Vor ESM-Urteil – neue Verfassungsklage

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts wird auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 10. Juli 2012 am Mittwoch, 12. September 2012, um 10:00 Uhr seine Entscheidung hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von ESM und Fiskalpakt bekannt geben.

Ende Juni hatten einige Kläger Anträge gegen den Euro-Rettungsschirm in Karlsruhe eingereicht, mit denen sie verhindern wollen, dass Bundespräsident Gauck den Vertrag über den „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) unterzeichnet.

Einer der Kläger hat nun eine weitere Verfassungsklage eingereicht. Der CSU-Abgeordnete Gauweiler kritisiert darin, dass unlimitierte Ankäufe der EZB, wie am vergangenen Donnerstag mit dem OMT-Programm angekündigt, demokratische Entscheidungen unterlaufen.

Das Gesamtrisiko für den Bundeshaushalt, das sich aus dem ESM-Vertrag und den sonstigen Euro-Rettungsmaßnahmen ergibt, sei „völlig unkalkulierbar und deshalb auch unverantwortbar geworden". „Der ESM – sofern er überhaupt verfassungskonform ist – soll nur in Kraft treten können, wenn die EZB ihre Selbstermächtigung zu einem Hyper-Rettungsschirm zurückgenommen hat", heißt es in einer Mitteilung des CSU-Politikers.

Gleichzeitig hat der Prozessbevollmächtigte Gauweilers eine Vertagung des ESM-Urteils beantragt, wenn das Bundesverfassungsgericht nicht bis Mittwoch über den Eilantrag gegen die EZB-Anleihenkäufe entscheiden kann.

Einige Beobachter sehen die Lage auch nach der zweiten Klage Gauweilers unverändert und gehen davon aus, dass das BVG den ESM (mit Abstrichen) durchwinken wird. Andere, wie der Europa-Rechtler Gunnar Beck von der Universität London, halten den ESM für verfassungswidrig, erwarten aber trotzdem nicht, dass dem Rettungsschirm die Zustimmung verweigert wird. „Aber weil EZB-Präsident Mario Draghi so offensichtlich den Artikel 123 des EU-Vertrages gebrochen hat, wird es für das Gericht durch Gauweilers Eilklage sicher schwieriger, den unlimitierten Anleihenaufkauf einfach abzunicken", sagte Beck. Wolgang Münchau, Eurointelligence, schreibt: "Die gesamte Euro-Rettungsaktion ist rechtlich schwach und schwer mit dem in Einklang zu bringen, was wir über das deutsche Bundesverfassungsgericht und seine Auslegung der Verträge, sowie seine Ansichten über Möglichkeiten und Grenzen der Bewältigung der Finanzkrise wissen."

Unter Führung von Ex-Goldman-Mitarbeiter Draghi hat die EZB am 6. September 2012 ihre Rolle eigenmächtig neu definiert. Sie macht nun –mit der Bereitschaft, unbegrenzt PIIGS-Anleihen zu kaufen- die Rettung des Euro zu ihrer wichtigsten Aufgabe. Nach den europäischen Verträgen hat für sie hingegen die Wahrung der Preisstabilität oben an zu stehen.

Die EZB rechtfertigt ihr OMT-Programm damit, sie betreibe keine nach Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verbotene Staatsfinanzierung, weil sie nur am Sekundärmarkt tätig wird. Der Berliner Finanzwissenschaftler und Euro-Kläger Markus C. Kerber argumentiert dagegen, dass Sekundärmarktinterventionen der EZB nur erlaubt sind, wenn sie der Feinsteuerung der Geldpolitik dienen: "Die Rechtslage in diesem Punkt ist eindeutig: die Motive für Offenmarktoperationen müssen geldpolitischer Art sein.“

Draghi versucht dieses Argument dadurch zu entkräften, dass er mit OMT darauf abzielt, den Transmissionsmechanismus der Geldpolitik in Gang zu setzen. Der Leitzins ist jedoch schon lange nahe null und die beiden LTROs haben netto rund 800 Mrd. Euro in das europäische Bankensystem gespült, ohne dass sich dieser Mechanismus belebt hat. Draghis Einlassung ist da nichts weiter als eine Schutzbehauptung.

