EZB-Chef Draghi zeigte sich auf der gestrigen Pressekonferenz seines Instituts skeptischer hinsichtlich der konjunkturellen Entwicklung in der Eurozone. Mag sein, dass er dabei auch die Entwicklung der Hauspreise in seinem Heimatland vor Augen hatte, die im Schlussquartal 2012 im fünften Quartal in Folge gesunken sind und nun 16% unter dem Niveau von 2007 notieren. Draghi deutete eine Zinssenkung im Mai an und sprach davon, dass die EZB über neue „non-Standard“ Maßnahmen nachdenkt, um die Wirtschaft zu stützen. Dabei beklagte er, dass das Mandat der EZB ihre Möglichkeiten begrenzt, den Zugang von KMUs zu Krediten zu erleichtern.
Zu Zypern bestätigte Draghi wie zuletzt Jeroen Dijsselbloem, niederländischer Finanzminister und Präsident der Eurogruppe den Modell-Charakter dieser “Rettung”, mahnte aber, die EU sollte eine Rangfolge festlegen, wie Kreditoren bei einem Banken-Bail-in künftig zu behandeln sind. Ohne solche Regeln und einen Puffer, könne ein Bail-in leicht chaotische Züge annehmen. Sparer mit bis zu 100.000 Euro Einlage sollten dabei ganz am Ende der Rangfolge stehen.
Damit ist folgendes klar: Wenn versicherte Sparer nicht mehr generell bei einem Bail-in ausgeschlossen werden, verliert die Versicherungszusage von hochverschuldeten Ländern grundsätzlich an Glaubwürdigkeit. So lange die Versicherung nicht von einer anderen Ebene gedeckt wird, müssen die Sparer dieser Länder daher zu dem Schluss kommen, dass sie weder versichert, noch sonstwie vor einer Beteiligung an einem Banken-Bail-in geschützt sind.
Das führt uns zur Target2-Problematik. Insbesondere 2012 hatte Kapitalflucht in Süd-Europa zu steigenden Target2-Salden in den Kernländern der Eurozone und zu zunehmender Refinanzierung der Banken bei den Notenbanken geführt. Seit einigen Monaten sind diese Salden nun rückläufig.
Die Target2-Salden verzeichneten seit Beginn der Finanzkrise 2007 zunächst einen kontinuierlichen Anstieg, der sich nach der Absenkung der Sicherheitsanforderungen der EZB Anfang Dezember 2011 (LTRO-Programm) beschleunigte. Besonders in Spanien und Italien wurde davon Gebrauch gemacht, Staatspapiere und andere Wertpapiere als Sicherheiten bei den jeweiligen Notenbanken zu hinterlegen und die hierfür erhaltenen Mittel in die nördlichen Kernländer der Eurozone zu transferieren.
Nachdem die EZB mit ihrem OMT-Programm im September 2012 unbegrenzte Käufe von Staatsanleihen von Krisenländern zugesichert hatte, gab es einen Mittelrückfluss nach Südeuropa. Die Target2-Salden fallen seitdem, das geflohene Kapital tritt die Rückreise an. EZB-Chef Draghi hat dies im Februar positiv herausgestellt. Entscheidend ist dabei aber, welche Form von Investitionen getätigt werden.
Westermann untersucht die Situation am Beispiel Spanien und unterscheidet Investitionen in (A) alte Staatspapiere, die vor September 2012 als Sicherheiten hinterlegt wurden und durch Rückzahlung der Refinanzierungskredite wieder freigesetzt werden, (B) in private Firmen, die reale Investitionen tätigen, oder (C) neu ausgegebene Staatspapiere.
Westermann kommt zu dem Schluss, dass Variante (C) die plausibleste ist. In 2012 hat Spanien Staatspapiere im Wert von 250 Mrd. Euro neu ausgegeben, die Netto-Neuverschuldung kommt auf 96 Mrd. Euro. Dieser Betrag entspricht in etwa der Veränderung der Target2-Salden in Deutschland und Spanien seit September 2012.
Die spanischen Fundamentaldaten zeigen kaum Anzeichen einer Verbesserung, lediglich das Handelsdefizit ist rückläufig (u.a. wegen sinkender Importe). Die Handelsbilanz war seit Einführung des Euro in keinem einzigen Monat positiv. Damit wird eine weitere Neuverschuldung unumgänglich. So beabsichtigt Spanien, in 2013 insgesamt Staatsanleihen im Umfang von 133 Mrd. Euro neu auszugeben. Knapp die Hälfte dient zum Roll-over alter Schulden, die Staatsverschuldung soll um 71 Mrd. Euro steigen.
Höhere Verschuldung bei gleichzeitiger Verkürzung der Laufzeiten ohne Verbesserung der Fundamentaldaten birgt neue Risiken für das Euro-Währungsgebiet, schließt Westermann und warnt: „Eine erneute Welle der Kapitalflucht könnte stärker und schneller ablaufen als die vorherige.“ Sinkende Target2-Salden seien so gesehen kein Zeichen für eine Stabilisierung.
Die LTRO-Kredite haben die Kapitalflucht nicht stoppen können, das gelang erst mit der Zusicherung von Draghi im Sommer 2012, alles zu tun, um den Euro zu retten, und dem folgenden OMT-Programm. Solange sich die Fundamentaldaten in den Krisenländern, zu denen mittlerweile auch Frankreich gerechnet werden muss, nicht verbessern, wird die EZB von den „Märkten“ alsbald auf den Prüfstand gestellt werden. Dies ist Draghi offenbar bewusst, er sprach auf der gestrigen Presskonferenz von neuen unkonventionellen Maßnahmen. Der Ausblick auf eine Zinssenkung ist ebenfalls in diese Richtung zu sehen.
Mit der Bemerkung, die zyprische Bankenrettung sei ein Modell für Banken-Bail-ins in anderen Ländern, hat er die Entwicklung in diese Richtung beschleunigt. Anleger und Investoren dürften seine Hinweise gehört und verstanden haben, was man vermutlich bald an wieder steigenden Target2-Salden wird erkennen können. Dabei muss berücksichtigt werden, dass ESM-Kredite auch über das Target2-System verrechnet werden.
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