Aktien – Hoffnungen auf schwankendem Grund

Die Finanzmärkte feiern den ausgehenden Sommer. Der S&P 500 ist auf Wochensicht um 3,6% angestiegen. Die Rendite für Ramsch-Anleihen ist leicht gesunken, ihr Spread zu den 10yr-TNotes sinkt bei 4,8% wieder deutlich unter den kritischen Pegel von 5%; das zeigt Tendenz zu "Risk-on" an. Die Renditen haben ansonsten über das gesamte Laufzeiten-Spektrum zugelegt. Die der 2yr-Notes erreicht mit 3,561% ein neues Jahreshoch. Sie gilt als recht guter Leitzinsindikator. Der steht aktuell bei 2,33% (eff FFR).

Fed-Chef Powell hat erneut bekräftigt, dass die Bekämpfung der Inflation höchste Priorität hat. Sie müsse jetzt und hier entschlossen bekämpft werden. Eine weitere deutliche Zunahme der Arbeitsplätze im August zeigt, dass die Wirtschaft (in einer technischen Rezession) gut unterwegs ist. Da sieht es ja jeder ein, dass es nötig ist, mit steigenden Zinsen gegenzusteuern, bevor sich die Inflation vom Anker reißt, an dem sie zur Überzeugung von Powell noch hängt…

Und da fangen die Probleme auch schon an. Die US-Arbeitsmarktdaten kommen aus zwei Befragungen, eine bei den Haushalten und eine bei den Unternehmen. Aus der Haushalts-Erhebung ergibt sich eine Arbeitslosenquote von 3,7%, weit unterhalb der sogenannten natürlichen Arbeitslosenquote von 4,4%. Bei diesem vom zuständigen US-Kongress-Büro angenommenen Wert sollen sich die unterschiedlichen Einflüsse auf die Inflation gerade die Waage halten. Die Befragung der Unternehmen ergibt einen Zuwachs von 315.000 Arbeitsplätzen im non-farm-Bereich. Das ist der Wert in der Mitte eines breiten Bandes von 198.900 bis 431.100.

Neuer Arbeitsplatz bedeutet nicht, dass ein vorher Arbeitsloser einen neuen Job hat.
Von März bis August sind 1,888 Millionen neue Stellen gemeldet worden. Die Vollzeit-Beschäftigung ging um 383.000 zurück. Man kann unterschiedlich rechnen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Diskrepanz zwischen 1,9 und 1,6 Millionen liegt.

Eine recht plausible Erklärung für diese Abweichungen ist die, dass in einem Ausmass von bis zu zwei Millionen Leute einen weiteren Job angenommen haben, um mit der hohen Inflation zurecht zu kommen. Das hat zwar den positiven Aspekt, dass die Wirtschaft eben offenbar entsprechende Jobs bereit hat für die, die das Geld dringend brauchen. Das ist nicht gerade das, was man in einer normalen Rezession erwarten würde. Negativ ist, dass es so mit den Erwartungen einer weiter kräftigen Konsumenten-Nachfrage nicht weit her ist. Hier lauert Enttäuschungspotenzial. Außerdem lässt das auch den Schluss zu, dass die Inflation nicht so bald in sich zusammenfällt.

Jetzt machen alle möglichen Modelle die Runde. So wird etwa vorgerechnet, dass bei einer angestrebten PCE-Inflation (aktuell 6,3%) von 3% 1,7 Millionen Jobs abgebaut werden müssen, was einer Arbeitslosenquote von 4,6% entspricht. Um das 2%-Ziel der Fed zu erreichen, müssen 5,3 Millionen Arbeitsplätze fallen und eine Arbeitslosenquote von 6,7% erreicht werden. Im ersten Fall könnte eine ernste Rezession wohl vermieden werden. Die Frage ist, ob das reicht, oder sich die Inflationserwartungen nach einer Entspannungsphase doch noch vom Anker losreißen.

