Herr Schäuble, z. Zt. Berlin, hat kürzlich in einem Artikel in der FT dargelegt, die Eurozone befinde sich eindeutig auf dem Weg der Besserung, sowohl strukturell als auch zyklisch. Die Kritiker des mit kühlem Kopf durchgezogenen Euro-Krisenmanagements befänden sich in einem Parallel-Universum.
Ambrose Evans-Pritchard entschuldigt sich sich im Telegraph betroffen bei Schäuble dafür, dass er die Wende in der Eurozone nicht mitbekommen hat. Er entschuldigt sich dafür, erwähnt zu haben, dass die Arbeitslosigkeit in Griechenland mittlerweile 27,8% beträgt, in Spanien 26,3%, in Zypern 17,3% und 16,5% in Portugal. Auch die griechische Jugendarbeitslosigkeit von 62,9% gehöre zu diesen trivialen Details, denen er fälschlicherweise aufgesessen ist.
In Italien kommt die Arbeitslosigkeit mittlerweile auf 12%, in Irland auf 13,8%. Sie wäre in allen Krisenländern noch höher, wenn es die Auswanderung von Fachkräften nicht geben würde. Auch in Frankreich sind mittlerweile 11% arbeitslos, was ein gewisser Herr Hollande zum Teil auf die hohe Geburtenrate zurückführt.
Im zweiten Quartal lag Spaniens BIP 7,5% unter der Vor-Krisen-Spitze, das von Portugal liegt 7,6% darunter, das irische stagniert seit einigen Jahren bei 8,4% unter der Spitze, in Italien liegt das BIP 8,4% tiefer und in Griechenland 23,4%.
Auch zu Griechenland zeigt sich Evans-Pritchard Schäuble gegenüber reumütig, weil er mehrfach an die Prognose der Troika erinnert hatte, es komme in 2010 zwar zu einer Kontraktion von 2,6%, aber mit anschließender scharfer Erholung. Jetzt wird für das laufende Jahr eine Schrumpfung um weitere 5% erwartet. Aber das sei ja alles innerhalb der normalen Fehlertoleranz…
Martin Wolf freut sich in der FT, in einem Parallel-Universum zu leben, in dem von Schäuble möchte er jedenfalls nicht sein. Schäuble ziehe Parallelen zwischen dem „kranken Mann Europas“ von Ende der 1990er Jahre und den dann erfolgten deutschen Reformen und den heutigen Krisenländern, um ihnen dieselben Rezepte nahezulegen. Doch die Situationen sind so unterschiedlich wie Feuer und Wasser, schreibt Wolf. Deutschland hatte in 2003 eine milde Rezession erlebt, die heutigen Krisenländer befinden sich in Depressionen. Das größte deutsche Leistungsbilanzdefizit lag bei 1,7% in 2000, die Mehrzahl der Krisenländer hatte eines von mehr als 10% im Tief. Deutschland hatte seinerzeit eine erträgliche Schuldenquote und keine Probleme, diese zu finanzieren. Die PIIGS haben gewaltige Schuldenüberhänge und können sich kaum oder gar nicht selbst finanzieren.
Vor der Krise generierten die Weltmärkte und die Volkswirtschaften der Eurozone starke Nachfrage nach deutschen Exporten. Die heutigen PIIGS müssen sich in chronisch schwachem weltwirtschaftlichen Umfeld neu ausrichten. Im Vor-Krisen-Boom hatten Deutschlands Handelspartner Mühe, deutliche Preissteigerungen zu vermeiden. Heute hat Deutschland damit keine Probleme.
Die heutigen Krisenländer müssen ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern (auch weil eine Anpassung über Währungsrelationen innerhalb der Gemeinschaftswährung nicht möglich ist). Aber nur in Griechenland sind die Nominallöhne markant gesunken. Ansonsten hat die Steigerung der Produktivität die Anpassungsarbeit übernommen. Heraus kam im aktuellen Umfeld eine Zunahme der Arbeitslosigkeit.
Und: Wenn Preise und Löhne sinken, wenn im Vergleich zum Wachstum die nominalen Zinsen hoch sind, steigen die realen Schuldenlasten. Die Entwicklung bei allen Krisenländer läuft letztlich auf Schuldenquoten von mehr als 100% hinaus, Griechenland ist jeseits von gut und böse, Italien strebt auf 130% zu und auch für das offiziell noch-nicht-Krisenland Frankreich wird für Ende 2014 eine Staatsverschuldung von 95% des BIP erwartet.
Ist eine Wende zu wirtschaftlicher Gesundung in Sicht? Schäuble macht mit seinem Artikel alle Hoffnungen zunichte, schreibt Wolf, denn in seiner Analyse kommt das Thema „Nachfrage“ nicht vor. Das Rezept, die Eurozone dem deutschen Vorbild gemäß über eine Politik der Produktivitätssteigerung aus der Krise zu führen, endet ohne Berücksichtigung der Nachfrage bestenfalls in einem Null-Summen-Spiel.
Das aktuelle Plus der Leistungsbilanz der Eurozone von rund 2% des BIP über die jüngsten vier Quartale hilft zwar in dem Maße, ihre inneren Probleme zu lösen, in dem dabei neben Gütern auch Bankrotte und Arbeitslosigkeit exportiert werden. Das wird aber langfristig nicht funktionieren, erstens, weil die Eurozone viel zu groß ist, um wie seinerzeit Deutschland über Exporte zu wachsen und zweitens, weil die Währung wahrscheinlich weiter aufwertet, was die Wettbewerbsfähigkeit erneut auf die Probe stellt, schließt Wolf.
Nach Schäubles Artikel ist nun auch Ambrose Evans-Pritchard „endgültig“ davon überzeugt, dass sich die Eurozone erholt. Sie sei ja immun gegen die Euro-Aufwertung der zurückliegenden sechs Monate. Sie sei ja immun gegen die Steigerung der Kreditkosten, sie ist immun gegen die Krise in den Emerging Markets. Und es macht auch nichts, dass die M3-Geldversorgung nahezu stagniert und die Kredite in der Eurozone im Juli nur noch um 1,6% angewachsen sind. „Es tut mir leid,“ ruft der Brite am Schluss seines Artikels auf Deutsch aus.
Vor wenigen Tagen hat EZB-Chef Draghi versichert, die EZB sei vorbereitet, die Erholung der Eurozone zu unterstützen. Beobachter schließen daraus, dass eben jene Erholung bereits wieder zum Stillstand gekommen ist und werten die Aussage so, dass ein neuer LTRO kommen könnte.
Vielleicht hat Draghi den Artkel von Schäuble noch nicht gelesen. Oder vielleicht gerade doch?
Der Artikel von Schäuble ist als Progamm zu verstehen, wie es nach der Bundestagswahl auf der Eurozonen-Bühne weitergehen soll. Nämlich genauso wie bisher.
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