USA: Rezession voraus?

Dieser Tage geht wieder die Frage um, ob die Wirtschaft der USA (und der Welt) auf eine Rezession zusteuert. Die bisherige Wachstumslokomotive China schwächelt, der US-Verbraucher kommt seiner vornehmsten Aufgabe, zu konsumieren, was das Zeug hält, nur zögernd nach. Die Eurozone läuft den Wachstumsraten der USA weiterhin mit großen Abstand hinterher, wobei Beobachter allerdings die Fracking-„Revolution“ ins Spiel bringen. Ohne sie läge das US-Wachstum näher an ein Prozent als am auch schon anemischen Zuwachs von zuletzt im Mittel 2%, heißt es. Für das zurückliegende Quartal rechnen viele mit einem Pozent.

Die Flash-PMIs für April haben überall Schwäche gezeigt. Der chinesische Flash-PMI der HSBC sinkt im April auf 49,2 (nach 49,6 im März) und damit auf ein ein-Jahres-Tief. Das japanische Pendant sinkt von 50,3 im März auf 49,7. Die PMIs der Eurozone enttäuschten ebenfalls, der deutsche Flash-PMI notiert im April bei 54,2 nach einem acht-Monats-Hoch im März bei 55,4. Der amerikanische ISM-Index ist seit Herbst von einem Stand bei knapp 58 aus auf Talfahrt und notierte im März bei 51,50. Am kommenden Freitag wird der Wert für April veröffentlicht. Der US-PMI sinkt im April auf ein vier-Monats-Tief.

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Nach der laufenden Umfrage des Wall Street Journal wird nach einem BIP-Zuwachs von 2,2% im Schlussquartal 2014 für das erste Quartal 2015 ein Anstieg um 1,4% erwartet. Schon im zweiten Quartal sollen wieder +3,1% erreicht werden, danach +3,0%. Also gehen die Befragten von einem temporären Durchhänger aus, der schon bald wieder ausgebügelt ist. Eine unmittelbar einsetzende Rezession scheint in den Augen der Befragten fernab jeder Wahrscheinlichkeit.

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Woher allerdings der Optimismus für das zweite und die folgenden Quartale kommt, ist schwer nachvollziehbar. Es macht sich offenbar die Haltung breit, dass es die Zentralbanken schon richten werden. Es ist die Hoffnung, dass über Zinssenkung und Geldflut Wirtschaftswachstum geschaffen werden kann.

Aber solche geldpolitischen Maßnahmen schaffen lediglich bestimmte monetäre Voraussetzungen. Ob diese in die Produktion von neuen Konsum- oder Investionsgüter umgesetzt werden, entscheidet sich daran, ob Unternehmer und Verbraucher willens und in der Lage sind, neue Güter anzubieten und nachzufragen. Gut möglich, dass schnell sinkende Zinsen ab einem bestimmten Punkt zu Kreditaufnahme und ersten Investionen führt. Wenn sich aber im Laufe der Zeit herausstellt, dass sich diese nicht lohnen, weil entweder die Nachfrage fehlt oder die Kosten unerwartet stark steigen, folgen im besten Falle keine Anschlussinvestitionen mehr. Im schlechtesten Fall kommt es zu einer Wirtschaftskrise.

Mit geldpolitischen Flutungsmaßnahmen haben die Zentralbanken seit Jahrzehnten jeden Konjunktureinbruch bekämpft. In besonders drastischer Form ist das nach 2008 geschehen. Durch diese Eingriffe hat der Zins seine Funktion verloren, ein Gleichgewicht zwischen Ersparnis und Investition herzustellen und so Hinweise zu geben, ob sich Investitionen lohnen oder nicht. Kapital wird künstlich billig gemacht, was Fehlinvestitionen provoziert, die den Grundstein für die nächste Krise legen. Wenn dann noch die Situation einer Liquiditätsfalle besteht, in der liquide Mittel gehortet und nicht produktiv eingesetzt werden, kommt es auch nicht zu Inflation auf den Gütermärkten. Stattdessen inflationieren die Preise von Finanzmarkt-Assets und die Schere z.B. zwischen Aktienkursen und Ertragssituation der Unternehmen geht immer weiter auf. Und da sich die Spekulation zu lohnen scheint, besteht umso weniger Veranlassung, die billigen Mittel in der Realwirtschaft produktiv anzulegen.

Genau in dieser Situation sind wir heute: Die Aktienkurse erklimmen neue Hochs in Folge, die kurzfristigen Zinsen sind Null bis negativ, die langfristigen Zinsen sinken weiter und bleiben damit auf dem in den frühen 1980er Jahren eingeschlagenen Weg. Der deutsche zehn-Jahres-Bund rentiert gegenwärtig bei etwa 0,16%, für das US-Pendant erwarten einige Beobachter per Frühjahr 2016 rund 0,8% (aktuell 1,92%). Die Rohstoffpreise zeigen keine Stärke – vom Öl abgesehen, das unterstützt von geopolitischen Faktoren versucht, sich von dem scharfen Einbruch seit Jahresmitte 2014 zu erholen. Zusammen mit den anemischen Inflationsindices sind das Hinweise auf eine anhaltende Wachstumsschwäche, wie wir sie hier schon etliche Male diskutiert haben.

Zahlreiche Makrodaten in den USA zeigen seit Jahresbeginn fortgesetzt Schwäche. Die Akteure an Finanzmärkten ignorieren das mehr oder weniger und setzen umgekehrt darauf, dass weitere Schwäche dazu führen wird, den Beginn eines neuen Zinszyklus zu verschieben. China ist für diese Haltung ein besonders prägnantes Beispiel: In deutlich nachlassendem Wachstum hat sich der chinesische Haupt-Aktienindex seit November verdoppelt. Die Finanzmarkt-Akteure spekulieren auf geldpolitische Lockerungen, die sie auch bekommen. Die zusätzlichen Mittel landen im Aktienmarkt und die chinesische Regierungs setzt offenbar auf einen durch steigende Aktienkurse initiierten Vermögenseffekt, der den Konsum ankurbeln soll.

