Dreist

Die deutsche Regierungskoalition ist offenbar der Meinung, der deutsche Steuerzahler sei mittlerweile vollkommen verblödet. Da wird rechtzeitig vor der parlamentarischen Sommerpause ein Steuersenkungsvorschlag verkündet, der ohne jede Substanz ist. Da wolle man dann im Herbst noch Details nachreichen, heißt es. Wenigstens eines ist klar: Die Steuersenkung soll es 2013 geben, wann auch sonst. Schließlich wird dann ein neuer Bundestag gewählt.

Natürlich, man kann an Stelle von Merkel, Seehofer und Rösler schon den Eindruck bekommen, dem Steuerzahler könne man alles erzählen, er fresse das ohne Murren. Schließlich haben sie die Erfahrung gemacht, dass die Bankenrettung nach der Finanzkrise 2008, die erste Rettung Griechenlands, die (erste) Rettung Irlands, die (erste) Rettung Portugals und die zweite Rettung Griechenlands mehr oder weniger ohne Proteste über die Bühne gingen.

Zwar erzählt man mittlerweile nicht mehr ganz so laut, dass das alles ja nur Kredite seien, die den Steuerzahler letzten Endes nichts kosteten. Aber diesem scheint das vor seiner Haustüre liegende Problem immer noch wichtiger (siehe z.B. „Stuttgart 21“) als das zugegeben nicht ganz so offensichtliche, dafür aber umso gravierendere (weil künftig direkt ins eigene Portemonnaie greifende) staatliche Verschuldungsproblem in der Eurozone.

Auf eine andere Art dreist ist der aus Frankreich stammende Vorschlag insgesamt anzusehen, der eine Beteiligung privater Gläubiger an der Rettung Griechenlands vorsieht (siehe:Brady für Griechenland?).

Dem schließen sich deutsche Banken an. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Michael Kemmer, verkündet: „Mit ihrem Beitrag von 3,2 Mrd. Euro beteiligt sich die deutsche Finanzwirtschaft zu 100 % ihrer bis 2014 fälligen Investments an der Lösung der Griechenland-Krise.“

Die FAS vom 3. Juli 2011 rechnet vor: Erstens ist in der genannten Summe auch der Anteil der mittlerweile in Bundeshand befindlichen Pleitebanken (wie z.B. die HRE) in Höhe von 1,2 Mrd. Euro enthalten. Zweitens sind es nicht 100 %, sondern nur 70 %, die der französische Vorschlag vorsieht. Macht also nur noch 1,4 Mrd. Euro. Drittens müssen die Griechen als Sicherheit 30 % der beim Roll-over hereinkommenden Mittel in eine Finanzierungsgesellschaft stecken, die davon sehr sichere Anleihen kauft. Damit fließt Griechenland nur noch knapp eine Milliarde von den deutschen Banken wieder zu, also die Hälfte der bis 2014 auslaufenden bisherigen Griechen-Bonds.

Die Banken (und Versicherungen) standen vor der Alternative, bei einer Pleite Griechenlands mindestens die Hälfte ihres Investments in den Wind zu schreiben (die CDS-Entwicklung implizierte bei den auslaufenden Anleihen zuletzt einen Haircut von 60 %). Jetzt tauschen Sie zwei marode kurz laufende Griechen-Bonds in einen lang laufenden. Die neuen, 30-jährigen Anleihen werden zudem höher verzinst, nämlich zu 5,5 bis 8 %, je nachdem wie das griechische BIP wächst. Analysten haben ausgerechnet, dass der Gegenwartswert der Anleihen nach französischem Modell je nach Zinssatz auf 74,6 bis 85 % kommt. Damit liegt die Beteiligung der deutschen Banken am Rettungspaket im Höchstfall bei 350 Millionen Euro (~25 % von 1,4 Mrd. Euro).

