Nach der Explosion der Defizite, der Kreditaufnahme und der Verschuldung in den letzten Jahrzehnten steuert die Weltwirtschaft auf ein noch nie dagewesenes Zusammentreffen von Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrisen zu, schreibt Nouriel Roubini.
Nachfolgend bringe ich eine gekürzte übersetzte Fassung seines Beitrags auf Project Syndicate „The Unavoidable Crash“.
Betrachtet man nur die expliziten Schulden, so Roubini, so sind die Zahlen erschütternd. Weltweit stieg die Gesamtverschuldung des privaten und öffentlichen Sektors im Verhältnis zum BIP von 200% im Jahr 1999 auf 350% im Jahr 2021. In den fortgeschrittenen Volkswirtschaften liegt das Verhältnis jetzt bei 420%, in China bei 330%. In den USA liegt sie bei 420% und ist damit höher als während der Großen Depression und nach dem Zweiten Weltkrieg. Implizite Schulden wie ungedeckte Verbindlichkeiten aus umlagefinanzierten Renten- und Gesundheitssystemen kämen noch hinzu.
Natürlich kann die Verschuldung die Wirtschaftstätigkeit ankurbeln, wenn die Kreditnehmer in neues Kapital (Maschinen, Häuser, öffentliche Infrastruktur) investieren, das höhere Erträge abwirft als die Kreditkosten. Aber mittlerweile dient ein Großteil der Kreditaufnahme lediglich der Finanzierung von Konsumausgaben, die das eigene Einkommen dauerhaft übersteigen – und das ist ein Rezept für den Bankrott. Darüber hinaus können Investitionen in „Kapital" auch riskant sein, wenn etwa ein Haushalt ein Haus zu einem künstlich überhöhten Preis kauft, oder wenn ein Unternehmen ohne Rücksicht auf die Rendite zu schnell expandiert, oder wenn eine Regierung Geld für extravagante, aber nutzlose Infrastrukturprojekte ausgibt.
Eine solche übermäßige Verschuldung gibt es seit Jahrzehnten aus verschiedenen Gründen. Die Demokratisierung des Finanzwesens hat es einkommensschwachen Haushalten ermöglicht, ihren Konsum mit Schulden zu finanzieren. Mitte-Rechts-Regierungen haben beharrlich die Steuern gesenkt, ohne auch die Ausgaben zu kürzen. Mitte-Links-Regierungen haben großzügige Sozialprogramme gestartet, die nicht ausreichend Steuer-finanziert wurden. Und eine Steuerpolitik, die Schulden gegenüber Eigenkapital bevorzugt, hat, unterstützt durch die ultralockere Geld- und Kreditpolitik der Zentralbanken, zu einem sprunghaften Anstieg der Kreditaufnahme sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor geführt.
Jahre der quantitativen Lockerung (QE) und der Kreditlockerung hielten die Kreditkosten nahe Null und in einigen Fällen sogar negativ (wie in Europa und Japan bis vor kurzem). Im Jahr 2020 belief sich die öffentliche Verschuldung auf 17 Bill. Dollar mit negativer Verzinsung, und in einigen nordischen Ländern hatten sogar Hypotheken negative Nominalzinsen.
Die Explosion nicht tragfähiger Schuldenquoten bedeutete, dass viele Kreditnehmer, Haushalte, Unternehmen, Banken, Schattenbanken, Regierungen, sogar ganze Länder, insolvente „Zombies" wurden. Durch niedrige Zinssätze blieben die Kosten ihres Schuldendienstes aber überschaubar. Sowohl während der globalen Finanzkrise von 2008 als auch während der COVID-Krise wurden viele zahlungsunfähige Akteure, die sonst bankrott gegangen wären, durch Null- oder Negativzinspolitik, QE und regelrechte direkte Rettungsaktionen gerettet.
Doch nun hat die Inflation -genährt durch dieselbe ultralockere Steuer-, Geld- und Kreditpolitik- diese finanzielle Morgendämmerung beendet. Da die Zentralbanken gezwungen sind, die Zinssätze zu erhöhen, um die Preisstabilität wiederherzustellen, müssen die Zombies einen starken Anstieg ihrer Schuldendienst-Kosten hinnehmen. Für viele ist dies ein dreifacher Schlag, da die Inflation auch das Realeinkommen der Haushalte schmälert und den Wert ihrer Vermögenswerte, wie Häuser und Aktien, verringert.
