Inflation hat auch ihr Gutes…

Nein, ich will die Inflation nicht hoch leben lassen. Sie ist asozial, sie begünstigt normalerweise die Umverteilung von arm nach reich. Sie verzögert oder verhindert notwendige Korrekturen im Wirtschafts- und Finanzsystem. Sie fördert die Verelendung der unteren Einkommensschichten. Sie beschert denjenigen Extraprofite, die auf weiter steigende Preise spekulieren.

Und doch hat sie etwas Gutes. Sie führt dazu, dass wir uns auf den eigentlichen Zweck des gesellschaftlichen Wirtschaftens besinnen. Bits und Bytes irgendwelcher Software kann man nicht essen, auch von Smartphones oder von überflüssigen E-Autos wird man nicht satt. Wir haben uns daran gewöhnt, dass alles Lebensnotwendige immer und überall zu minimalen Kosten verfügbar ist. Es ist für uns selbstverständlich geworden, wir machen uns keine Gedanken darüber. Mit der Inflation beginnt das, zu wackeln.

Wir werden über Werbung und den dadurch bewirkten indirekten Konsumzwang genötigt, immer nach den gerade angesagten neuen Artikeln zu gieren. Die Unternehmen in den Branchen Bekleidung, Konsumelektronik, Kraftfahrzeug usw. scheffeln Profite damit, dass wir funktionsfähige Produkte vorzeitig ersetzen. Unsere Art des Wirtschaftens ist auf übermäßigem Ressourcenverbrauch aufgebaut. Die Wirtschaft muss immer weiter wachsen, so das Credo. Das Problem ist nicht die Art, wie wir Energie erzeugen, sondern die Verschwendung von Ressourcen (siehe z.B. hier!). Und: Die Produkte der gehypten BigTechs sind vielleicht "nice to have", aber wie stark tragen sie zur Verbesserung und Sicherung der materiellen Lebensbedingungen bei?

Der unbedingten Konsum- und Wachstumsorientierung entspricht es auch, dass in normalen Zeiten die Preise für die Güter der unmittelbaren Lebensgrundlagen gedrückt werden, eben damit die Verbraucher möglichst viel Nachfragepotenzial für großteils überflüssiges Zeug haben. Denn genau dieses Zeug wirft besonders viel Profit ab.

Wenn wir vermittels Inflation bei lebensnotwendigen Waren genötigt werden, uns mit solchen Fragen zu beschäftigen, dann ist das gut. Z.B. werden in Deutschland landen jährlich über 15 Millionen Tonnen an Lebensmitteln in der Tonne, bei der Erzeugung und Verarbeitung, bei Großverbrauchern, im Handel und in Privathaushalten. Dies entspricht etwa einem Drittel der Nahrungsmittelproduktion. 10 Millionen Tonnen nicht genutzte Lebensmittel entsprechen etwa 2,6 Millionen Hektar „umsonst“ bewirtschafteter landwirtschaftlicher Nutzfläche, eine Fläche so groß wie Mecklenburg-Vorpommern und Saarland zusammen. Zusätzlich werden sowohl für die Erzeugung als auch für die Vernichtung von Lebensmitteln Rohstoffe, Energie und Wasser benötigt, bzw. verschwendet.

Das besonders Perverse: Ein bedeutender Teil der vernichteten Lebensmittel kommt gar nicht erst zum Verbraucher, weil die Produkte irgendwelche kleinen Schönheitsfehler haben. Das ist gut für den Handel, er verknappt damit das Angebot und steigert seine Marge. Der Dumme ist der Produzent, der einen Teil seiner Ernte auf den Müll schmeißen muss.

Der Zweck des gesellschaftlichen Wirtschaftens ist die Sicherung der materiellen Existenz. Der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen, er braucht den gesellschaftlichen Kontext, um seine materiellen (auch idellen) Lebensgrundlagen zu sichern. Unsere heutige Art zu Wirtschaften ist in diesem Sinne „sub-optimal“. Sie basiert auf der Verschwendung von Ressourcen. Gesellschaften, die sich so etwas leisten, sind auf Dauer nicht überlebensfähig. Entweder ändern sie ihre Art zu wirtschaften oder ihre Mitglieder krepieren. Und Geld kann man nicht fressen.

Darüber sollten wir angesichts der inflationären Entwicklung auch einmal nachdenken. Auch über die „systemischen“ Gründe, die zu all dem führen.

Nachtrag:
(26.4.22) Prof. Dr. Thorsten Polleit: "Steigende Energie- und Rohstoffpreise werden zu Inflation, weil die staatlichen Zentralbanken die Zinsen zu niedrig halten und die Geldmengen zu stark ausweiten. Für eine Entwarnung bei der Inflation gibt es derzeit leider keinen Grund. Im Gegenteil."

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