Die FAS zitiert den finanzpolitischen Sprecher der Grünen, Gerhard Schick, zu dem Getrommel, was u.a. auch Schäuble zur freiwilligen Beteiligung privater Gläubiger an der Griechenland-Rettung betreibt: „Der Finanzminister möchte die Steuerzahler beruhigen und bläst darum die Sache enorm auf. Das ist wie bei der HRE. Damals hat man herausposaunt, wie toll sich die Banken an deren Rettung beteiligen. Dabei haben die am Ende sogar Geld verdient.“

Damit sind wir da angekommen, wo wir 2008 begonnen haben: An der permanenten Bankenrettung. Barry Ritholtz, Herausgeber des „Big Picture“-Blogs, schreibt in einem Kommentar, es sei völlig klar, dass nicht Griechenland gerettet werden soll, sondern Banken und andere Geldgeber (wie Versicherungen). Ritholtz sieht die Schuld nicht in erster Linie jedenfalls bei den Politikern in Griechenland und anderswo, sondern bei den geldgebenden Banken selbst. Diese hätten inkompetent und fahrlässig Kredite an einen erkennbar miserablen Schuldner vergeben, also müssten sie auch die Konsequenzen tragen und nicht der Steuerzahler. So aber werden ein weiteres Mal Gewinne privatisiert, Verluste sozialisiert.

Die NZZ schreibt auf ihrer Internet-Seite, es sollte in der allgemeinen Erleichterung über die Lösung in der Griechenland-Krise nicht übersehen werden, wie skeptisch und gar zynisch Kommentatoren und Teilnehmer an den internationalen Finanzmärkten reagiert haben. Sie berichtet u.a. von einer Kurzanalyse der US-Bank JP Morgan, die zu dem Schluss kommt, dass auch die jüngste Entwicklung auf der Fiktion basiert, „Griechenland könne dereinst seine Schulden zu Par zurückzahlen. Gleichzeitig werde die zerfallende wirtschaftliche und soziale Lage des Landes zu wenig berücksichtigt. Die Bemühungen seien vor allem auf einen weiteren Transfer von Geldern europäischer Steuerzahler und des IMF an Banken und auf einen Zeitgewinn ausgerichtet. Im Rückgriff auf das Modell der schweizerisch-amerikanischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross über die fünf Phasen des Sterbens (Verneinung, Zorn, Verhandeln, Depression und Akzeptanz) meint die Bank, dass der neue Bail-out nichts anderes sei, als ein Rückfall in die Verhandlungsphase und man sich wieder weiter von der Akzeptanz des Unvermeidlichen – der Unmöglichkeit einer vollen Rückzahlung der Schulden – entfernt habe.“

Andere Beobachter argumentieren, eine Staatspleite Griechenlands wäre ohne Zweifel eine schmerzhafte Angelegenheit. Aber dabei würden die schwächsten Glieder der Kreditkette deutlich. Regierungen könnten dann taumelnden Instituten direkt und gezielt helfen, andere, die besser gewirtschaftet hätten, könnten gestärkt aus einer solchen Situation hervorgehen. Die eigentliche Ansteckungsgefahr liege zudem nicht, wie so oft betont, von Land zu Land, sondern aufgrund der engen Vernetzung in der Finanzindustrie zwischen den einzelnen Instituten.

Ich empfinde es als mindestens ebenso dreist wie das allzu durchsichtige Steuersenkungs-Manöver, dem Steuerzahler die Hilfepakete wie jetzt im Griechenlands als Rettung eines Eurozonen-Landes zu verkaufen und nicht als das, was es letztlich ist.

Davon abgesehen: Eurointelligence bezweifelt zurecht, dass Griechenland die Zinsen für die neuen 30yr-Bonds Zinsen zwischen 5,5 und 8 % langfristig überhaupt zahlen kann, selbst wenn die Wirtschaft nächstes Jahr wieder wächst. Damit steht das nächste „Pleitezittern“ vor der Tür.

Übrigens: Morgen werden das erste griechische Rettungspaket und das ESM-Vorhaben vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelt.

Quelle: Barrons: How to Fix Greece

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