Es gibt zahlreiche Indikatoren, die versuchen, so früh und sicher wie möglich eine heraufkommende Rezession zu erkennen. Rezessionen finden in Konjunkturabschwüngen statt, aber nicht jeder Abschwung ist eine Rezession.

Die folgende Darstellung zeigt den Verlauf der Zyklen im Finanz- und nicht-Finanzsektor (gelbe und rosa Linie) anhand des Verlaufs der Anteile der jeweiligen Gewinne am BIP (USA, bis Q4/2014). Technisch wird eine Bandpassfilterung vorgenommen. Der Gesamtzyklus ist in dunkelblau dargestellt. Es sieht so aus, als habe der Finanzzyklus sein lokales Topp im Herbst 2012 erreicht, während der nicht-Finanz-Sektor im Frühjahr nach einem Durchhänger wieder einen leichten Aufschwung zeigt. Der Gesamtzyklus zeigt gegenwärtig einen Abschwung, dessen Dynamik aber so gering ist, dass eine unmittelbar anstehende Rezession von hier aus zunächst unwahrscheinlich ist.

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Die Auswertung der statistischen Häufigkeit bestimmter Merkmale der Zinslandschaft lieferte in der Vergangenheit recht zuverlässige frühe Signale hinsichtlich einer in den USA heraufziehenden Rezession, wie auch wirtschaftlicher Beschleunigung. Diese Auswertung zeigt aktuell zwar eine Tendenz hin zu einer höheren Eintrittswahrscheinlichkeit einer Rezession, mehr aber auch nicht.

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Eine weitere Möglichkeit, die Rezessionswahrscheinlichkeit abzuschätzen, wird u.a. hier vorgestellt. Untersucht werden beim "Macro Market Risk Index" (MMRI) die Entwicklung von S&P 500, US-Ölpreis, US-Zins- und Kreditspreads, sowie der Zinsdifferenz zwischen dreimonatigen TBills und zehnjährigen TNotes. Der folgende Chart zeigt eine leichte Tendenz in Richtung einer Rezessionswahrscheinlichkeit größer Null, aber auch hier fehlt noch einiges.

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Wertet man die Zeitreihen von Industrieproduktion, realem verfügbarem persönlichen Einkommen, persönlichen Konsumausgaben und Zahl der Beschäftigten in den USA aus hinsichtlich ihrer Entwicklung über, bzw. unter dem Trend, so zeigt der daraus gebildete Index (rot im unteren Chartteil) bis Februar einen klaren Expansionskurs oberhalb der Scheidelinie bei 50%. Für März liegen noch nicht alle Werte vor, aber es ist zu erwarten, dass der Index dann wieder nach unten tendiert (Aktualisierung: Genau das trat auch ein – der Indikator ging von 88% auf 63% zurück). In der Vergangenheit hatte er mit einem Fall unter 50% regelmäßig recht zuverlässig Rezessionen angezeigt. Davon ist er aber noch um einiges entfernt.

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Unter dem Strich bleibt die Feststellung, dass die US-Konjunktur gegenwärtig an Tempo verliert, eine Rezession dürfte allerdings nicht unmittelbar vor der Türe stehen.

Da die Finanzmarkt-Akteure mittlerweile fest davon ausgehen, dass die Zentralbanken auf jeden konjunkturellen Abschwung mit noch mehr Liquiditätszufuhr reagieren, hat die Aussicht darauf eher den Effekt, die Preise von Finanzmarkt-Assets weiter steigen zu lassen.

Da die großen Notenbanken allesamt die gleiche Politik verfolgen und mit ziemlicher Sicherheit in der Abfolge ihrer Schritte abgesprochen vorgehen, dürfte nun die Fed wieder an der Reihe sein. Zuletzt hat die PBoC „geliefert“, davor die EZB. Die Erwartungen, wann die Fed ihre erste Zinserhöhung durchführt, wandern schon nach hinten. Die nächste FOMC-Sitzung ist am 29. April. Ein Zinsschritt wird nicht erwartet, wohl aber weitere Andeutungen. Mittlerweile liegt nach Preisentwicklung bei Fed Funds Futures die Wahrscheinlichkeit einer Zinserhöhung nicht einmal mehr für die FOMC-Sitzung im Oktober bei über 50%. Erst im Dezember beträgt sie 56%.

Ergänzung:
Als Maß für die Qualität des Indikators aus der statistischen Häufigkeit bestimmter Merkmale der Zinslandschaft in den USA kann die Fläche unterhalb der ROC-Kurve (ROC – "Receiver Operating Characteristics") herangezogen werden: Sie beträgt für einen Vorlauf von vier Quartalen 0,762, für einen Vorlauf von sechs Quartalen sind es 0,887. Zeitspanne: August 1985 bis April 2015.
Der Indikator aus den Zeitreihen von Industrieproduktion, realem verfügbarem persönlichen Einkommen, persönlichen Konsumausgaben und Zahl der Beschäftigten in den USA liefert 0,837. Zeitspanne: November 1978 bis März 2015.
Die AUC-Werte (AUC – "area under the ROC curve") können als Wahrscheinlichkeit angesehen werden, dass ein positiver Wert auch als solcher klassifiziert wird; ideal ist 1,0 (100%), unter 0,5 (50%) wäre der Klassifikator unbrauchbar.

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