Und wieder Griechenland!

Jetzt geht das Gegacker in der Eurozone erst richtig los. In Griechenland unternahmen die Parteien heute den zweiten (vergeblichen) Versuch, eine neue Regierung zu bilden: Der Chef der zweitstärksten Partei lehnte eine Regierungsbildung ohne Neuverhandlung der Eurozonen-Bedingungen für die Hilfszahlungen ab.

Die Presse wird z.B. in Deutschland nicht müde, zu behaupten, die griechischen Wähler seien bei der Parlamentswahl am zurückliegenden Sonntag in Scharen zu radikalen Kräften übergelaufen, die den Sparkurs bekämpfen.

Dazu ist zu sagen: Wer will einem „normalen“ Griechen verdenken, wenn er mit der Politik der Eurozone und der seiner Regierung „unzufrieden“ ist und die Parteien abwählt, die ihm das eingebrockt haben. Außerdem ist nicht jede Kraft, die gegen die Bedingungen für die Hilfszahlen aus Brüssel sind, „radikal“, auch nicht in Griechenland. Und zuletzt und wichtigstens: Die Herren in Brüssel und ihre Lakaien sollten sich mal selbstkritisch fragen, wie es dazu kommen konnte, statt die Bürger in Griechenland zu verunglimpfen.

Der Präsident des europäischen Parlaments, Schulz, sagte: "Die Verträge sind einzuhalten. Ich glaube, dass diese Vereinbarungen nicht neu verhandelt werden können oder sollten". Er will nach Athen reisen und die Botschaft übermitteln, "dass es ein Trugschluss ist, dass die EU Griechenland knechten will" (haha!). Die CSU-Landesgruppenchefin Hasselfeldt verbindet weitere Hilfen und den Verbleib des Landes in der Eurozone mit der Einhaltung der Zusagen: "Es bleibt bei unserer Haltung, dass Hilfen nur gewährt werden können, wenn auch die Auflagen erfüllt sind.“ Auch der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Oppermann, fordert die Einhaltung aller Beschlüsse: „Das, was sich einige der jetzt in Griechenland Gewählten vorstellen, wird so nicht funktionieren (…) Die Europäische Union habe (…) die Vorraussetzungen dafür geschaffen, dass Griechenland saniert werden kann (…) Die Griechen müssen jetzt aus eigener Anstrengung ihre verbliebenen Schulden zurückzahlen und dafür sorgen, dass sie in einem reformierten Land endlich auch Wachstum erzeugen."

Da sind wir am entscheidenden Punkt. Im jüngsten Griechenlandbericht des IWF setzen sich die Verfasser mit dem theoretischen Überbau ihres Programms auseinander: Was EU und IWF in Griechenland umsetzen wollen, ist oft der Weg in den ökonomischen Kollaps, heißt es da.

Griechenland kann seine eigene Währung nicht abwerten und damit bessere Voraussetzungen für eine Sanierung schaffen. Also muss es intern abwerten. Historisch habe sich das als ein schwieriges Unterfangen mit nur wenigen Erfolgsbeispielen erwiesen, heißt es in dem Bericht. Im Laufe der letzten Jahrzehnte haben Hongkong (1997), Argentinien (1998), die Niederlande (1980er-Jahre), Lettland (2009) und aktuell Irland und Portugal eine interne Abwertung unternommen. Der Versuch in Argentinien (Bindung an den Dollar) endete in einem Fiasko, in den Niederlanden lief es mit einer längeren, milden Rezession glimpflich ab.

Die Schwierigkeit liegt darin, dass Löhne sich in einer freien Marktwirtschaft nur schwer drücken lassen. Daher reagieren Unternehmen eher mit Entlassungen auf einbrechendes Wachstum. Die Löhne bleiben hoch, die Produktionskosten ebenso, die interne Abwertung versagt. Hilfreich wären laut IWF eine niedrige Verschuldung, geringe Sozialausgaben, ein flexibler Arbeitsmarkt und breite politische Unterstützung. Außerdem wird noch eine hohe Inflation (mehr als 5%) in den Regionen genannt, mit denen das betreffende Land Handelsbeziehungen hat.

