Von Griechenland zum Ermächtigungsgesetz

Griechenland verfehlt offenbar das Defizitziel. Grund sei nach Ansicht der Prüfer von IWF, EU und EZB eine schleppende Umsetzung des Sparkurses, so heißt es. Die gesamten Schulden Griechenlands belaufen sich auf 350 Mrd. Euro, das kumulierte Defizit für 2011 liegt jetzt bei 15,5 Mrd. Euro, das Ziel für das Gesamtjahr wurde mal auf 16,7 Mrd. Euro gesetzt.

Die Staatsausgaben steigen, die Einnahmen sinken. Die Staatsschulden seien „außer Kontrolle“, hat das griechische Parlament jetzt festgestellt. Europäische „Rettungsmilliarden“ verschwinden in der Tonne des Diogenes. Jean Quatremer hat in Griechenland Urlaub gemacht und ist tief desillusioniert zurückgekehrt. Er berichtet ansonsten aus Brüssel für die französische Zeitung „Liberation“ (siehe hier).

Der IWF rechnet bei europäischen Banken offenbar mit einer Kapitallücke von bis zu 200 Mrd. Euro. Die Analyse wird in seinem regelmäßig erscheinenden Finanzstabilitätsbericht vor den Herbsttreffen von IWF und Weltbank Ende September veröffentlicht. Es wurde untersucht, welche Auswirkungen eine Neubewertung von Staatsanleihen hätte. Bei solchen mit Höchstrating muss kein Eigenkapital vorgehalten werden. Bei einer Abstufung entsteht hingegen Kapitalbedarf. Die droht jetzt auch Frankreich. Zudem hat der kürzlich erfolgte Bankenstresstest der EU bei 90 europäischen Banken ergeben, dass sie innerhalb der nächsten 24 Monate 5,4 Bill. Euro refinanzieren müssen.

Gut möglich, dass es noch vor einer „offiziellen“ Staatspleite eine Krise von Banken und Versicherungen gibt.

Was ziehen die Staats- und Regierungschefs in Europa als Schluss aus dem Scheitern in Griechenland? Sie verdoppeln den Euro-Krisenfonds, gackern über verschärfte Haushaltsregeln und Sanktionen, gleichzeitig laden Banken und andere „Private“ immer mehr schlechte Schulden ab, bei der EZB oder anderen Institutionen der öffentlichen Hand. Die EZB wird zur EBB (Europäische Bad Bank).

Eurobonds sind die Lösung, sagen die einen. Die anderen sagen, damit ist die Pleite der gesamten Eurozone sicher.

Die Befürworter von Eurobonds stellen heraus, dass dadurch der Anleihemarkt in Europa für große Investoren, etwa aus den USA oder aus China oder aus Nahost interessant wird. Und es wäre keineswegs sicher, dass am Ende wegen der erhöhten Nachfrage die Zinsen über dem aktuellen Niveau für deutsche Staatsanleihen liegen, sagen sie. Vor allem mahnen sie, die Eurobonds müssten schnell kommen, damit zur Verschuldungskrise nicht auch noch eine Rezession kommt, wenn die Banken die Realwirtschaft nicht mehr ausreichend finanzieren. Dem Argument, Eurobonds seien eine Einladung an die bisherigen Schuldensünder mit ihren laschen Haushaltspolitik weiter zu machen, halten sie entgegen, dass man dann eben strenge Auflagen für die Sanierung der Staatsfinanzen festschreiben muss.

Die Gegner von Eurobonds bezweifeln genau das. Sie argumentieren, in den Maastrichter Verträgen und Zusatzabkommen wären bereits ausreichend harte Regeln vorgesehen gewesen (Merke: In den Maastrichter Verträgen ist z.B. „No Bailout“ verankert). Gegen die wurde aber angelegentlich verstoßen, ohne dass Konsequenzen zogen. Nur wenn zumindest die „sündigen“ Mitglieder der Eurozone ihre Finanzhoheit verlören, könnten Eurobonds überhaupt in Betracht kommen. Dazu ist der politische Wille bisher nicht vorhanden, abgesehen davon stehen dem nationale Verfassungen entgegen. Die Gegner von Eurobonds sagen daher, dass es das Disziplinierungsmittel der Zinsunterschiede weiter geben muss.

