S&P 500 – keine "Santa-Rally"?

US-Aktien fallen die zweite Woche in Folge. Der Dow verliert auf Wochensicht 1,7%, der S&P 500 büßt 2,1% ein, der NDX gibt um 2,8% nach. Der DAX sinkt um 3,3%. Gold in Dollar notiert auf Wochensicht kaum verändert. Euro/Dollar steigt um 0,7%, die Rendite der zehnjährigen TNotes ist 2,7% schwächer als vor einer Woche, die der zweijährigen TNotes verliert 3,6% auf jetzt 4,204%.

Die Fed hat am Mittwoch dieser Woche die US-Leitzinsen um weitere 0,5% erhöht auf einen mittleren Wert von 4,375%. Der Spread der zweijährigen TNotes zur eff. Fed Funds Rate ist jetzt leicht negativ. Ein Spread um Null wird als recht zuverlässiges Signal dafür gesehen, dass der „Markt“ den Leitzins als „fair“ betrachtet. Je negativer er wird, je mehr sieht der „Markt“ die Leitzinsen als zu hoch an. Diese Schwelle haben wir jetzt erreicht.

Dem steht entgegen, dass Fed-Chef Powell erneut äußerst klar sagte, dass die Leitzinsen seiner Meinung nach noch auf über 5% steigen werden. Und: „Die historische Erfahrung warnt vor einer voreiligen Lockerung der Geldpolitik. Ich denke nicht, dass wir Zinssenkungen in Betracht ziehen werden, solange der Ausschuss nicht sicher ist, dass die Inflation nachhaltig auf 2% sinkt.“

Jetzt scheinen die Aktionäre endlich zu kapieren, dass schlechte Nachrichten von der Zinsfront wirklich schlechte Nachrichten sind. Zuvor hatten sie auf entsprechende Äußerungen von Powell mehrfach mit steigenden Aktienkursen reagiert. Jetzt geht „plötzlich“ die Angst um, die Zinspolitik der Fed könnte zu einer (weltweiten) Rezession führen. Dabei hat sich seit Mittwoch nichts geändert, die im November schwächeren Umsätze im US-Einzelhandel bestätigen nur die längst eingeschlagene makroökonomische Richtung.

Es gibt eine populäre Regel namens „Three steps and a stumble": Immer, wenn die Fed entweder den Leitzins, die Margenanforderungen oder die Mindestreserveanforderungen dreimal hintereinander anhebt, erleidet der Aktienmarkt einen erheblichen, vielleicht sogar schwerwiegenden Rückschlag. Dies resultiert aufgrund der höheren Zinssätze aus den gestiegenen Kreditkosten für Unternehmen, sowie der erhöhten Attraktivität von Geldmarktfonds und ähnlichen Anlageformen gegenüber Aktien. Und somit gilt auch: Bär-Markt-Böden gab es historisch erst nach der ersten Zinssenkung der Fed.

Howard Marks, Oaktree Capital Management, stellt die These auf, dass wir uns in seltenem Fahrwasser befinden – oder besser gesagt, dass wir gerade eine völlige Umwälzung erleben. In seinem über 50 Jahre währenden Berufsleben in der Finanzindustrie hat er bereits zwei solcher Umwälzungen erlebt.

Die erste war die Entstehung des Marktes für hochverzinsliche Anleihen, die eine neue Anlegermentalität begründete. Fortan wurde das Risiko nicht mehr unbedingt vermieden, sondern im Verhältnis zur Rendite betrachtet. Das war entscheidend für die Entwicklung vieler neuer Anlageformen, wie z.B. notleidende Kredite (Ramsch-Anleihen), hypothekarisch gesicherte Wertpapiere, strukturierte Kredite und private Kredite.

Die zweite Umwälzung fand mit dem OPEC-Ölembargo von 1973/74 statt. der Preis für ein Barrel Öl stieg in weniger als einem Jahr von rund 24 auf fast 65 Dollar. Der US-Privatsektor war in den 1970er Jahren viel stärker gewerkschaftlich organisiert als heute, viele Tarifverträge sahen einen automatischen Ausgleich der Lebenshaltungskosten vor. Das alles löste eine rasante Preis-Lohn-Spirale aus mit starken, sich in vielen Fällen selbst erfüllenden Inflationserwartungen. Die Inflation stieg schließlich in mehreren Wellen bis auf 13,5% in 1980. Erst die Ernennung von Paul Volcker zum Fed-Chef im Jahr 1979 mit seiner Entschlossenheit, den Leitzins 1980 auf 20% anzuheben, löschte die Inflationspsychologie aus. Die Inflation ging bis Ende 1983 auf 3,2% zurück. Es folgte ein vier Jahrzehnte währendes Umfeld mit sinkenden Zinssätzen und großem Optimismus der Anleger.