Die Geschichte der Eurozone ist reich an Vertragsverletzungen – die Wende der EZB dürfte eine der weitreichendsten sein.

Im Kern geht es beim OMT-Programm darum: Die EZB schafft Sicherheit für Investoren in PIIGS-Anleihen, gleichzeitig nimmt sie Reformdruck von diesen Ländern, da sie sich nun günstiger refinanzieren können. Die Bedingung für das Eingreifen der EZB, sich unter Brüsseler Rettungsschirme zu stellen, sorgt über die damit verbundenen Austeritäts-Zwänge für eine Verschärfung ihrer Schieflage und damit für eine Verlängerung einer Situation, in der diese Staaten am Tropf der EZB hängen. Gleichzeitig bedeutet das eine Verlängerung der Situation, in der die Banken mit PIIGS-Bonds gut (und sicher) verdienen.

Die EZB verspricht, die per OMT-Programm zusätzlich geschaffene Liquidität wieder zu kassieren (zu sterilisieren). Das soll dem Vernehmen nach so geschehen, dass die die EZB den Banken verzinsliche Termineinlagen anbietet, auf die diese Banken das frisch geschaffene Zentralbankgeld wieder einzahlen. Gleichzeitig können sich die Banken aber gegen qualitativ geringwertige Sicherheiten in beliebiger Höhe neues Zentralbankgeld von der EZB leihen. Die EZB verbreitet eine Sterilisierungslüge, sagt Kerber dazu (Quelle s.o.).

Die EZB bestimmt mit ihrem OMT-Programm nun die Fiskalpolitik der Eurozone und hat sich ganz offen auf die Seite der Finanzindustrie und die Seite der Mitgliedsländer geschlagen, mit deren Staatsanleihen sich gutes (und mit OMT auch sicheres) Geld verdienen lässt.

Das OMT-Programm begründet damit ein todsicheres Geschäftsmodell. Alles ist relativ – der Tod des Euro wird sich damit nicht verhindern lassen. Der unmittelbare Zusammenbruch ist aber erst einmal abgewendet.

Unter dem OMT-Programm sollen nur Anleihen von den Ländern gekauft werden, die sich unter einen Rettungsschirm stellen, der solche Anleihen auf dem Primärmarkt kauft. Die EFSF hat diese Berechtigung (korrigiert am 11.9.12), ebenso der (größere) ESM. Der ESM ist jedoch noch nicht existent. Über seine Rechtmäßigkeit nach der deutschen Verfassung entscheidet das Bundesverfassungsgericht am 12. September.

Dass Draghi in seinem OMT-Programm stillschweigend annimmt, dass es den ESM geben wird, kann man je nach Lust und Laune als Sicherheit über den Ausgang des Verfahrens, als Unverfrorenheit oder als Ausdruck von Allmachtsphantasien interpretieren. Möglicherweise soll die OMT-Entscheidung auch zusätzlichen Druck auf die Verfassungsrichter ausüben.

Genauso düpiert wie das BVG müsste sich auch der Europäische Gerichtshof fühlen. Bei ihm ist ebenfalls eine Klage gegen den ESM anhängig – von einem irischen Parlamentarier.

Dass das BVG den ESM komplett kippt, ist so oder so wenig wahrscheinlich. Nicht auszuschließen, dass sich die Verfassungsrichter einer Entscheidung auch ganz entziehen und die Klage an den europäischen Gerichtshof weiterleiten. Ob der wegen seiner Sympathie für das gegenwärtige, „freiheitliche“ Wirtschafts- und Finanzsystem bekannte Bundespräsident Gauck die ESM-Gesetzesvorlage dann mit seiner Unterschrift in Kraft setzen wird?

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