Inflation als Konjunkturstütze – kommt neues QE-Programm?

Jetzt sind die neuen Inflationsdaten für die USA heraus: Nachdem PPI und CPI im Juni im Monatsvergleich geschrumpft sind, stiegen sie im Juli stärker als erwartet. Beim CPI beschleunigt sich der Aufwärtstrend leicht.

Angesichts der nach unten revidierten Wachstumsaussichten der Fed und ihrem trüben Bild der US-Konjunktur (Blog: Fed: Nullzins bis St. Nimmerlein) werden die Inflationsdaten der Diskussion neuen Auftrieb geben, ob ein Inflationsschub die Wirtschaft der USA und der anderen industrialisierten Länder revitalisieren kann. Das verflossene QE2 hatte ja genau dieses erklärte Ziel.

Kapital für Investitionen als Grundlage für neues Wachstum ist genug vorhanden, aber das sucht, scheinbar schizophrenerweise, mit der Abstufung der US-Bonität erst recht Zuflucht in den nun schlechter bewerteten US-Staatsanleihen. Die Folge ist, dass die zehnjährigen Renditen im Bereich der Allzeittiefs aus Herbst 2008 notieren.

Die Erholungsphasen nach Finanzkrisen, die auf das Platzen von Schuldenblasen zurückgehen, sind typischerweise langwierig, weil sie sich üblichen makroökonomischen Anreizen widersetzen. Denn überschuldete Konsumenten können nicht freudig erregt konsumieren, Schulden-beladene Banken können (oder wollen) nichts verleihen, hoch verschuldete Regierungen können nicht stimulieren.

Eine höhere Inflation könnte da doch helfen, heißt es – die gängigen Argumente sind: Anleihegläubiger, die sich schon zuvor mit mageren Zinsen zufrieden gegeben haben, würden überrumpelt und mit ihrem Kapital in andere Anlageformen getrieben. Der reale Wert der Schulden würde reduziert. Der Schuldenüberhang würde abgebaut. Das alles würde die Wirtschaft ankurbeln.

Japans Zentralbank hat in den 1990er Jahren versucht, die Inflation anzuschieben. Und ist gescheitert. Die Banken blieben lieber auf den Reserven sitzen, als die Zentralbank ihnen ihre Staatsanleihen abkaufte, statt neue Kredite zu vergeben. Das erinnert irgendwie an QE2 der Fed…

Um das Ziel einer realen Entwertung von Schulden zu erreichen, muss die Preissteigerung schnell erfolgen und signifikant sein. Wenn sich die Inflation nämlich zu langsam entwickelt, haben die Kreditgeber Zeit, die Nominalzinsen anzupassen und sie mit dem Argument eines Risikoaufschlags sogar überproportional zur Inflationsrate zu steigern.

Auch die Bond-Halter würden durch eine lediglich „gemütliche“ Inflation nicht wirklich verschreckt. Also müsste die Zentralbank ein hohes Inflationsziel ausgeben (und unbeirrt beibehalten), sowie gleichzeitig ein Bond-Kaufprogramm auflegen mit einer nicht limitierten (und nicht bekannten) Größe, zitiert Eurointelligence aus einem Artikel in der FT.

Selbst dann bleiben Zweifel: Bei Kreditverträgen mit Preisgleitklauseln wirkt der Inflationseffekt prinzipiell nicht. Viele US-Konsumenten schlossen solche Verträge gerade auf dem Höhepunkt des Immobilienbooms ab. Naturgemäß ist die Wirkung auf kurzlaufende Kredite ebenfalls gering. Auch die US-Regierung profitiert bei durchschnittlichen Verschuldungs-Laufzeiten von vier Jahren nur dann, wenn der Inflationsschub wirklich stark ist. Wobei sich die Masse ihrer Verpflichtungen auf Sozialversicherung und Gesundheitswesen erstreckt – das lässt sich kaum weginflationieren.