Das Gleiche gilt für anfällige und überschuldete Unternehmen, Finanzinstitute und Regierungen: Sie sehen sich gleichzeitig mit stark steigenden Kreditkosten, sinkenden Einkommen und Erträgen sowie sinkenden Vermögenswerten konfrontiert. Schlimmer noch, diese Entwicklungen fallen mit der Rückkehr der Stagflation (hohe Inflation bei schwachem Wachstum) zusammen.
Das letzte Mal, dass fortgeschrittene Volkswirtschaften solche Bedingungen erlebten, war in den 1970er Jahren. Aber zumindest war damals die Verschuldung sehr niedrig. Heute sehen wir uns mit den schlimmsten Aspekten der 1970er Jahre (Stagflationsschocks) und den schlimmsten Aspekten der globalen Finanzkrise (2008) konfrontiert.
Aber dieses Mal können wir nicht einfach die Zinsen senken, um die Nachfrage zu stimulieren. Denn die Weltwirtschaft wird von anhaltenden kurz- und mittelfristigen negativen Angebotsschocks erschüttert, die das Wachstum verringern und die Preise und Produktionskosten erhöhen. Dazu gehören die durch die Pandemie verursachten Unterbrechungen des Arbeits- und Warenangebots, die Auswirkungen des russischen Krieges in der Ukraine auf die Rohstoffpreise, die zunehmend desaströse chinesische Nullzins-Politik und ein Dutzend weiterer mittelfristiger Schocks -vom Klimawandel bis zu geopolitischen Entwicklungen-, die zusätzlichen Stagflationsdruck erzeugen werden.
Anders als in der Finanzkrise 2008 und in den ersten Monaten von COVID-19 würde die Rettung privater und öffentlicher Akteure durch eine lockere Makropolitik nur noch mehr Benzin in das Inflationsfeuer gießen. Das bedeutet, dass es eine harte Krise geben wird. Das bedeutet, dass zu einer schweren Finanzkrise eine harte Landung, eine tiefe, langwierige Rezession, hinzukommen wird.
Wenn Vermögensblasen platzen, die Schuldendienstquoten in die Höhe schnellen und die inflationsbereinigten Einkommen von Haushalten, Unternehmen und Regierungen sinken, werden sich die Wirtschaftskrise und der Finanzcrash gegenseitig verstärken. Allerdings können fortgeschrittene Volkswirtschaften, die sich in ihrer eigenen Währung verschulden, einen unerwarteten Inflationsschub nutzen, um den realen Wert einiger nominaler langfristiger Festzinsschulden zu verringern.
Da die Regierungen nicht bereit sind, die Steuern zu erhöhen oder die Ausgaben zu kürzen, um ihre Defizite zu reduzieren, wird die Monetarisierung des Defizits durch die Zentralbank wieder als der Weg des geringsten Widerstands angesehen werden. Aber sobald der Inflationsgeist aus der Flasche ist, wenn nämlich die Zentralbanken angesichts des sich abzeichnenden Wirtschafts- und Finanzcrashs den Kampf aufgeben, werden die nominalen und realen Kreditkosten in die Höhe schnellen, so Roubini. Die Mutter aller stagflationären Schuldenkrisen kann nur aufgeschoben, nicht aber vermieden werden.
Nouriel Roubini ist emeritierter Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Stern School of Business der New York University. Er war leitender Wirtschaftswissenschaftler für internationale Angelegenheiten im Rat der Wirtschaftsberater des Weißen Hauses während der Clinton-Regierung und hat für den Internationalen Währungsfonds, die US-Notenbank und die Weltbank gearbeitet. Seine Website ist NourielRoubini.com, er ist auch Gastgeber auf NourielToday.com. Daneben entfaltet er zahlreiche andere Aktivitäten im Finanzbereich. Roubini hatte früh vor der Finanzkrise von 2008 gewarnt.
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Danke für die Übersetzung!
Ähnliches ist ja schon von Ray Dalio, Uwe Berggold und schon in den 70 ern von Howe und Strauß in "Die 4. Wende" und vielen anderen (Max Otte, Marc Friedrich..)
vorrausgesagt worden.
Ray Dalio hat diese Schuldenzyklen und anschließenden Zusammenbrüche an Hand historischer Daten verschiedener Weltreichen nachgewiesen, Uwe Berggold hat die USA seit dem 18. JH untersucht. Für Europa war die letzte mit der heutigen Zeit vergleichbare Periode 1914 – 1945 und davor 1780??- bis 1815. Beides sehr unerquickliche Zeiten.
