Nach der Fed, nach der englischen und der australischen Zentralbank leitet jetzt auch die EZB eine Zinswende ein. Im Juli soll der Leitzins auf 0,25% steigen, weitere Zinsschritte sollen folgen. Der Einlagenzins bei der EZB wird dann -0,25% betragen.
8,8 Bill. Euro lang ist die Bilanz der EZB inzwischen. Obwohl die Inflation mit Monatsraten von deutlich über sieben Prozent schon längere Zeit die Bürger im Euroraum enteignet, flutete die EZB die Finanzmärkte immer weiter mit frisch geschaffenem Geld. Seit Jahresbeginn sind 250 Mrd. Euro hinzugekommen.
Ende 2019, kurz nach Amtsantritt der EZB-Chegfin Lagarde, lag die Bilanzsumme der EZB noch bei 4,7 Bill. Euro. Unter ihrer Führung schaffte die Zentralbank monatlich 137 Mrd. Euro neu, täglich also 4,6 Mrd. Euro. Das ist eine der Ursachen für die mittlerweile galoppierende Inflation.
Lagarde ignorierte Mahnungen, das ausufernde Gelddrucken zu beenden: Die Inflation sei nur vorübergehend, Sonderfaktoren wie die Pandemie oder Lieferkettenprobleme seien schuld, bald werde sich das Preisgeschehen wieder normalisieren. An derselben Unwahrheit hatte auch Fed-Chef Powell lange festgehalten, bis er im Dezember vergangenen Jahres das Wort „transitional“ in Zusammenhang mit Inflation schließlich strich.
Der ehemalige Präsident der deutschen Bundesbank, Weidmann, hatte schon im vergangenen Jahr gesagt: „Wenn es zur Sicherung der Preisstabilität erforderlich ist, muss die Geldpolitik insgesamt normalisiert werden. Das sollte jedem klar sein – den Finanzmärkten ebenso wie den Regierungen, deren Finanzierungskosten steigen könnten." Lagarde beharrte damals darauf, dass in einer Zeit von bereits durch höhere Energie- und Treibstoffkosten geschmälerter Kaufkraft eine Straffung der Geldpolitik Gegenwind für den Aufschwung bedeutet. Weidmann trat schließlich zurück.
Mit dem Ukraine-Krieg kam der nächste Inflationsschock. Die Energiepreise explodierten, aber Lagarde reagierte weiterhin nicht, die Geldschwemme wurde beibehalten. Der EU, Frankreich und den südeuropäischen Ländern sollte es leichter gemacht werden, ihre hohen Verschuldungen zu refinanzieren. Deutschland profitierte ebenfalls: Die viel gerühmte schwarze Null im Bundeshaushalt war so leichter zu erreichen.
Die EZB ist gesetzlich auf ihren Auftrag festgelegt, für stabile Preise zu sorgen. Ein anderes Mandat hat sie nicht. Als stabil gilt eine Inflationsrate von 2%. Aber das hat weder Lagarde noch ihre Vorgänger daran gehindert, die Notenpresse anzuwerfen nach der Devise „darf es nicht ein wenig mehr sein“. Gelegentlich wurde als Argument für die lockere Geldpolitik auch angeführt, dass das europäische Bankensystem im Vergleich zum BIP deutlich aufgeblähter ist als z.B. das in den USA. Dementsprechend schwach stehen die Euro-Banken da, insbesondere die in den Süd-Ländern. Aber das war stets eher eine Erklärung hinter den Kulissen.
Lagarde war zur EZB-Chefin geworden durch einen faulen Handel: Der französische Präsident konnte sie durchsetzen und gestand Deutschland zu, die Spitze der EU-Kommission zu besetzen. Welcher Job hat wohl mehr Gewicht? Da macht es auch nichts, dass Lagarde im Rahmen eines nebulösen Vorgangs um den früheren Adidas-Großaktionär Tapie von einem Gericht der Fahrlässigkeit im Amt als französische Finanzminsterin schuldig gesprochen wurde.
Kaum im Amt legte Lagarde das Pandemie-Notfallankaufprogramm PEPP auf, das inzwischen 1,85 Bill. Euro umfasst. Wahrscheinlich hätte sie gerne noch länger an der Geldpresse weitergemacht. Im April verhängte sie einen EZB-internen Maulkorberlass, nach dem Kritik einzelner Währungshüter an Zinsbeschlüssen unterbleiben sollte. Aber am Ende half alles nichts, „der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe“ schwenkte sie um.
„Die EZB hat sich der neuen Realität bislang trotzig verweigert", kritisierte der frühere Präsident des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. Mit ihren fadenscheinigen Stellungnahmen riskiere sie ihre Glaubwürdigkeit und erwecke zudem den Eindruck, die Kontrolle über das Preisniveau zu verlieren. Der ZEW-Experte Friedrich Heinemann verweist auf die europäischen Verträge, nach denen die Preisstabilität das vorrangige Ziel der EZB ist, dem andere Ziele untergeordnet sind. Das Zaudern der EZB füge der Reputation der Zentralbank Schaden zu, sagte er weiter.
Die EZB hatte im März bereits eine Inflation von 5,1% für 2022 veranschlagt, jetzt legt man mit 6,8% noch eine Schippe drauf. 2023 soll die Teuerungsrate bei 3,5% (bisher 2,1%) liegen und 2024 auf 2,1% (bisher 1,9%) sinken. Im Mai markierte die Inflationsrate mit 8,1% ein Rekordhoch.
Gleichzeitig hat die EZB für das laufende Jahr ihre Prognose für das Wirtschaftswachstum für die Eurozone auf 2,8% reduziert. Noch im März war ein Plus von 3,7% prognostiziert worden. Für 2023 rechnet man nun mit einem Anstieg des BIP von 2,1% (bisher 2,8%). Für 2024 werden 2,1% (bisher 1,6%) Prozent.
Die Erwartungen steigender Zinsen im Euroraum haben dem Euro etwas Stärke verliehen, fragt sich wie lange sie anhält. In der kommenden Woche wird die Fed die US-Leitinsen höchstwahrscheinlich um weitere 0,5% steigern. Falls nichts dazwischen kommt, wird die EZB mit Abstand hinterher stolpern. Aber beide, nein, alle großen Zentralbanken werden vermutlich den ersten bedeutenderen Gegenwind zum Anlass nehmen, zur Geldflut zurückzukehren. Etwas anderes (außer gezielt herbeigeführtem Chaos) ist bei der inzwischen gerade durch die erreichten überbordenden Schuldenstände kaum vorstellbar. Und diese Situation haben genau die Zentralbanken zu verantworten.
Ergänzung:
Die EZB agiert im Unterschied zur Fed in den USA in einem finanzwirtschaftlich zersplitterten Wirtschaftsraum. In den Süd-Ländern mit ihrer durch die EZB herbeigekünstelten Finanzstabilität laufen die Zinsen seit sechs Monaten hoch. Während deutsche Staatsanleihen (Laufzeit zehn Jahre) aktuell mit 1,52% verzinst werden, liegen vergleichbare italienische bei 3,86%. Für griechische Papiere liegt der Wert bei 4,39%.
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