Verbraucher mit lang laufenden Kreditverträgen profitieren zwar von der real sinkenden Schuldenlast. Aber durch die Hintertür kommen über steigende Kosten für Nahrung und Energie zusätzliche Belastungen hinzu, wobei die nominalen Lohnsteigerungen wegen hoher Arbeitslosigkeit gering ausfallen. Damit sinkt das reale verfügbare Einkommen. Zudem belastet erhöhte Inflation private Bond-Halter, reiche oder nicht so reiche Individuen, die aus Aktien gedrängt wurden, aber auch Banken, die rekapitalisiert werden müssen, staatliche Pensionskassen, die schon tief unter Wasser stehen, sowie einige Versicherer.

Fassen wir zusammen: Eine unerwartet starke Inflation bewirkt zwar eine reale Entwertung der Schulden, aber der Effekt ist für die heutige USA möglicherweise geringer als gemeinhin erwartet und die Seiteneffekte sind gefährlich.

Im besten Fall wären hauptsächlich Ausländer vom Realwertverfall von Anleihen betroffen. Aber die werden noch gebraucht, um künftige Defizite zu finanzieren. Da benötigte es schon viel Überzeugungskraft, sie bei der Stange zu halten. Das spielt im Falle der USA eine nicht unwesentliche Rolle: US-Schulden werden in großem Umfang von ausländischen Regierungen gehalten.

Die Fed hatte zur Begründung von QE2 auch den Wohlstandseffekt steigender Aktienkurse angeführt. Wenn es ihn gab, so ist er mittlerweile Makulatur, Die Aktienkurse (S&P 500) stehen wieder auf dem Stand von Anfang November 2010, als QE2 startete. Interessanterweise lag das Paniktief von vergangener Woche auf dem Stand von Mitte September 2010, als die Fed erstmals öffentlich von so etwas wie QE2 sprach.

Eines stimmt wohl: Steigende Preise stützen Aktienkurse. Das gilt zumindest zu Beginn eines Preisauftriebs und nur so lange, so lange die Inflation unter Jahresraten von rund fünf % bleibt. Die Vermutung liegt nahe, dass Anleger, die steigende Preise, bzw. die Entwertung von Geldvermögen erwarten, Käufe von Sachanlagen forcieren. Geläufiges Beispiel ist die Absicherung durch Immobilienbesitz. Aktien sind ebenfalls Sachanlagen.

Allerdings wachsen auch hier die Bäume nicht in den Himmel – irgendwann kommt das Erwachen aus der „Inflations-Illusion“ (Im Blog: Inflation – Sein oder Schein?). Ich denke, genau das war (auch) ein Anlass für den rasanten Abverkauf von Aktien zuletzt. Die Unternehmensberichte für das zurückliegende Quartal offerierten nicht mehr genügend Phantasie, um auf solide (reale) Gewinn- und Umsatzsteigerungen zu wetten.

Es ist überhaupt die Frage, ob die „Märkte“ den sich jahrzehntelang als Bewahrer von „Preisstabilität“ (plus rund 2 % p.a.) aufspielenden Zentralbanken zutrauen, in einem Kontext niedriger Zinsen schnell steigende Preise zu erzeugen. Selbst wenn das gelingt – trauen die „Märkte“ den Zentralbanken dann auch zu, die Zinsen hoch zu schrauben, um die Inflation nach erreichtem Ziel wieder abzuwürgen? Wohl wissend, dass damit zugleich das Wachstum erdrosselt wird.

Falls die „Märkte“ dies nicht glauben, ist das ganze Spiel „für die Katz“. Und ein Beleg dafür, dass sie zweifeln, ist der rasante Anstieg der Bond-Kurse zuletzt. Die Bond-Märkte spielen zurzeit nämlich alles andere als Inflation und Wachstum.