Marks: „Was sind die Faktoren, die den Erfolg der Anleger in den letzten 40 Jahren begründet haben? Einen großen Beitrag leisteten (a) das Wirtschaftswachstum und die Vormachtstellung der USA, (b) die unglaubliche Leistung unserer größten Unternehmen, (c) die Fortschritte in Technologie, Produktivität und Managementtechniken und (d) die Vorteile der Globalisierung. Es würde mich jedoch überraschen, wenn 40 Jahre sinkende Zinssätze nicht die größte Rolle von allen spielen würden.“

Marks glaubt, dass diejenigen, die den S&P 500 in letzter Zeit zu einer 10%igen Rallye vom Oktobertief getrieben haben, durch ihre Überzeugung motiviert wurden, dass die Inflation nachlässt, die Fed bald von einer restriktiven Politik zurück zu einer stimulierenden Politik schwenken wird, die Zinssätze auf ein niedrigeres Niveau zurückkehren werden, eine Rezession abgewendet wird oder bescheiden und kurz ausfallen wird und die Wirtschaft und die Märkte zu glücklichen Tagen zurückkehren werden. Dies alles wird seiner Meinung nach aber nicht der Fall sein.

Stattdessen kommt es nach Marks zu einer dritten Umwälzung: Eintritt in eine Welt, in der Kreditgeber und Schnäppchenjäger (wieder) bessere Aussichten haben als in den letzten mindestens zwei Jahrzehnten. Anleger müssen sich nicht mehr so stark auf risikoreiche Anlagen verlassen, um ihre Renditeziele zu erreichen. Strategien, die früher funktioniert haben, werden jetzt oder in naher Zukunft möglicherweise nicht mehr funktionieren.

Eine Rezession in den nächsten 12 bis 18 Monaten dürfte mit einer Verschlechterung der Unternehmensgewinne und der Anlegerpsychologie einhergehen. Die Zinssätze werden von hier aus nicht so rasch signifikant sinken. Auch wenn nun potenziell solide Renditen mit Kreditinstrumenten erzielt werden können, dürfte die jährliche durchschnittliche Ausfallrate bei hochverzinslichen Anleihen ansteigen. Sie war im Jahrzehnt 2010-2019 mit 2,1% ungewöhnlich niedrig.

Insgesamt ist Marks der Meinung, dass wir nicht so schnell wieder den gleichen Optimismus und die gleiche Gelassenheit erleben werden, die die Zeit nach der Finanzkrise 2008 kennzeichneten: „Das ist der Umbruch, von dem ich spreche.“

Tom McClellan befasst sich mit der Frage, ob sich die USA einen solchen Zins-Spike leisten können wie in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren. Der hatte schließlich dazu geführt, die Inflations-Spirale erfolgreich zu durchbrechen. Er schreibt, ein wenig Verschuldung ist kein Problem, aber wenn die Gesamtverschuldung ein hohes Niveau erreicht, wird sie zu einem großen Problem. Schließlich fallen ja Zinsen auf die Staatsschulden an.

Im Jahr 1981 betrug die Gesamtverschuldung des Bundes nur 31% des BIP, aber die Zinsen für diese Schulden waren sehr hoch. Am Höhepunkt dieser hohen Zinssätze 1980 machten die Zinskosten für diese Schulden mehr als 50% der gesamten Steuereinnahmen aus. Mit den danach sinkenden Zinssätzen nahm auch der für Zinsen aufzuwendende Teil des Bundeshaushalts wieder ab.

Der effektive Zinssatz für alle Schulden des Finanzministeriums beträgt aktuell 2,4%, das reflektiert aber zum großen Teil die zu Zeiten niedrigster Zinsen aufgenommenen Schulden. Der Gesamtbetrag, der jedes Jahr für die Finanzierung der Schulden ausgegeben wird, bleibt so auf einem recht niedrigen Niveau – noch.

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Wenn es der Fed aber diesmal nicht gelingt, die Inflation einzudämmen, dann ist es möglich, dass die Zinszahlungen für die Bundesschulden außer Kontrolle geraten. Die Gesamtverschuldung des Bundes beläuft sich inzwischen auf 120% des BIP, der vierfachen Quote von 1981. Wenn der effektive Nettozinssatz für alle diese Schulden auf über 10,4% ansteigt, dann würde die Zahlung des Schuldendienstes jeden Steuerdollar beanspruchen, der derzeit eingeht, so McClellan.