Man kann leicht sehen, dass im Falle Griechenlands praktisch keine dieser Erfolgsvoraussetzungen gegeben ist. Trotzdem heißt es von Seiten des IWF: Zum Gelingen des Programms ist eine strikte Implementierung der Reformvorgaben notwendig. Im Klartext: Das Programm wird nach aller historischen Erfahrung (und dem gesunden Menschenverstand) scheitern, aber es muss auf Biegen und Brechen umgesetzt werden.

Die Ansage an Griechenland ist damit auch von dieser Seite her klar: Egal wer die Regierung bildet, der Spielraum für Zugeständnisse und Modifikationen ist minimal. Die Lage wird undurchsichtig – die Politik hat die Börsen im Griff.

Ein kurzer Rückblick: Am 2. Mai 2010 beschlossen die Euro-Finanzminister das erste Hilfspaket für Griechenland im Umfang von 110 Mrd. Euro. Daraus hat das Land 73 Mrd. Euro bereits erhalten. Aus dem zweiten, im März beschlossenen Hilfspaket sind weitere 39,4 Mrd. Euro zugesagt, sein Umfang beträgt 130 Mrd. Euro. Insgesamt soll Griechenland bis 2014 144,7 Mrd. Euro geliehen werden. Hinzu kommen Kredite des IWF von 28 Mrd. Euro.

Was hat das Spardiktat aus Brüssel bis jetzt gebracht? Zwar haben Kürzungen und Steuererhöhungen das Defizit gesenkt. Es lag 2011 bei 9,3% des BIP nach 15,8% in 2009. Es ist aber immer noch zu hoch und liegt über den ursprünglichen Planungen. Also werden weitere Budgetkürzungen verlangt. Die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft konnte partiell verbessert werden. Die Lohnstückkosten sinken, die Exporte steigen, der Mindestlohn wurde deutlich gesenkt, geschlossene Berufsstände werden geöffnet. Aber das geht alles viel langsamer als mal gedacht. Vieles wird behindert durch Bürokratie, fehlende Kataster, Unfähigkeit, Unwillen, Korruption usw. Und so hat sich Griechenland im Ranking der Weltbank zur Unternehmer-Freundlichkeit gegenüber 2010 doch um einen ganzen Platz verbessert – von Rang 101 auf 100 bei 183 Ländern in der Liste.

Der Sparkurs hat die Arbeitslosigkeit auf 20% steigen lassen, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 50% (wie in Spanien), die Wirtschaft wurde in eine heftige Rezession gestürzt. Das wird auch 2012 so weitergehen, die Troika schätzt eine BIP-Kontraktion um 4,7%, die griechische Notenbank geht von minus 5% aus, andere Beobachter taxieren bis zu 7%. 2014 soll die Wirtschaft nach den Utopien der Troika um 2,5% wachsen, der Haushaltsüberschuss soll dann bei 4,5% liegen, dann soll auch der Schuldenstand sinken.

Die Citigroup sieht für 2013 ein weiteres Rezessionsjahr. Danach sieht auch die Bank wieder Wachstum, aber nicht so viel wie die Troika. Dementsprechend sieht die Citigroup auch den Schuldenstand nicht so rasch sinken, was bedeuten würde, dass Griechenland noch mehr Geld braucht. Darüber hinaus schätzt die Citigroup die Wahrscheinlichkeit für eine unkontrollierte Insolvenz des Landes nach den Wahlen vom Sonntag in den kommenden 12 bis 18 Monaten auf 50 bis 75%. Als Grund wird ein möglicher Zahlungsstopp angeführt, weil Kreditbedingungen nicht eingehalten werden.

