Andrea Ferrero, University of Oxford, schreibt im "Economist", Deflation in der Eurozone sei keine ferne Möglichkeit. Im Januar lag die vorläufige Inflationsrate der EZB gerade ein Tick über dem Rekord-Tief aus Oktober bei 0,7%. Beide Inflationsraten, auch die Kerninflation zeigen seit Sommer 2012 einen klaren Abwärtstrend.
Deflation ist aus wohl bekannten Gründen schlecht – siehe Japan. Aber für eine Zentralbank ist sogar positive Inflation unterhalb ihres Ziel ein Grund zur Besorgnis. Die EZB sieht als ihr Ziel für Preisstabilität eine Jahresrate von unter, aber nahe an 2% des "Harmonised Index of Consumer Prices" (HICP). Wenn das Ziel so deutlich verfehlt wird wie aktuell, sollte das der EZB zu denken geben.
Die Inflation in den USA folgte zwischen Ende 2009 und Ende 2010 einem vergleichbaren Muster wie aktuell in Europa. Nachdem die Fed das einige Monate beobachtet hatte, begann sie zu handeln und kündigte im August 2010 an, aus auslaufenden Hypotheken-Schuldverschreibungen und MBS in ihrer Bilanz frei werdende Gelder zu reinvestieren. In September 2010 formulierte sie zum ersten Mal in der Nach-Krisen-Zeit, dass die Leitzinsen für eine ausgedehnte Periode niedrig bleiben (“forward guidance“). Im November desselben Jahres wurde ein weiteres QE-Programm gestartet (QE2). Ende 2010 erreichten die Inflationsraten in den USA ihre Böden, drehten nach oben ab und notierten innerhalb der folgenden sechs Monate wieder nahe am 2%-Ziel.
Ferrero fragt: Ist die Zeit jetzt reif für die EZB, in die Fußstapfen der Fed zu treten und die niedrige Inflation entschlossener zu bekämpfen? Die EZB wird wahrscheinlich nicht den Weg eines klassischen QE-Programms gehen, weil die Bundesbank fürchtet, die Grenze zwischen Geld- und Fiskalpolitik könnte verschwimmen.
Die EZB ging angesichts niedriger Teuerungsraten im Juli 2013 zur Politik des “forward guidance” über und formulierte fast wortgleich wie die Fed, dass die Leitzinsen für eine ausgedehnte Periode auf dem aktuellen oder einem niedrigeren Wert bleiben werden. Die Fed ist mittlerweile dazu übergegangen, ihre Politik am Erreichen von Zielen hinsichtlich Beschäftigung und Inflation festzumachen. Diese konkretere Form des „forward guidance” hat sich die EZB bisher nicht zu eigen gemacht, was Unsicherheiten über das Timing hervorgerufen hat.
Was kann getan werden? Negative Zinsen auf Reserven sind eine Möglichkeit, die konsistent ist zur aktuellen „forward guidance”. Radikaler wäre der Weg, anzukündigen, man werde höhere Inflation als 2% zulassen, und zwar um so viel mehr, als das Ziel jetzt verfehlt wird. In der gegenwärtigen Situation würde das wahrscheinlich die Ausgaben von Haushalten und Unternehmen anstacheln und verhindern, dass sich eine deflationäre Spirale entwickelt.
Die Deflationsgefahr in der Eurozone ist real. Die USA haben in der jüngeren Vergangenheit dieselbe Erfahrung gemacht, die Fed hat entschlossen und massiv reagiert. Die EZB zögert. Jetzt ist es wohl an der Zeit, dass Europa dem amerikanischen Beispiel folgt und mit aggressiveren geldpolitischen Aktionen experimentiert, schließt Ferrero.
Simon Wren-Lewis, ebenfalls Oxford, vertritt einen ähnlichen Standpunkt und schlägt vor, die EZB solle radikal sein, indem sie altmodisch ist.
Statt „forward guidance“ fordert er „forward commitment”. Der Unterschied liegt darin, dass bei letzterem versprochen wird, einen Anstieg der Inflation über das Ziel selbst dann zuzulassen, wenn die Arbeitslosenquote niedrig (oder die Output-Lücke positiv) geworden ist. Das habe bisher keine Zentralbank gemacht und es gebe sicher Widerstände in der notorisch konservativen EZB, sowie erst recht bei der Bundesbank, die es niemals zulassen würde, dass die Inflation so stark steigt.
“Forward commitment” könnte aber anstatt als radikal neue auch als Rückkehr zu einer alten Politik verkauft werden, nämlich zur Rückkehr zu einem Geldmengenziel. Die einzige größere Zentralbank, die eine solche Politik länger als nur ein paar Jahre verfolgt hat, war die Bundesbank. Die Geldmenge steht in enger Beziehung zum Nominaleinkommen. Die Formulierung eines Ziels für das Nominaleinkommen ist ein Weg, um „forward commitment” zu implementieren. Es ist einen Versuch wert, schreibt Wren-Lewis.
Das Trommeln für eine aggressive Geldpolitik der EZB wird lauter.
Der Eonia-Zins ist am Freitag auf 0,34% gestiegen – über den Hauptfinanzierungszinssatz der EZB bei 0,25% hinaus.
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