Daher sei es sehr unwahrscheinlich, dass es in nächster Zeit zu einer Senkung der Bundeseinkommenssteuer kommen wird, auch wenn eine solche Senkung dazu beitragen könnte, das BIP anzukurbeln. Dies ist für Aktienanleger von Bedeutung, denn hohe Steuereinnahmen in Prozent des BIP sind keine gute Voraussetzung für den Aktienmarkt – siehe Chart.

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McClellan kommt zu dem Schluss: Die USA können es sich nicht leisten, dass sich der große Anstieg der Zinssätze in den späten 1970er Jahren wiederholt, mit der die Inflation schließlich eingedämmt wurde. Wenn die Zinssätze dauerhaft über 10% steigen, wird die Weimarer Republik kommen. Schon ein Anstieg auf 5% wäre „wirklich WIRKLICH“ schlimm (es müssten dann wie 1980 ca. 50% der Steuereinnahmen für Zinszahlungen aufgewendet werden). Aber genau das scheint die Federal Reserve zu wollen. (Anmerkung: Wobei es eine zeitlang dauert, bis ein solches Niveau auf die effektive Zinslast des Bundes durchschlägt.)

Man kann es auch so sehen: Es gibt zwei Möglichkeiten für die Fed – entweder es gelingt, die Inflation mit ihrer Zinspolitik bald in den Griff zu bekommen oder sie wird frühzeitig kapitulieren. Wenn sie aufgibt (aufgeben muss…), werden die dann noch virulenten Inflationserwartungen zuschlagen.

Nimmt man Marks Perspektive und die Analyse von McClellan zusammen, dürfte es im günstigsten Fall zu einer mittleren Rezession und mäßig steigenden Ausfallraten kommen. Im ungünstigsten Fall stehen wir vor einer verheerenden Rezession mit galoppierender Inflation und einer umfassenden Pleitewelle. Dies wiederum entspicht dem Szenario, das Roubini entworfen hat. Marks geht offensichtlich nicht vom „worst case“ aus, er sieht in gewissem Sinne die Rückkehr zu einer Investment-Umgebung wie in den 1980er Jahren.

Der S&P 500: Ich hatte in der Vorwoche eine Handelsspanne zwischen 4100 und 3900 für wahrscheinlich gehalten und gleichzeitig auf die Bedeutung der Untergrenze des Aufwärtskanals aus Anfang Oktober hingewiesen. Die Obergrenze der Spanne wurde am Dienstag erreicht und dabei auch intraday die EMA200 überschritten. Es gelang erneut nicht, die Abwärtslinie aus Jahresanfang zu überwinden. Am Donnerstag (nach der FOMC-Sitzung) kam es zu einem Bruch des Aufwärtskanals, am Freitag wurde auch die Handelsspanne nach unten verlassen. Bedeutsam ist, dass der Index nun unter seiner EMA50 notiert.

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Die Volmenverteilung an der NYSE ist weiter in Distribution mit zunehmendem Verkaufsdruck. Die Marktbreite zeigt Tempoverlust, die ADL-Linie des Anteils der Zahl steigender Aktien ist bärisch abgekippt. VIX und PCR signalisieren bärische Stimmung. Der VIX steigt in Richtung seiner EMA50. Der TQUAL-Indikator zeigt im bullischen Bereich ebenfalls Tempoverlust kurz vor Betätigung eines „Roll-over“. Er wertet technische Indikatoren verschiedener internationaler Aktienindices aus. Die fraktalen Oszillatoren bestätigen eine Abwärtsphase, mittlerweile haben zyklische Merkmale die Oberhand.

Weitere Abgaben im S&P 500 erscheinen mir übergeordnet wahrscheinlich. Der Pegel bei 3800 kommt ins Blickfeld, hier verlaufen wichtige Retracements. Darunter kommt das Tief aus Mitte Juni in Betracht. Das Blatt dürfte sich erst wenden, wenn 3980 zurückerobert und gehalten werden kann. Das halte ich allerdings für weniger wahrscheinlich, auch wenn man den Einfluss der Saisonalität nicht vernachlässigen sollte.

Ergänzung:
Die Philadelphia Fed gibt an, dass die Entwicklung der US-Arbeitsplätze um mindestens 1,1 Millionen zu hoch eingeschätzt wurde. Es seien seit März netto nur etwa 10.500 neue Jobs entstanden und nicht 1.121.500, wie die Aufsummierung von allen Bundesstaaten ergeben hat. Die Job-Statistik war hier bereits mehrfach ein Thema. Wenn sich die Fed mit ihrer Geldpolitik tatsächlich nach den übertriebenen Zahlen (bis zu über zwei Millionen neuer Arbeitsplätze seit März) ausgerichtet hat, wäre sie in ihrer eigenen Argumentation mit der Zinspolitik schon jetzt zu weit gegangen.

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