Heute ist es aber schwierig das Anfangsdatum festzulegen: Bergold geht hier von 2001 aus, so dass wir schon ein ganzes Stück hinter uns gebracht hätten.
Für den kleinen Privatanleger und Bürger ist es aber sehr wichtig zu wisssen, wo wir gerade stehen -ansonsten sind solche allgemeinen Aussagen ja ziemlich nutzlos bzw. kontraproduktiv. Wenn ich mich auf eine bestimmte Art und Weise positioniere aber das Ereignis tritt 20 Jahre zu spät ein ist das ziemlich blöd.
Wirklich interessant ist es, dass ein Zeitraum von 75 – 100 Jahren ausreicht, dass die Bevölkerung keine Lehren zieht bzw. die Sachverhalte völlig falsch in Erinnerung bleiben oder ganz vergessen werden. Eine auf der Hand liegende Lehre sollte doch sein: Traue nie einer Regierung (bzw den hinter ihr stehenden Mächtigen) – im Ernstfall wird sie sich und ihre Spezies immer auf Kosten der Bevölkerung zu retten versuchen.
Ja, das Timing…
Ich glaube, das ist heute nicht anders als zu früheren Zeiten: Im Nachhinein kann man die Wendepunkte recht gut ausmachen, wenn man aber mitten drin steckt in einer Entwicklung, ist das immer schwierig. Denn: Was ist ein wirklicher Wendepunkt, was nur ein kurz-, mittelfristiges Einknicken? Im Rückspiegel ist das klar.
Die übergeordnete Frage ist heute, haben wir es nur mit einer „gewöhnlichen“ zyklischen Krise/Zusammenbruch zu tun oder ist das, was als nächstes kommt, ein System-Crash. Roubini ist wohl eher der Auffassung, dass letzteres auf der Agenda steht. Das würde in einem großen historischen Zusammenhang auch bedeuten, dass sich dann die „System-Frage“ stellt – welche Gesellschaftsform folgt analog zum Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus am Ende des 18. Jahrhunderts?
Roubini zeigt ja auch auf, welche Mittel den Zentralbanken zur Verfügung stehen, um die „Mutter aller Krisen“ hinauszuzögern.
Wenn ich mich an die Aussagen von Bergold richtig erinnere, stützt er sich auf die Kondratieff-Zyklen. Das ist, denke ich, ein grundsätzlich richtiger Ansatz. Denn das Entscheidende ist immer, was an der ökonomischen Basis geschieht. Eine übliche Einteilung besagt diesbezüglich, dass irgendwann recht bald nach der Jahrtausendwende der alte K-Zyklus zu Ende gegangen ist. Eine andere Einteilung sieht das Ende eines solchen 50+ Jahre langen Zyklus eher um 2020. Irgendwie passt beides nicht so recht. Insbesondere deshalb nicht, weil für mich nicht erkennbar ist, welches die den nächsten K-Zyklus tragende technische Innovation sein soll. Das lässt mich vermuten, dass eher ein "System-Crash" ansteht.
Ganz grundsätzlich glaube ich nicht, dass man seine Positionierung an solchen sehr langfristigen Perspektiven ausrichten sollte. Jedenfalls nicht mit seinem gesamten Kapital, sondern schrittweise. Denn solche historischen Ereignisse lassen sich einfach nicht auf einen mehr oder weniger genauen Zeitpunkt festmachen. Ein paar Jahre plus/minus sind da immer drin. Man kann langfristig recht haben und ist doch kurzfristig pleite.
Unabhängig von allen aktuellen Entwicklungen haben Sie absolut recht: Man sollte keiner Regierung trauen. So lange alles mehr oder weniger seinen Gang geht, kann man „mitschwimmen“ (ohne sich einlullen zu lassen). Aber wie Sie schreiben: „Im Ernstfall wird sie sich und ihre Spezies immer auf Kosten der Bevölkerung zu retten versuchen.“ Das wird wieder so sein, bzw. ist schon so.
Der von Ihnen genannte „Vergessens-Zeitraum“ umfasst rund gerechnet zwei Generationen. Plausibel: Vieles an Erfahrungswerten geht im Übergang von einer zur anderen Generation verloren. Nach zwei Generationen bleibt nicht mehr viel übrig von den Erfahrungen der Alten. Umso wichtiger ist/wäre eine Geschichtsschreibung im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung.
Herzlichen Dank für Ihren Beitrag!