Eine solche Staatspleite wäre für das europäische Bankensystem nach dem Schuldenschnitt vom März verkraftbar. Sein Restengagement liegt bei lediglich noch 20 Mrd. Euro. Das eigentliche Problem wird aber in der Gefahr von Ansteckungen gesehen – und hier fällt der Blick z.B. auf Spanien.

Die Befürchtung, dass neue Hilfsgelder für das Land zunächst eingefroren werden, sowie Szenarien wie der Austritt aus der Währungsunion oder eben die unkontrollierte Zahlungsunfähigkeit des Landes machen die Runde und sorgen heute für heftige Kontraktionen an den Finanzmärkten.

Der DAX verliert zum Handelsende weitere 1,9% und strebt auf den wichtigen Pegel bei ~6350 zu. Der S&P 500 hat den Bereich von ~1340 im Visier, für den Dow steht der Pegel bei ~12720 auf dem Programm. Interessanterweise wird der Euro gegen Dollar angelegentlich vor einem Absturz durch 1,30 bewahrt – bis jetzt. Der Dollar-Index steigt unterhalb des langfristig wichtigen Pegels bei 80,30 – „safe heaven“-Reflex. Das gilt auch für TBonds, die weiter gesucht sind. Nicht jedoch Gold – das „Sicherungsmetall“ bricht durch den wichtigen Pegel ~1620 und unter einem seit Herbst 2008 etablierten Aufwärtskanal.

Ist das Säbelrasseln der gackernden Politiker, das Bestehen auf strikter Einhaltung der Verträge durchzuhalten? Ich meine, nein. Zur Begründung siehe hier.

Zum Thema "Fiskalpakt ade" passt auch eine Wortmeldung des "Wirtschaftsweisen" Peter Bofinger. Er hat den Kurs der deutschen Regierung in der Euro-Schuldenkrise bei einer Expertenbefragung zum Rettungsschirm ESM und zum Fiskalpakt scharf kritisiert: "Insgesamt hat die Strategie der Bundesregierung, die Krise über einen maximalen Marktdruck und dadurch forcierte prozyklisch wirkende Sparprogramme zu lösen, völligen Schiffbruch erlitten. (…) Nicht zuletzt die dadurch entstandenen teilweise extrem hohen Arbeitslosenraten von jungen Menschen stellen eine große Gefahr für die politische Stabilität und zugleich für die Zustimmung der Bürger zur Europäischen Union dar."

Interessantes Timing: Der Bundestag stimmt am 25. Mai über Fiskalpakt und ESM ab. Beim Fiskalpakt ist Schwarz-Gelb auf die Opposition angewiesen, weil eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Die Linkspartei hat Verfassungsklage angekündigt, die Grünen plädieren für eine spätere Abstimmung. Der Termin ist allerdings mittlerweile fraglich, nicht etwa, weil SPD oder Grüne dazu in grundsätzlicher Opposition sind, sondern weil sie eine "Wachstumskomponente" eingebaut haben wollen.

Nachtrag:
(11.5.12) Wenn eine Regierungsbildung nicht bis 17. Mai gelingt, muss es Neuwahlen geben. Am 15. Mai werden vor zehn Jahren emittierte, variabel verzinsliche Floating-Rate-Notes im Volumen von 463 Mill. Euro fällig. Diese Anleihen unterliegen nicht griechischem, sondern ausländischem Recht. Der Schuldenschnitt, den die griechische Regierung mit den Gläubigern des privaten Sektors (PSI) im März vereinbart hat, kann nicht übertragen werden.
Möglicherweise schafft es Venizelos (Pasok) in letzter Minute mit Hilfe der demokratischen Linken (19 Parlamentssitze – kritisch zum Spardiktat, aber für den Verbleib in der Eurozone), eine Regierung mit den Konservativen zu bilden. Man befürchtet bei Neuwahlen, dass die Linken (zweitstärkste Kraft im Parlament) noch stärker werden.
Die EU hat zugesichert, dass die Griechenland-Hilfszahlungen bis zum Zustandekommen einer neuen Regierung ausgezahlt werden.

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