Deutschland hat gewählt, die Wahlbeteiligung kam auf das Niveau der Wahl von 2017. Die SPD scheint ihre Talsohle durchschritten zu haben, die Union sucht die ihrige noch. Grüne konnten deutlich zulegen, die AfD verlor gegenüber 2017, die Linke stürzte förmlich ab und verbleibt nur wegen dreier Direktmandate im nächsten Bundestag.
Im Einzelnen: Die SPD erreichte 25,7% (+5,2%), die CDU/CSU kam auf 24,1% (-8,9%). Grüne: 14,8% (+5,9%), FDP: 11,5% (+0,8%), AfD: 10,3% (-2,3%), Linke: 4,9% (-4,3%), Sonstige: 8,7% (+3,5%). Die CSU errang in Bayern mit 31,7% (-7,1%) der Stimmen ihr bisher schlechtestes Ergebnis. Eine Übersicht über die Ergebnisse aller Bundestagswahlen seit 1949 gibt es hier. Übrigens: 23% der Erstwähler haben sich für die FDP entschieden.
Bei den „Sonstigen“ erreichte dieBasis 1,6% der Erst- und 1,4% der Zweitstimmen und belegt damit insgesamt den achten Platz – ein Achtungserfolg. Nach einer Wahlprognose des Meinungsforschungs-Instituts INSA hatten 6% der Befragten angegeben, dieBasis sicher wählen zu wollen. „Diejenigen Kräfte, welche seit rund eineinhalb Jahren die Grundrechte weitgehend ausser Kraft gesetzt haben und bis in die Körpersäfte hineinregieren, geniessen scheinbar noch immer das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler“ – so ein Kommentar bei Corona-Transition.
Der nächste Bundestag wird 735 Sitze haben, so viele wie noch nie. Die absolute Mehrheit wird ab 368 Sitzen erreicht. SPD und CDU/CSU kommen zusammen auf 402 Sitze, somit wäre die Fortsetzung der Großen Koalition zahlenmäßig möglich. Mögliche andere Koalitionen wären die „Ampel“ oder „Jamaika“.
Bei den Hauptgründen für das Wahlergebnis stellt infratest dimap fest: Auf die Frage an die Wähler von SPD, Union und Gründen, ob sie ihre Partei ohne den jeweiligen Kanzlerkandidaten („m/w/d“) nicht wählen würden, antworteten 48% der SPD-Wähler mit „Ja“, bei der Union waren es 10%, bei den Grünen gar nur 6%. Die Feststellung, ein anderer Kanzlerkandidat wäre den Wählern der jeweiligen Partei lieber gewesen, bejahten bei der SPD 33%, bei der Union 86%, bei den Grünen 61%. Damit spielte bei der Wahlentscheidung die Frage der jeweiligen Persönlichkeit eine wichtige Rolle. Die WEF-Schülerin Baerbock kann bei der eigenen Klientel als durchgefallen angesehen werden, für Unions-Kandidat Laschet gilt das aber auch.
Interessant finde ich die Reaktion auf die Feststellung „Ich mache mir große Sorgen, dass ich meinen Lebensstandard nicht mehr halten kann“: 74% der AfD-Wähler bejahten das, bei den Linken sind es 47%, bei der FDP 37%, bei der SPD 36%, bei der Union 24%, bei den Grünen 19%.
Die Feststellung „Ich wünsche mir für unser Land in Zukunft einige Kurskorrekturen“ bejahten 51% (-17% gegenüber 2017). Die Feststellung „Ich wünsche mir für unser Land in Zukunft einen grundlegenden Wandel“ bejahten 40% (+21%). Die Feststellung „Ich wünsche mir für unser Land in Zukunft, dass alles so bleibt wie es ist“ bejahten 6% (-5%).
Bei der Frage „Welches Thema spielt die größte Rolle?“ antworteten 28% mit „Soziale Sicherheit“, 22% mit „Klima, Umwelt“, 22% mit „Wirtschaft, Arbeit“ und 7% mit „Umgang mit Corona“. Damit erreicht der Komplex „gesellschaftliches Wohlergehen“ 50%.
Für mich sieht das Fazit hinsichtlich des Wählerwillens so aus: Der nächste Kanzler sollte Scholz heißen, die Union soll an der nächsten Regierung nicht beteiligt sein. Der nächste Kanzler soll dabei eher grundlegende Reformen anpacken als „weiter so“ machen. Dabei sollen soziale Sicherheit, Wirtschaft und Arbeit die Hauptrolle spielen.
Ob dieser Wählerwille in Erfüllung geht? Im Wahlkampf der drei Kanzlerkandidaten haben sich Laschet und Scholz eher als Fortsetzer der Politik von Merkel in Szene gesetzt, eigene Ideen waren Fehlanzeige. Alle drei zusammen haben in der Regel an den relevanten Problemen vorbeigeredet. Unterdessen wurde die Spaltung der Gesellschaft in Geimpfte und Ungeimpfte von der zweiten Linie der Parteien munter voran getrieben.
