Die jüngsten Inflationsdaten in den USA kamen schwächer herein als erwartet. Der CPI ist mit 1,5% auf Jahressicht so schwach gestiegen wie seit September 2016 nicht. Der PPI („Final Demand“) ist im Monatsvergleich mit +0,1% weniger gestiegen als mit +0,2% erwartet, nach einem Minus von 0,1% im Vormonat. Der PPI auf Basis der Beschaffungspreise für Rohstoffe (PPI-ACO) ist im Februar gegenüber dem Vergleichsmonat des Vorjahres um 0,3% geschrumpft. Das ist das erste negative Ergebnis seit Oktober 2016.
Die nachlassende Inflation störte bullische Anleger nicht weiter, auch wenn sie in 2018 über weite Strecken steigende Preise noch als Beleg für eine brummende Wirtschaft gefeiert hatten. Jetzt greift man statt dessen zur Fahne des Goldilocks-Szenarios, in der die Wirtschaft nicht zu heiß, aber auch zu kalt läuft. Je nach Geschmack träumt man von einer durch die Zentralbanken gemanagten sanften Landung oder von einem von denselben Institutionen veranstalteten moderaten Wachstum. Mittelmaß eben, das darauf setzt, dass die “richtige“ Politik der Zentralbanken unser aller Wohlstand sichert.
So wurde die nachlassende Inflationsneigung eben auch nicht als ein (weiteres) Warnzeichen für nachlassende wirtschaftliche Dynamik genommen, sondern als Beleg dafür, dass der nächste Zinsschritt nach oben in immer weitere Ferne rückt. Und dafür, dass die Fed früher als geplant ihren Kurs der Bilanzverkürzung stoppt oder zumindest wieder verlangsamt, nachdem sie im Oktober des zurückliegenden Jahres noch eine Schippe drauf gelegt hatte. Insofern kommt der in der kommenden Woche stattfindenden FOMC-Sitzung eine wichtige Bedeutung zu – man erwartet zu diesem Thema erste Hinweise.
So lange die Mehrheit der Anleger an ein Goldilocks-Szenario und damit an die Allmacht der Zentralbanken glaubt, werden deren jüngste Andeutungen auch nicht als das genommen, als was man sie sehen sollte – als frühe Warnzeichen eines wirtschaftlichen Abschwungs, der angesichts der extremen Verschuldungsgrade schnell ernste Konsequenzen haben kann. So wird die Fed nicht müde, ihre Geduld bei der Zinspolitik zu betonen und ist längst davon abgerückt, ihre Bilanzverkürzung auf „Autopilot“ zu betreiben. EZB-Präsident Draghi verschiebt eine mögliche Änderung des Leitzinses der Eurozone in das nächste Jahr und kündigt eine Verlängerung des Programms günstiger Bankkredite an. Die Zentralbanken in Australien, Kanada und in Großbritannien sind in Wartestellung übergegangen. In der VR China wird seit Wochen die Bereitschaft zu günstigerer Geldversorgung und zu fiskalischen Anreizen betont, um expansionäre Kräfte zu unterstützen.
Konnte man dem Goldilocks-Szenario vor 2000 vielleicht noch einige Glaubwürdigkeit abgewinnen, so sieht das heute ganz anders aus. Wenn eine Wirtschaft nur dadurch am Laufen gehalten werden kann, dass BoJ, Fed, EZB und andere Zentralbanken Billionen in die Wirtschaft gepumpt haben, ist grundsätzlich etwas faul (Chartquelle).
Und zur Bilanz der PBoC der folgende Chart, zu Verschuldungsaspekten in China siehe hier .
Der Glaube an die „Goldilocks“ und der Glaube an die Allmacht der Zentralbanken bedingen sich gegenseitig. Kommen Zweifel daran auf, dass die Zentralbanken es womöglich nicht richten können, kippt das Szenario. Und es kippt umso schneller, je instabiler die Wirtschaft in sich selbst ist. Die aufgeblähten Bilanzen der Zentralbanken sind ein Spiegelbild der erreichten extrem hohen Verschuldung, entsprechend groß ist das Risko, dass ein kleiner Anlaß eine Kaskade an Konsequenzen nach sich zieht, die sich sehr schnell als unbeherrschbar erweisen.
Der S&P 500 spiegelt die „Alles wird gut“-Mentalität der Anleger wider. Allerdings zeigt der Kursverlauf seit einigen Wochen eine abnehmende Dynamik, wodurch der Eindruck eines „Rounding Top“ entsteht. Der Einbruch von Anfang März wurde zwar einigermaßen zügig wieder gekauft, die sind rundende Silhouette prägte sich aber dennoch weiter aus (Chartquelle).
