Ich will mich noch einmal mit China befassen. Dem Land kommt eine besondere Bedeutung zu. Es galt erstens bisher als Zugpferd der Weltwirtschaft. Zweitens ist es Sinnbild für die Globalisierung, von der angeblich alle, also die Weltwirtschaft, insgesamt profitieren.
Makrodaten aus China sind bekanntermaßen mit Vorsicht zu genießen – mit besonderer Vorsicht, denn auch die Daten der entwickelten Länder unterliegen, vornehm formuliert, politischer Einflußnahme. Der gegenwärtige stellvertretende Premierminister Chinas, Li Keqiang äußerte bereits 2007 in einem Gespräch mit dem US-Botschafter in China, die chinesischen Makrodaten sollten nur als grobe Anhaltspunkte gesehen werden. Er persönlich beachte v.a. den Verbrauch von elektrischer Energie, die Frachtvolumina und Daten über Bankkredite, um sich ein verlässlicheres Bild über die Verfassung der chinesischen Wirtschaft zu machen.
Das wollen wir auch tun.
Der Verlauf der Frachtvolumina der chinesischen Eisenbahn zeigte nach 2008 in der Reflexerholung der entwickelten Wirtschaftsgebiete einen schnellen Anstieg auf die zuvor erreichten Hochs. Mitte 2010 allerdings manifestierten sich sinkende Zuwachsraten. Nach zwei Unterbrechungen dieser Bewegung in der ersten Jahreshälfte 2011 und 2013 wurden die Zuwachsraten im Frühjahr 2014 negativ und sind es bis heute (Chartquelle).
Der Verbrauch elektrischer Energie in China zeigt Ende 2009 einen Jahreszuwachs von rund 40%. Mitte 2010 lage die Zuwachsrate noch bei 15%. Auch hier gab es im Laufe des Jahres 2013 eine Zwischenerholung bis auf einen Zuwachs on 15%, danach ging es zurück bis auf Zuwächse unter 4% gegenüber dem Vorjahr (Daten bis zur Jahresmitte 2014).
Beide Indikatoren signalisieren einen deutlichen Tempoverlust bei den wirtschaftlichen Aktivitäten.
Das Bankensystem der VR China hat sich in der Zeit zwischen 2004 und 2014 etwa versiebenfacht. Gemessen am BIP beträgt sein Anteil per Ende 2014 etwa 270%. Das liegt nicht weit weg von den Verhältnissen in der Eurozone, in den USA beträgt die Quote ungefähr 100%. Immer vorausgesetzt, die chinesischen BIP-Daten sind einigermaßen zutreffend. Sieht man sie eher als (viel) zu hoch an, steigt der Anteil des Bankensystems entsprechend.
Die Aktivitäten im Schattenbanken-System nehmen kontinuierlich zu und stellen mittlerweile fast 50% der ausstehenden Kredite in Höhe von gut 85 Bill. RMB. Im zweiten Halbjahr 2010 lag der Anteil noch bei unter 40%, die ausstehenden Kredite kamen seinerzeit auf rund 41 Bill. RMB (6,7 RMB = 1 Euro). Die jährlichen Zuwachsraten im Schattenbanken-System liegen per erste Hälfte 2014 immer noch bei über 12%, im ersten Halbjahr 2011 lagen sie bei gut 35%.
Die bedeutende Rolle des Schattenbankensystems ist die eigentliche Gefahr im Finanzsektor. Hier greifen Regulierungen nur sehr indirekt, zudem sind die Zahlen hier mit besonderer Vorsicht zu genießen. Vermutlich liegen sie in Wirklichkeit höher als angenommen.
Die absolute Größe des Bankensystems bezogen auf das BIP ist mit den Verhältnissen in der Eurozone vergleichbar. Das ist ja nun keineswegs beruhigend. Hinzu kommt die rasche Aufblähung – in den zurückliegenden zehn ist es um den Faktor fünf bis sieben (je nach Statistik) angewachsen, in den USA und in der Eurozone haben sich die jeweiligen Bankensysteme im selben Zeitraum „nur“ um den Faktor rund 1,5 vergrößert (Chartquelle).
Der Verlauf der Unternehmensgewinne gibt ebenfalls guten Aufschluss über die Verfassung der chinesischen Wirtschaft. Die jährlichen Zuwachsraten lagen 2011 bei fast 40%, per 2013 werden nur noch 15% erreicht.
Der Anteil der Unternehmensschulden am BIP ist in China im internationalen Maßstab mit mittlerweile etwa 140% hoch, nur in Hong Kong und Schweden werden höhere Werte erreicht. In den USA liegt der Wert bei 80%, in der Eurozone bei 100%. Was die Gesamtverschuldung des privaten Sektors angeht, so liegen die drei Wirtschaftsregionen China, USA und Eurozone nicht weit auseinander, wobei die historisch vergleichenden Untersuchungen von Rogoff und Reinhart ergeben haben, dass die Grenzwerte handhabbarer Schuldenquoten in sich entwickelnden Länder wie China eher bei 60% liegen (entwickelte Länder ~90%) – siehe hier und hier!.
Nimmt man all diese Aspekte zusammen, so dürfte das BIP-Wachstum von China deutlich unter der offziellen Marke von gegenwärtig 7% liegen. Wenn dem so ist, stellt sich die Entwicklung der innerchinesischen Aktienmärkte mit mehr als einer Verdopplung seit Jahresmitte 2014 in einem noch krasseren Licht als ohnehin schon dar. Gut möglich, dass chinesische Aktien heute stärker überbewertet sind als die Aktien in der Tech-Blase, die im März 2000 platzte.
Viel hängt in China mit der Umorientierung der Wirtschaftspolitik zusammen. Seit 2013 steht die Anhebung des innerchinesischen Konsums im Fokus. Hier erhofft sich die chinesische Führung von den aufgeblasenen Aktienmärkten einen Wohlstandseffekt, der den privaten Verbrauch ankurbeln soll. Dieselbe Hoffnung verband vor 2008 Fed und US-Politik mit der Hauspreisblase, die ebenfalls mit erheblicher Kreditausweitung erkauft wurde. Das Ergebnis ist bekannt.
Die zentrale Steuerung der chinesischen Wirtschaft durch eine straffe Führung und die nach wie vor direkter als anderswo kontrollierte Währung ist sicherlich eine Voraussetzung dafür, dass sich die Verhältnisse in China trotz aller negativen Indizien immer noch so stabil präsentieren. Das dürfte jedoch eher eine trügerische Ruhe sein. Wie lange sie noch anhält? Keine Ahnung.
[Die Charts ohne Quellenangabe im Text sind einer Präsentation der BBVA entnommen]Das könnte Sie auch interessieren:
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