Nun, das Disziplinierungsmittel, dass die Verzinsung von Schulden zweifelsohne darstellt, ist mit der Salami-Rettung in der Eurozone längst ad absurdum geführt. Das beste Beispiel ist Griechenland – siehe oben. Zunächst haben die Banken gut verdient an den hohen Renditen der notleidenden Staaten. Dann wurden die Staaten gerettet und jetzt die Banken, die die Schrott-Bonds der öffentlichen Hand hinkippen.

Zweifellos wäre ein einheitlicher europäischer Bond-Markt für große Investoren interessant und es kann durchaus sein, dass für ein bis zwei Jahre ein Hype entstünde. Dann sonnen sich die Brüsseler Politbürokraten in ihrem vermeintlichen Sanierungserfolg, aber genau diese Sanierung findet weiterhin nicht statt. Schließlich kommt das böse Erwachen und die Lage wird noch katastrophaler als jetzt. Dann nämlich gibt es keine Retter mehr, die in irgendwelche Rettungsfonds einzahlen könnten.

Es ist richtig: Durch unangemessene Sparmaßnahmen kann man eine Sanierung auch abwürgen – die Gefahr ist groß, dass eine Krise der Staatsverschuldung in eine Rezession oder Depression mündet. Aber diese Gefahr würde mit der Einführung von Eurobonds nur aufgeschoben und bräche später mit noch mehr Wucht wieder auf. Man kaufte sich Zeit, aber so wie die politischen Kräfte gestrickt sind, wird sie nicht genutzt. „Sanierung“ heißt ja nicht (nur) Sparen, sondern vor allem die Verhältnisse positiv zu verändern – siehe unten.

Der richtige Weg führt meiner Meinung nach über einen Haircut bei den Anleihegläubigern. Genau den will die EZB aber verhindern und auch deshalb nimmt sie fleißig notleidende Bonds herein. Denn im Falle eines Haircuts wären ihre Eigentümer mit dabei, Deutschland mit gut einem Viertel. Je mehr Müll die EZB anhäuft, je geringer die Neigung der Eigentümer zu einem Haircut.

Die lateinamerikanische Schuldenkrise konnte auch erst dann gelöst werden, als man sich auf die sogenannten Brady-Bonds verständigt hatte, die einen Forderungsverzicht beinhalteten.

Die strauchelnden Staaten direkt zu stützen – die hierzu erforderlichen Mittel (via irgendwelcher Rettungsfonds und auch Eurobonds) sind schlecht angelegt (siehe Griechenland!). Stattdessen wäre es sinnvoller und transparenter, Banken, die durch einen Haircut ins Trudeln kommen, durch staatliche Beteiligung zu stützen, zu kontrollieren und das Bankenwesen insgesamt neu zu ordnen. Das schafft zugleich die Möglichkeit, sich wieder aus der „Hijacking“-Situation zu befreien, in der die Politik (selbst verschuldet) spätestens seit dem Herbst 2008 gefangen ist.

Der Weg aus der gegenwärtigen Krise führt nur über die Realwirtschaft. Hier müssen durch zahlreiche strukturelle Maßnahmen die Voraussetzungen für gesundes Wachstum geschaffen werden. Eine stärkere staatliche Einflussnahme auf den Bankensektor muss auch dazu führen, dass die in Zusammenhang mit der Eurozonen-Krise immer wieder beschworene Gefahr einer Kreditklemme bekämpft wird. Ein solches Wachstum ist meiner Meinung nach die einzige Möglichkeit, die Schuldenkrise nachhaltig zu überwinden.

Ist das eine realistische Perspektive? Hm.

Zum Thema „Finanzhoheit“ wäre noch anzumerken, dass diese mit den immer größer werdenden Euro-Rettungstöpfen ohnehin (schleichend) verloren geht. Einmal von den Länderparlamenten genehmigt, geht die Kontrolle über diese gewaltigen Mittel an Brüssel über. Die Parlamente geben einen großen Teil Ihres Gestaltungsspielraums weg. Das ist dann wieder so eine Art Ermächtigungsgesetz, von denen es in der deutschen Geschichte zwischen 1914 und 1933 einige gab. Sie widersprachen zwar der Weimarer Verfassung, aber es kümmerte keinen. Die Geschichte wiederholt sich.

Die „Märkte“ wollen Eurobonds – und sie werden sie wohl bekommen. Spätestens dann, wenn der EFSF-Rettungsfonds leer ist.

Das Artikelbild zeigt das Reichstagsgebäude um 1910 (Quelle)

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