda und mafiösen Zwang einsetzen. Das ist es, was sie tun werden. Sie werden die diplomatischen Feinheiten auslassen und ihren Willen mit eiserner Faust durchsetzen.

Putin sagt in der bereits erwähnten Pressekonferenz: „Wenn [ein Land] unter keinen Umständen als erstes [Atomwaffen] einsetzt, bedeutet das, dass es auch nicht das zweite sein wird, das sie einsetzt, weil die Möglichkeit, sie im Falle eines Atomschlags auf unserem Territorium einzusetzen, stark eingeschränkt sein wird." Daraus folgt für Putin: „Wenn die Verteidigung unserer eigenen Sicherheit erfordert, dass wir uns rücksichtslos und destabilisierend verhalten, dann sollten wir vielleicht genau das tun.“

Whitney bezeichnet das als Putins Dilemma, als Putins Conundrum. Seiner Ansicht nach glaubte Putin bisher, dass das Vorgehen der USA von den überholten Theorien der Abschreckung und der gegenseitig gesicherten Zerstörung geprägt sein würde. Jetzt aber begänne er zu begreifen, dass wir in eine schöne neue Welt eingetreten sind, weil die Täter glauben, dass sie ihren Gegner effektiv ‚entwaffnen’ können. Was wird er tun?

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Von Mike Whitney auch: „The Crisis in Ukraine Is Not About Ukraine. It's About Germany

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