Die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur nimmt weiter zu. So lange dabei das Niveau des 62er Retracements des Abwärtsimpulse von Ende September 2018 bei 2710 respektiert wird, bleiben die Bullen vorne. Zu aufkommender temporärer Schwäche dürfte beitragen, dass vor der nächsten Berichtssaison Aktien-Rückkäufe restriktiver gehandhabt werden. Damit verliert jetzt eine wichtige Stütze der Aufwärtsbewegung bei Aktien an Bedeutung. Seit Jahresbeginn wurden von US-Unternehmen für fast 290 Mrd. Dollar eigene Aktien zurückgekauft – absoluter Rekord einer sich seit Mitte 2017 beschleunigenden Entwicklung (Chartquelle).
Der VIX hat am zurückliegenden Freitag ein Niveau erreicht wie Anfang Oktober 2018, kurz bevor der Abschwung im S&P 500 Fahrt aufnahm. Die historischen Volatilitäten (über 22 Handelstage) sind sowohl im VIX, als auch im S&P 500 auf das Niveau von Anfang Oktober gesunken (siehe oberen Chartteil). Natürlich gibt es kein ehernes Gesetz, wonach die Volatilität nicht immer noch weiter sinken kann. Aber allein die Tatsache, dass der Rückgang der Volatilitäten sich über mittlerweile mehr als zehn Wochen hinzieht und zuletzt an Dynamik verloren hat, sollte als Warnung vor einem schnellen Ende der gegenwärtigen Expansionsphase bei Aktien dienen. Der Chart wird täglich auf der Startseite aktualisiert.
Ein weiteres Warnzeichen ergibt sich aus den Verläufen von S&P 500 und der Rendite der zehnjährigen TNotes. Der Kehrwert der Rendite ist das sogenannte faire KGV („fair PER“) nach Fed-Modell. Beide entwickeln sich üblicherweise gegenläufig. Ein markanter Aufwärtszyklus bei Aktien startet gewöhnlich bei einem hohen fairen KGV, weil Aktien dann im Verhältnis zu Staatsanleihen als günstig bewertet gelten. In dessen Verlauf verringert sich der Abstand beider Zeitreihen und kehrt sich schließlich um, bis das faire KGV so niedrig im Vergleich zum dann erreichten Aktienkursniveau ist, dass eine Korrektur wahrscheinlich wird.
Zuletzt hatte das faire KGV Anfang des Jahres ein lokales Maximum, sowie der S&P 500 ein lokales Minimum erreicht. Das bildete den Startpunkt für die jüngste Rally bei Aktien. Das faire KGV lief jedoch gleichzeitig kaum nach unten, stieg in den zurückliegenden Tagen sogar wieder an bis in die Nähe des lokalen Maximums vom Jahresbeginn. Die schlechte Nachricht dabei ist, dass die Aufwärtsbewegung bei Aktien nicht unterstützt wird durch Abflüsse aus dem Bereich der Staatsanleihen. Die gute ist, dass die Differenz in der relativen Bewertung dadurch nicht noch weiter aufgeht, als sie sich ohnehin durch Zunahme der Aktienkurse entwickelt hat.
Dies war übrigens auch schon in der Zeit seit Ende Mai 2018 zu sehen, in der das faire KGV zwar deutlich schwankte, aber zunächst nicht nach unten lief. Das geschah erst ab Ende August, die Bewertungsdifferenz wuchs immer schneller, bis der S&P 500 Ende September sein Allzeithoch erreichte. Das faire KGV blieb bis Mitte November auf niedrigem Niveau, was eine relative Hochbewertung von Aktien signalisierte. Erst kurz vor Weihnachten zeigte sich die relative Bewertung im Schnittpunkt beider Kurven neutral, es kam in Verkaufspanik zum Überschießen.
Auch hier gibt es keine in Stein gemeißelte Gesetzmäßigkeit, wonach eine bestimmte Bewertungsdifferenz automatisch eine Aktien-Korrektur auslöst. Was allerdings im aktuellen Kontext gesagt werden kann: Es gab seit Jahresbeginn kaum Verlagerungen vom Anleihe- in den Aktienbereich, was darauf schließen lässt, dass Bond-Halter der Aktienrally nicht folgen. Beginnen sie, ihr zu folgen und schichten in Aktien um, dürfte das zu besonderer Vorsicht bei Aktien Anlass geben.
Die Aktienmärkte stehen nach wie vor unter dem Einfluß von Meldungen hinsichtlich Fortgang der Verhandlungen im Handelsstreit USA-China. Das Brexit-Thema spielt nach wie vor keine wesentliche Rolle (außer als Entschuldigung für Gewinnmitnahmen). Aus technischer Sicht steigt die Wahrscheinlichkeit einer signifikanten Kurs-Korrektur bei Aktien immer mehr an.
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