Dass die SPD mit Scholz als Gewinner aus der Wahl hervorgegangen ist, ist denn auch eher dem Effekt zuzuschreiben „Unter den Blinden ist der Einäugige König“. Aus meiner Sicht war es eine glückliche Fügung, dass die Grünen Frau Baerbock aufs Schild gehoben haben. In Kommentaren wird häufig darauf abgestellt, dass sich die Union selbst zerfleischt hätte und/oder den falschen Kandidaten hatte. Das mag ein hinzukommender Faktor sein, aber es ist wohl eher so, dass sich nur ein bereits 2017 und davor klar erkennbarer Trend fortgesetzt hat. Die starken Verluste der „Schwarzen“ gehen auf 16 Jahre Merkel zurück, deren „Verdienst“ es ist, die Union programmatisch immer stärker entleert zu haben.
Das trifft in ähnlicher Form auch für die SPD zu, indem sie wie die Union immer stärker versucht hat, in der politischen Mitte zu angeln. Aber die SPD hat den Absturz hinter sich, der bei der Union noch anhalten dürfte. Die „Roten“ haben ihre Talsohle dabei nicht wegen neuer programmatischer Schärfe durchschritten, sondern wegen der zunehmenden Schwäche der „Schwarzen“. Wie sehr beide Volksparteien über die Zeit an Zustimmung eingebüßt haben, zeigt sich daran, dass sie bei der aktuellen Wahl zusammen 49,8% der Stimmen erreicht haben – nach 77,3% im Jahr 1990.
Sahra Wagenknecht sieht als Grund für den anhaltenden Niedergang der Linken, dass die Partei sich immer mehr von ihrer angestammten Rolle als Interessenvertretung entfernt hat, für alle diejenigen da zu sein, denen es nicht so gut geht. Sie wäre immer mehr zu einer Partei des akademischen, urbanen Fridays-for-Future-Milieus geworden. Wenn es stimmt, dass sich 47% der Wähler der Linken große Sorgen machen, ihren Lebensstandard nicht mehr halten zu können (s.o.!), dann dürfte der Niedergang der Linken noch lange nicht vorbei sein.
Die AfD wurde in Thüringen mit 24% stärkste Partei. Prägende Figur ist dort der rechtsextreme Höcke. Zweitstärkste Partei wurde die SPD mit 23,4%, die CDU erreichte 16,9%. Die Linke sank um 5,5% auf 11,4%, sie stellt mit Ramelow den Ministerpräsidenten. Die Grünen kommen auf 6,6% (2017: 4,1%). Auch in Sachsen wurde die AfD mit 24,6% stärkste Kraft. Die SPD verbesserte sich deutlich auf 19,3%, die CDU erreichte 17,2%. Die Linken kamen auf 9,3%, die Grünen auf 8,6%.
Wie verwirrt so mancher Wähler zumindest im Wahlkreis Leverkusen-Köln IV gestern offenbar war, zeigt sich daran, dass die SPD-Gesundheitssirene Lauterbach (und vielleicht der nächste Pharma-Minister) knapp 44% der Stimmen bekam.
Laschet hat angekündigt, sich genauso wie Scholz um die Bildung einer regierungsfähigen Mehrheit zu bemühen. Er baut dabei auf seine guten Beziehungen zu FDP-Chef Lindner und die Zusammenarbeit in NRW. Nach Wählerwille wäre eine Koalition aus den Parteien angesagt, die bei dieser Wahl zulegen konnten. Ob Scholz aber die Ampel zustande bringt, ist offen. Es dürfte auf längeres Gezackere hinauslaufen, bevor die nächste Regierung steht. Dabei dürfte die FDP die entscheidende Rolle spielen – eine Neuauflage des "Zünglein an der Waage".
"Wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten." (Möglicherweise von Emma Goldman)
Ergänzung:
Wie weit die Spaltung der Gesellschaft mittlerweile geht? Zwei aktuelle Beispiele:
Am zurückliegenden Freitag haben Teilnehmer einer „Fridays for Future“-Demonstration in Frankfurt Wahlhelfer und Kandidaten an einem Informationsstand von dieBasis beschimpft, bespuckt und auch tätlich angegriffen. Aus der größeren Menge der Demonstrationsteilnehmer waren Parolen zu hören wie „Basis raus“, „Verpisst Euch“, „Wir ficken Euch“, „Nazis“, „Euch müsste man zwangsimpfen“.
Vor einigen Tagen wurde anonym eine „Todesliste“ per E-Mail von einem Absender versendet, der sich „ein Geimpfter“ nennt. Auf der Liste stehen ca. 250 Personen, die man wie Tiere „entnehmen“ sollte. Auch Mitglieder von dieBasis sind darauf verzeichnet.
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