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Die Zahlen, auf die man sich stützt, bzw. stützen muss, sind an Fragwürdigkeit kaum zu überbieten. Zum Teil sind sie absichtlich manipuliert, zum Teil gibt es eben einfach keine besseren. Um eine Strategie zu entwickeln, muss man irgendwelche Fakten annehmen. Je besser diese die Realität widergeben, je besser sind die Voraussetzungen, dass das Ziel der Strategie erreicht wird. Bei all dem kommt die Fragilität einer hochverschuldeten Wirtschaft hinzu, was stabile Strategien zusätzlich erschwert.

Erschwerend kommt weiter hinzu, dass geldpolitische Maßnahmen sechs bis neun Monate brauchen, bis sie zu wirken beginnen. Wir sind also jetzt in der Phase, in der man die im Frühjahr eingeleiteten Maßnahmen allmählich merken sollte. U.a. steigende Kreditkosten sollten dann zu selektiveren Ausgaben und neuen Investitionsüberlegungen bei Haushalten und Firmen führen.

Die Zahlen können sachlich unbrauchbar sein, wie sie wollen. Wenn die Fed auf dieser Basis eine Politik entwickelt, wird der große Teil der Herde an den Finanzmärkten dem früher oder später folgen. Dabei ist es gleichgültig, ob aus Überzeugung oder weil man glaubt, dass andere so handeln. Der Spruch „don’t fight the Fed“ drückt aus, dass sie der Leithammel ist, dem besser alle folgen, warum auch immer.

Daraus ergibt sich oftmals auch der folgende lockere zeitliche Zusammenhang: So lange die Fed die Geldpolitik noch stafft, glaubt man an den Finanzmärkten letztlich gerne, dass die Wirtschaft übergeordnet doch noch (weiter) expandiert. Pausiert die Fed mit weiteren Zinsschritten, wird es unruhig, es fehlt die klare Orrientierung, alle gackern wie auf dem Hühnerhof durcheinander. Beginnt die Fed aber mit geldpolitischen Lockerungen, macht sich die Sorge breit, die Wirtschaft kippt ab, die Finanzakteure (Aktien) nehmen zunehmend Geld vom Tisch. Als die Fed 2018 ihre geldpolitische Straffung nach und nach aufgab, fiel der S&P 500 im Spätjahr innerhalb von einem Vierteljahr um 20%.

Aktuell haben die Bullen an den Aktienmärkten wieder die Oberhand. Das Enttäuschungspotenzial wird aber nicht kleiner, sondern größer. Die Erwartungen an die Stabilität des Arbeitsmarktes sind irreal, die Hoffnung auf stabile Nachfrage zu hoch gesteckt.

Aber der Punkt, die Fed könnte bei ihren Zinsschritten planmäßig pausieren, ist noch nicht erreicht. Für die kommende FOMC-Sitzung wird ein weiterer Schritt von 0,75% auf dann drei Prozent erwartet. Die Fed tut so, als wäre das Ende noch lange nicht in Sicht. Und hat gerade angefangen, ihren monatlichen Betrag des „quantitative tightening“ auf 95 Mrd. Dollar zu verdoppeln. Man hat sich eingerichtet, noch scheint da für den bullischen Glauben die Welt mehr oder weniger in Ordnung.

Die kurzfristigen Volumensignale bei US-Aktien stützen einen bullischen Bias. Ebenso: Der VIX, Angstmesser an Wall Street, bewegt sich wieder unter seiner EMA50, die wiederum die EMA250 unterschritten hat. Der S&P 500 hat recht genau am 62er Retracement des Aufwärtsimpulses aus Mitte Juni nach oben abgedreht und notiert jetzt am 38er Retracement. Auch die EMA50 wurde per Schlusskurs überwunden. Die Aktienbullen dürften noch im Vorteil bleiben. Die nächste Hürde an der Oberseite liegt bei 4160. Hier verläuft auch die EMA200. Gelingt der Sprung darüber, ist auch noch 4300 drin, hier endete der Aufwärtsimpuls aus Mitte Juni (Chartquelle).

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[Unter Verwendung von Material aus "Labor Mysteries"]

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