S&P 500 – Bullen mit Kater?

Die globalen Finanzmärkte zeigen weitere Anzeichen von Entspannung. Mit einem Zinsschritt von lediglich noch 0,25% auf einen mittleren Wert des Leitzinses von 4,625% signalisiert die Fed, dass die Inflation weiter an Dynamik verliert. Dann aber kam die Überraschung: Der US-Arbeitsmarkt zeigte sich im Januar mit 517.000 neuen Arbeitsplätzen extrem robust, erwartet wurden 185.000. Die Arbeitslosenquote sinkt auf 3,4%, so tief wie seit mehr als 53 Jahren nicht.

Die Entwicklung des Arbeitsmarktes legt nahe, dass die Nachfrage sich nicht so bald so sehr abschwächen wird, dass die Fed ihren „Kampf gegen die Inflation“ in Kürze für beendet erklären dürfte. Darauf deutet auch der Sub-Index für Preise des ISM hin: Er ist im Januar um 5,1 auf 44,5 gestiegen – eine starke Aufwärtsdynamik, wenn auch noch im Kontraktionsbereich.

Die Aktienmärkte brauchten einige Zeit, bis sie nach der Veröffentlichung des US-Arbeitsmarktberichtes am zurückliegenden Freitag einknickten. Auf Wochensicht hat der Dow 0,2% eingebüßt, der S&P 500 ist um 1,6% angestiegen, der NDX schafft +3,3% und zeigt damit wie seit einigen Wochen relative Stärke. Der DAX steigt um 2,2%. Euro/Dollar verliert 0,7%, der Dollar-Index steigt um 1,1%. Die Rendite der 10yr-TNotes legt um 0,3% auf 3,524% zu, die der 2yr-TNotes gewinnt 2,5% auf 4,303. Nach Marktdaten ergibt sich damit im Vergleich zur effektiven Fed Funds Rate von 4,58% eine leicht kontraktiv wirkende Einschätzung des Leitzinsniveaus.

Der Finanzmarkt-Veteran Jeremy Graham sieht die „Super-Blase“ nun kleiner als noch vor einem Jahr. Damit sind auch die Risiken geringer geworden. Aber die Komplexität hat so zugenommen, wie er das wohl noch nicht erlebt hat. Demzufolge ist die Negativ-Liste lang, die Unsicherheit groß. Schnell könnte ein kleiner Anlass zu einer unerwartet negativen Entwicklung führen.

Graham sieht eine Wahrscheinlichkeit von drei zu eins, dass der S&P 500 zum Jahresende bei etwa 3200 steht. In diesem Bereich verläuft dann der „Trendline-value des S&P 500“. Das Konzept geht von der Vorstellung aus, dass die Kurse stets um eine, diese, Mitte oszillieren. Der Wert berechnet sich auf Basis eines exponentiellen Trends des um die CPI-Inflation korrigierten Index-Wertes (Historie seit 1953). Auf Basis der Daten vom 27.1.23 liegt er 34%, bzw. 0,9 Standardabweichungen über dem Trend (ca. 2900 – Daten vom 27.1.23). Das gilt (noch) als faire Bewertung. Die obere Grenze des fairen Wertes liegt nach diesem Modell aktuell bei etwa 4000. Da der S&P 500 mittlerweile höher steht, liegt momentan demnach eine leichte Überbewertung vor.

Die weiteren Bewertungsmodelle nach Buffett-Indikator und Zinsniveaus sehen den S&P 500 ebenfalls fair bewertet, nach Zinsstruktur liegt eine starke, nach KGV eine leichte Überbewertung vor. Nach Margin-Kredit gilt der S&P 500 als unterbewertet (Sehen Sie hier!).

Zu den nach Graham momentan bullischen Einflüssen auf Aktien gehören der sehr starke Arbeitsmarkt, die abebbende Inflation, sowie die Wachstumsimpulse, die von der Covid-Öffnung in der VR China ausgehen. Zudem wirkt die enorme Akkumulation von Cash aus den staatlichen Covid-19-Anreizprogrammen bullisch. Etwas weniger als die Hälfte des Spitzenwerts aus Herbst 2021 in Höhe von zwei bis drei Bill. Dollar dürften noch übrig sein. Beobachter rechnen damit, dass dieses Nachfragepolster zur Jahresmitte verbraucht sein wird.

Graham stellt weiter fest, dass viele Anleger die Aussicht auf das Auslaufen der Serie von Leitzinssteigerungen kaufen. Aber er warnt, die Märkte sind in 1929, 2000 und in 2007 nach den ersten Zinssenkungen eingebrochen. Das Gleiche hätte 1974 passieren können, wenn die Inflation damals nicht so stark angestiegen wäre. Außerdem erreichen die Märkte ihren Tiefpunkt in der Regel erst sieben bis acht Monate nach Beginn einer Rezession. Die ist offiziell noch nicht eingetreten. Und ob es wieder so kommt? In merkwürdigen Zeiten könnte es eine merkwürdige Rezession geben.

John Hussman warnt: „Wir beobachten nach wie vor Bewertungen, die nur durch ein Jahrzehnt rücksichtsloser Nullzinspolitik entstanden sind, doch die Nullzinspolitik gibt es nicht mehr." Stan Druckenmiller stößt in dasselbe Horn: „Nicht die Erträge bewegen den Markt, sondern das Federal Reserve Board… konzentrieren Sie sich auf die Zentralbanken und auf die Bewegung der Liquidität… die meisten Marktteilnehmer achten auf Erträge und konventionelle Maßnahmen. Es ist die Liquidität, die die Märkte bewegt."