Neben aller Psychologie ist viel wichtiger: Können die Zentralbanken überhaupt praktisch nach Belieben Inflation erzeugen? In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder behauptet, „quantitative easing“ würde praktisch automatisch zu Inflation führen. So einfach ist das allerdings nicht. Es kommt nämlich darauf an, was mit der durch Bond-Käufe steigenden Geldmenge geschieht. Bleibt sie im Finanzsektor, verschwindet sie entweder in schwarzen Kredit-Löchern oder sie sorgt für die Inflationierung der Assets in diesem Bereich. Das haben wir mit QE2 gesehen: Aktien stiegen, Rohstoffe stiegen, teilweise sogar TBonds.

Der Effekt auf die Preise im Realsektor war hingegen relativ gering. Der PPI steigt zwar aktuell im Jahresvergleich mit sieben % deutlich, bedingt durch die steigenden Rohstoff-„Assets“, der CPI läuft mit knapp der Hälfte hinterher. Damit die Preise im Realsektor deutlicher steigen, ist eine Ausweitung der Kredittätigkeit der Banken erforderlich, durch die die Geldmenge hier steigt. Damit liegt der „Joker“ hier bei Banken, Unternehmern und Verbrauchern, nicht bei der Fed. Gleichzeitig darf aber auch die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nicht weiter absacken, sonst werden der Effekt der steigenden Geldmenge konterkariert. Die Umlaufgeschwindigkeit ist aber eine direkte Funktion der wirtschaftlichen Aktivitäten. Das schlägt die Brücke zu Produktionstätigkeit, Arbeitsmarkt, verfügbarem Einkommen und Konsumausgaben.

Jedes Mal, wenn die USA in den zurückliegenden 100 Jahren eine Schuldenkrise durchlief, war die Antwort gleich. Die Liquiditätsschleusen werden aufgemacht, Bilanzierungsvorschriften zur Vermeidung von Bankrotten werden gelockert, Schulden werden vom privaten in den öffentlichen Sektor verschoben usw. Die strukturellen Probleme, die erst zu Schuldenblasen und dann zu ihrem Platzen führen, werden damit nicht angegangen – im Gegenteil.

Es steht zu befürchten, dass die Fed aus ihrer eigenen, fast 100jährigen Geschichte ebenso wenig lernt wie aus dem Beispiel der japanischen 1990er Jahre. Und so ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie eines Tages ein neues QE-Programm aus dem Hut zieht, obwohl QE2 keine wesentlichen Impulse für die Realwirtschaft gebracht hat. Dabei dürfte das absolute worst-case-Szenario aus Sicht der Fed darin bestehen, dass die 10-jährigen Zinsen im Rahmen eines nachhaltigen Abverkaufs von TBonds über rund 3,2 % hinaus steigen und die Wirtschaft gleichzeitig keine Erholungszeichen zeigt.

Ob die Bondhalter beim nächsten QE-Programm stärker an die Inflations-Allmacht der Fed glauben, ist zweifelhaft. Die Aktionäre folgen einem solchen Programm wahrscheinlich wieder gerne, Rohstoff-Investoren ebenso, vielleicht auch Gold-Investoren. Dann kommt es zu steigenden Aktien- und Rohstoffpreisen und der erneut aufgehenden Schere zwischen Realwirtschaft und Kursen – bis zum nächsten Einbruch an den Finanzmärkten.

Um die strukturellen Probleme anzugehen, ist eher eine lange Serie von mikroökonomischen Reformen erforderlich, schreibt Raghuram Rajan, Finanzprofessor von der Universität Chicago, im oben verlinkten FT-Artikel zu recht.

Eine makroökonomische Reform gehört jedoch auch zu dem wünschenswerten Reformpaket: Das mittlerweile erreichte katastrophale Missverhältnis zwischen Finanzsektor und produktiven Wirtschaftszweigen muss korrigiert werden. Eine Gesellschaft lebt nicht von Derivaten, Krediten, Geld und Gold, schon gar nicht von deren Buchwerten.

Im Realitätscheck US-Wirtschaft August 2011/ untersuchen wir, wo die US-Wirtschaft aktuell steht.

Das Artikelbild zeigt eine "Reichsbanknote 5 Milliarden Mark" (von http://de.wikipedia.org/wiki/Inflation)

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