Wie steht es mit der Liquidität? Ned Davis Research misst mit einem zusammengesetzten Modell die Finanz- und Geldpolitik der USA. Im folgenden Diagramm stellt der obere Chart den Dow dar, der mittlere den realen geld-, fiskal- und wechselkurspolitischen Index (NDR) und der untere die Veränderung des Politikindexes über die zurückliegenden 12 Monate.

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Der NDR (Erklärung im Chart) ist ein zusammengesetztes Maß für die derzeitige Fiskalpolitik (Steuern und Staatsausgaben), die Geldpolitik (Geldmengenwachstum) und die Wechselkurse (US-Dollar). Alle drei Parameter spielen eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung des Wirtschaftswachstums. Die Ergebnisse in der Box in der unteren rechten Ecke des Diagramms zeigen, dass der Markt deutliche Gewinne verzeichnet, wenn der Politikindex nach oben dreht und deutlich höher steht als 12 Monate zuvor – und umgekehrt.

Die Veränderungen in den Bilanzen der zehn größten Zentralbanken der Welt in den letzten zwei Monaten zeigt, dass per Saldo etwa 653 Mrd. Dollar an neuer Liquidität generiert wurden. Die größten Einzelposten sind: Die Bank of Japan mit einem Plus von 631 Mrd. Dollar, die Peoples Bank of China hat 581 Mrd. Dollar zugeführt. Die EZB und die Fed jeweils mit einem Minus von etwa 430 Mrd. Dollar, bzw. von etwa 151 Mrd. Dollar. Die Schweizerische Nationalbank hat 54,5 Mrd. Dollar zugeführt. Ein Teil dieser Liquiditätsspritzen ist mit Sicherheit in Aktien geflossen, z.B. in chinesische. Und vermutlich ist auch einiges von der Liquiditätsflut in Japan per Carry-Trade-Kredite in das US-amerikanische und in das europäische Ausland, und hier auch in Aktien, gegangen.

Nimmt man die Aussagen von Ned Davis Research und die Liquiditätsaktivitäten der Zentralbanken zusammen, dann wäre die Botschaft für Aktien, dass in den nächsten paar Monaten mit einer Seitwärts-, bis Aufwärtsbewegung zu rechnen wäre. Nimmt man die überdurchschnittliche Bewertung von Aktien nach den unterschiedlichen Modellen hinzu, auch die KGV-Bewertung nach Shiller-CAPE bei 30, dann ergibt sich folgendes Bild – der rote Pfeil zeigt, wo wir aktuell sind:

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Demnach dürfte es schwer sein, eventuell kurzfristig mögliche Kursgewinne bei Aktien länger als etwa bis zur Jahresmitte zu halten. Das wäre aus meiner Sicht auch der Zeitbereich, wo mit dem Einsetzen einer Rezession in den USA zu rechnen wäre. Die Makroindikatoren zeigen schon klaren Temnpoverlust und dann dürfte auch das Cashpolster der Konsumenten aus den Covid-Anreizprogrammen aufgebraucht sein (s.o.!)

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Der S&P 500 hat am zurückliegenden Freitag auf 4136 geschlossen, und damit exakt da, wo er in den Tag gestartet war. Intraday kam er bis 4182 hoch, bevor den Bullen die Puste ausging. Der Tagesschluss ist ein Stück weit unter dem wichtigen Pegel 4160. Auf Basis der einfachen gleitenden Mittelwerte (SMA) über 50 und 200 Tage versuchte sich der Index zudem an einem „Golden Cross“. Aus meiner Sicht sind die exponentiellen Mittelwerte (EMA) aber von größerer Bedeutung und da fehlt noch ein Stück, bis die EMA50 die EMA200 von unten nach oben schneidet.

Auf Basis der Fibonacci-Retracements, bzw. -Extensions wäre noch ein kurzfristiges Kursziel von 4300 bis 4350 plausibel. Auch nach Auswertung von MACD, RSI und Stochastik wichtiger internationaler Indices wäre das denkbar, wenn man davon ausgeht, dass die Bullen noch genügend Reserven haben, um in eine sehr bullische Übertreibung zu laufen. Allerdings zeigt die Volumenverteilung seit einigen Tagen überdehnte Akkumulation, was üblicherweise erwarten lässt, dass die Seitenlinie nur noch ziemlich dünn besetzt ist. Für mich sieht das kurzfristige Bild damit so aus, als ginge es zunächst nicht weiter nach oben – von Fehlausbrüchen abgesehen.

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An der Unterseite kommt der Pegel von 4000/4010 ins Visier. Hier verläuft auch die EMA200 (steigend). Bei 3963 notiert aktuell die EMA50 wie auch die Abwärtslinie vom Allzeithoch aus der Jahreswende 2021/2022. Darunter liegt der wichtige Pegel von 3900.

Die fraktalen Oszillatoren der TimePatternAnalysis zeigen für Aktien eine klare Dominanz der Ähnlichkeit zu linearen Strukturen. Bärische Kursmuster sind so gut wie nicht mehr feststellbar, bullische Kursmuster haben in Bezug auf das Linearitätsmaß (rot im oberen teilchart) kaum noch Entwicklungspotenzial. Das steigt zwar noch, aber der Spielraum ist weitgehend ausgeschöpft. Auch aus dieser Sicht erscheinen kurzfristige bullische Avancen zwar möglich, aber sie dürften keinen Bestand haben.

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Mein aktuell bevorzugtes Szenario für den S&P 500 ist eine Seitwärtsbewegung zwischen 4150/4160 und 3900.

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